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Wirtschaft: Krankenkassen: Eine Versicherungsgesellschaft fordert die Abschaffung der Sozialversicherung - das aber kostet viel Geld

Was den Deutschen in wenigen Jahren blüht, das wissen sie spätestens seit dem Tauziehen um die Rentenreform: Das Land vergreist. Immer weniger Arbeitnehmer müssen mit ihren Sozialbeiträgen den Ruhestand von immer mehr Senioren finanzieren, warnen die Bevölkerungsforscher.

Was den Deutschen in wenigen Jahren blüht, das wissen sie spätestens seit dem Tauziehen um die Rentenreform: Das Land vergreist. Immer weniger Arbeitnehmer müssen mit ihren Sozialbeiträgen den Ruhestand von immer mehr Senioren finanzieren, warnen die Bevölkerungsforscher. Das sei eine Zeitbombe, sagen sie - nicht nur für die Rentenversicherung: Ohne eine Reform der gesetzlichen Krankenversicherung könnte sich der Beitrag im ungünstigsten Fall bis zum Jahre 2050 verdoppeln - von derzeit 13,6 auf dann rund 26 Prozent, wie Ökonomen errechnet haben. Das gleiche gilt für die Pflegeversicherung - Alterung und medizinischer Fortschritt würden die Ausgaben rasant ansteigen lassen. Die Folge wäre eine volkswirtschaftliche Katastrophe: Milliarden-Belastungen für die Arbeitnehmer und der Wegfall zahlloser Jobs.

Eine größere Reform der Krankenversicherung wird es daher geben - nach der Bundestagswahl. Doch kann sie das System zukunftssicher machen und die tickende Zeitbombe entschärfen? "Vermutlich nicht", fürchtet Ulrich Rumm, Vorstandschef der Allianz-Tochter Vereinte Krankenversicherung AG, die private Assekuranzen anbietet. "Die einzige Lösung ist ein Umstieg auf ein Kapitaldeckungsverfahren", sagt er. Mit anderen Worten: Die Gesundheitsversorgung soll wie eine private Versicherung finanziert werden, für jeden Bürger wird ein Kapitalstock aufgebaut. Nach diesem Prinzip funktioniert auch die Riester-Rentenreform.

Eine teure Idee

Wie diese Revolution funktionieren könnte, hat Vereinte-Chef Rumm jüngst vom Berliner Gesundheitsökonom Klaus-Dirk Henke ausrechnen lassen. Natürlich nicht ganz selbstlos - würde sich jeder Deutsche privat krankenversichern lassen, stünde nicht nur der Vereinten ein Milliarden-Markt offen. Henkes Vorschlag: Die Trennung zwischen privaten und gesetzlichen Kassen soll wegfallen. Jeder Deutsche über 21 Jahre zahlt dann einen Festbeitrag zur Krankenversicherung von 200 Euro, die Versicherungen sind verpflichtet, jeden Bewerber aufzunehmen. Wer mehr als 15 Prozent seines Jahresverdienstes einzahlen müsste, den unterstützt der Staat.

Henkes Modell hat allerdings einen Haken: Die Umsetzung ist immens teuer. Das Problem ist die Umstellung vom Umlage- auf das Kapitaldeckungsverfahren. Für über 60-Jährige können die Versicherungen nicht mehr genügend Kapital ansparen. Deshalb müsste der Staat mit Steuermitteln einspringen: im ersten Jahr der Umstellung wären das zunächst 21,5 Milliarden, im achten und letzten Jahr gut 136 Milliarden Mark. Eine Menge Geld - aber, so sagt Gesundheitsfachmann Henke, "ohne die Umstellung wird es noch teurer: Eine Verdopplung des Beitragssatzes würde in wenigen Jahren jährliche Zusatzkosten von 246 Milliarden Mark bedeuten", rechnet er vor. Außerdem sei sein Finanzierungsmodell zukunftssicher. Henke: "Wolke sieben sozusagen."

Dass der hohe Transferbedarf jeden Finanzminister das Gruseln lehren würde, ist aber nicht das einzige Problem. Zwei Billionen Mark zusätzliches Kapital, die Rückstellungen für die Gesundheitsversorgung, flössen an die Finanzmärkte. Können sie diese Belastung verkraften? Oder würde dies die Renditen aller Anleger abschmelzen lassen? Und was passiert, wenn die Börse crasht? Geht dann das Gesundheitssystem pleite? "Das Anlagevolumen ist verkraftbar", wiegeln die Vereinte-Experten ab.

In der Politik redet offen noch niemand über das Kapitaldeckungs-Modell, einzig Marburger-Bund-Chef Frank Ulrich Montgomery macht sich dafür stark. Bis das Thema in Berlin aufs Tapet komme, sei es aber "nur eine Frage der Zeit", glaubt Vereinte-Chef Ulrich Rumm. Der Knackpunkt des Modells ist aber die Zukunft des jetzigen Systems: Werden die Versicherungsausgaben tatsächlich so dramatisch ansteigen? Das ist wahrscheinlich, aber nicht zwangsläufig. Denn zum einen muss technischer Fortschritt im Medizinsektor nicht unbedingt mehr Geld kosten: Neue Geräte und Medikamente können besser wirken und alte, unwirksame verdrängen.

Wie stark steigen die Beiträge?

Zum anderen ließe sich durch eine bessere Vorsorge gerade bei chronisch Kranken eine Menge Geld sparen, schreibt der Kölner Gesundheitsökonom Karl W. Lauterbach in einer Studie. Wenn außerdem die Verschwendungssucht im gesamten Gesundheitswesen bekämpft würde, ließen sich viele Effizienzreserven heben. Durch zu viele Ärzte, zu viele Krankenhausbetten, zu viele wirkungslose Arzneien und eine zu schlechte Behandlungsqualität liegen die Gesundheitsausgaben pro Kopf in Deutschland um 30 Prozent über denen der Niederlande. Doch wieviel Geld einschneidende Reformen tatsächlich sparen könnten, hat noch niemand ausgerechnet.

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