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Manche Friseure wurden in eine Scheinselbstständigkeit gedrängt, um den Mindestlohn zu umgehen.

© Cratsen Rehder / dpa

Lohndumping: Wie Unternehmen den Mindestlohn umgehen

Der Mindestlohn ist per Gesetz verordnet, seit 100 Tagen gibt es ihn in Deutschland. Doch nicht bei allen Arbeitnehmern kommt das auch auf dem Konto an: Manche Arbeitgeber sind sehr kreativ, wenn es darum geht, sich um den Mindestlohn zu drücken.

Seit 100 Tagen gibt es den Mindestlohn in Deutschland, doch manche Arbeitgeber winden sich, ihn tatsächlich zu zahlen. „Umgehungsversuche“ nennen die Gewerkschaften das. Und dabei zeigen sich die Unternehmen ziemlich trickreich – denn legal ist das natürlich nicht. 18 Prozent aller Deutschen haben das entweder bereits selbst erfahren oder kennen solche Vorfälle aus dem Bekanntenkreis. Das hat eine repräsentative Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ergeben.

Im Baugewerbe gibt es schon länger einen tariflichen Mindestlohn. Ruprecht Hammerschmidt, Sprecher bei der IG Bauen, Agrar und Umwelt, befürchtet, dass sich die Muster, wie die Unternehmen hier versuchen, den Mindestlohn zu umgehen, in andere Branchen fortpflanzen werden. Bei der Gebäudereinigung ist das zum Beispiel die Masche mit unbezahlten Überstunden. „Man gibt den Mitarbeitern einfach mehr auf, als sie schaffen können – und die mucken nicht auf, weil sie oft nur befristete Verträge haben, die dann nicht verlängert werden.“

Manche Arbeitnehmer wurden unter Druck gesetzt

Beim gesetzlichen Mindestlohn wird besonders gern in der Hotellerie und im Bäckergewerbe getrickst. Das liegt vor allem daran, dass beides Branchen mit wenig Tarifbindung und niedrigen Löhnen sind. Gleichzeitig sind es Bereiche, in denen überproportional häufig ungelernte Menschen arbeiten. Weit verbreitet sind – und da gibt es tatsächlich Parallelen zum tariflichen Mindestlohn – Tricksereien mit den Arbeitszeiten oder der Arbeitszeiterfassung. „Im Januar sind vielen Arbeitnehmern neue Arbeitsverträge vorgelegt worden“, sagt Sebastian Riesner, Gewerkschaftssekretär bei der Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten (NGG). „Auf diese Weise sind ihnen dann Arbeitszeitkonten untergejubelt worden.“ Geleistete Mehrarbeit wandert auf das Zeitkonto und am Monatsende wird dann der alte Lohn ausgezahlt. Der Rest verbleibt als virtuelle Stunden auf dem Konto. „Wir befürchten, dass diese Mehrstunden dann irgendwann im Nirwana verschwinden“, sagt Riesner. Vereinzelt wurden die Arbeitnehmer auch unter Druck gesetzt. Manchen, die dem Arbeitszeitkonto nicht zustimmen wollten, wurde angedroht, dass sie im kommenden Monat gar keinen Lohn bekommen würden, erzählt er.

"Das treibt manchmal merkwürdige Blüten"

Oder die Arbeitgeber reduzieren die vertraglich vereinbarten Stunden. „Wir gehen davon aus, dass die Mehrstunden trotzdem geleistet werden, denn sonst hätten die Arbeitnehmer ja vorher zu viel gearbeitet“, sagt Riesner. In diesen Fällen werden diese Stunden entweder gar nicht mehr oder schwarz vergütet. Ein weiterer Trick ist es, den Beginn der Arbeit umzudefinieren. Marion Knappe, Sprecherin beim DGB, weiß von einem Fall, bei dem die Arbeitszeit bei einem medizinischen Fahrdienst seit dem Jahreswechsel erst dann beginnt, wenn die Angestellten beim ersten Kunden sind. Vorbereitungen und Anfahrt gelten nicht mehr als Arbeitszeit.

Oder Angestelltenverhältnisse werden zu Selbstständigkeiten umdeklariert. Dass ein Friseur als Selbstständiger einen eigenen Stuhl „bewirtschaftet“, ist mittlerweile nicht mehr ganz neu. Vereinzelt versuchten Inhaber von Restaurants, solche Modelle auch auf ihre Kellner zu übertragen, die dann nur noch für bestimmte Tische zuständig sein sollten. „Das treibt manchmal merkwürdige Blüten“, meint Knappe.

Es gibt auch eine legale Strategie

Manche Arbeitgeber begleichen die Differenz zwischen dem alten und dem neuen Lohn auch mit Naturalien. Ob Sauna oder Solarium, den Mitarbeitern werden Gutscheine für kostenlose Benutzung angeboten. Teilweise dürfen die Mitarbeiter in Bäckereien übrig gebliebenes Brot oder Gebäck mitnehmen, in Kinos auch mal Popcorn. Aber: „Das ist nicht zulässig“, sagt Sebastian Riesner von der NGG.

Es gibt aber auch eine legale Strategie, dass trotz Mindestlohn hinterher nicht mehr Geld auf dem Konto landet: Tariflich vereinbarte Zuschläge wie solche für Nachtdienste dürfen nicht mit dem höheren Lohn verrechnet werden. Aber es steht dem Arbeitgeber frei, freiwillige Leistungen wie Weihnachtsgeld abzuschaffen, so dass auch mit Mindestlohn unter dem Strich nicht mehr beim Arbeitnehmer ankommt.

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