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Wirtschaft: Kurt Ehrig

(Geb. 1908)||Die einzige Enttäuschung in der Ehe: Nur Söhne, keine Tochter.

Die einzige Enttäuschung in der Ehe: Nur Söhne, keine Tochter. Er hatte Glück in allem. Dass ihm das nicht zum Verhängnis wurde, lag daran, dass er nie undankbar wurde.

Der kleine Kurt wuchs im Wedding auf, Proletenkiez, als Sohn „vom reichen Koofmann vonne Ecke“. Der Vater war geschäftstüchtig, hatte aber eine unglückliche Liebe zum Reim: „Was zum Essen ist gehörig, holst du ein beim Kaufmann Ehrig.“

Die Kinder mussten früh mithelfen im Laden, es blieb wenig Zeit für Wehwehchen. 1917 wurde der Junge am Blinddarm operiert, achtundachtzig Jahre später bekam er einen Herzschrittmacher eingesetzt – das war es an Krankheiten.

Seine robuste Kondition erwarb sich Kurt Ehrig beim Sport, erst Handball, dann Rudern; beim Rudern lernte er auch seine Frau kennen. Er blieb ihr bis zum Ende treu. Er wünschte sich neben den Jungs auch eine Tochter, sie gebar vier Söhne, das blieb die einzige Enttäuschung in der Ehe.

Das Leben im Kolonialwarenladen war Kurt Ehrig zu eintönig, also lernte er bei Siemens Einzelhandelskaufmann.

Als dort, Anfang der dreißiger Jahre, die erste Rationalisierungswelle einsetzte, und über die Hälfte der kaufmännischen Angestellten durch Rechenautomaten und Lochkartenmaschinen ersetzt wurden, sah Kurt Ehrig seine Chance gekommen: Er machte sich als Vertreter für halbautomatische Rechenmaschinen selbstständig.

Das Geschäft lief gut, den größten Umsatz machte er an einem Freitag, dem 13., im Jahr 1939: Eine Buchungsmaschine und zwei Rechenmaschinen im Gesamtwert von 13 500 Reichsmark.

Wenige Monate später erhielt er den Einberufungsbefehl zur Polizeireserve. Die erfahrenen Polizisten taten bald darauf in den besetzten Gebieten Dienst, und die Reservisten traten an ihre Stelle. Eine geruhsame Anfangszeit, bis er den Marschbefehl nach Russland erhielt, Standort Minsk. Er wurde Kraftfahrer bei der Film- und Bildstelle und fuhr mit einem Filmvorführer im Mercedes an die Front, um den Soldaten Marika Rökk nahe zu bringen.

Er entkam knapp der russischen Gegenoffensive und kehrte heim ins Berlin der Luftangriffe. Am Tag als seine Hauptdienststelle zerstört wurde, war er außer Haus. Acht seiner Kollegen wurden vermisst. Er stellte einen Suchtrupp zusammen und fand sie, die Gesichter klar zu erkennen, aber ihre Körper zerfielen bei der ersten Berührung.

Sein Haus blieb unzerstört. Die Luftmine war drei Häuser weiter explodiert.

1947 machte sich Kurt Ehrig selbstständig. Eine Leica war ihm vom Krieg geblieben. Die Tauschgeschäfte begannen und die Suche in den Trümmern. Aus dem Schutt holte er Rechenmaschinen, arbeitete sie mit einem befreundeten Mechaniker auf. Die Handmaschinen waren begehrt, denn was nützte Elektronik, wenn der Strom ausfiel. Zwei Maschinen passten in den Luftwaffenrucksack. Dann fand sich ein Amerikaner, der ihm einen VW Käfer verkaufte, und das Wirtschaftswunder begann.

Die Firma Ehrig, „Ihr Pluspunkt im Büro“: Anfangs nur ein Vertrieb für Rechen- und Buchungsmaschinen, mechanische Dinosaurier, später EDV-Komplettlösungen. Dass Kurt Ehrig Schritt hielt, lag daran, dass er sich den Instinkt für die Nische und kundenfreundliche Prinzipien bewahrt hatte: „Jedes Ding an seinem Ort; spart viel Zeit und manches Wort.“

Mit 65 übergab er den Söhnen die Geschäftsführung, gerudert hat er bis 75.

Nur ein großer Kummer suchte ihn im Alter heim: Seine Frau starb wenige Monate vor der diamantenen Hochzeit. Aber es war „ihr Tod“, der Tod, den sie sich gewünscht hatte: Herzstillstand, zu Hause, in seiner Nähe.

Ihm blieben elf Enkel, vier Urenkel, über achtzig Mitarbeiter und die Gewissheit, alles geordnet zu haben. Dem Pfarrer trug er auf, Psalm 103 lesen zu lassen: „Lobe den Herrn, meine Seele, / und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“

Auch diesen Nachruf hier hat er selbst angeregt, nicht aus Eitelkeit, sondern weil er felsenfest glaubte, dass Glück ansteckend sein kann.

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