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Das Parlament schützt sich vor dem Volk. Das Sparprogramm der Regierung hatte zu Demonstrationen und militanten Protesten geführt. Jetzt droht eine Eskalation. Foto: dpa

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Wirtschaft: Neue Hiobsbotschaften aus Athen

Die Wirtschaft schrumpft, die Schulden wachsen. Die Regierung denkt über weitere Einsparungen nach

Athen - Griechenlands Wirtschafts- und Finanzlage wird trotz der milliardenschweren Hilfskredite immer prekärer. Die Konjunktur stürzt weiter ab. Die Steuereinnahmen brechen weg, der Haushalt droht zu entgleisen. Die steigende Arbeitslosigkeit belastet die ohnehin defizitären Sozialkassen und sorgt für wachsende soziale Spannungen.

Erst Ende Juni hatte die Athener Regierung ihr jüngstes Sparpaket durchs Parlament gebracht – begleitet von Streiks und militanten Protesten. Jetzt denkt Finanzminister Evangelos Venizelos bereits über neue Einschnitte nach. Denn das Ziel, das Haushaltsdefizit in diesem Jahr von 10,5 auf 7,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zurückzufahren, ist in Gefahr.

Das werden auch die Inspekteure der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) feststellen, die ab dem heutigen Montag in Athen wieder, wie alle drei Monate, die Bücher prüfen. Was sie erwartet, sieht nicht gut aus. In den ersten sieben Monaten gingen die Steuereinnahmen gegenüber dem Vorjahr von 28,7 auf 26,8 Milliarden Euro zurück. Zugleich stiegen die Ausgaben von 38,2 auf 40,9 Milliarden. Das Defizit wird also nicht kleiner, es wächst: von 12,45 Milliarden Euro im Vorjahr auf jetzt 15,57 Milliarden.

Die Misere geht vor allem auf das Konto der Rezession. Im ersten Halbjahr brach die Wirtschaftsleistung um 7,5 Prozent ein. Finanzminister Venizelos, der für das Gesamtjahr bisher mit einem Minus von 3,8 Prozent rechnete, musste jetzt seine Konjunkturprognose korrigieren: er erwartet nun einen Rückgang des BIP um „mehr als 4,5 Prozent“. Analystenschätzungen gehen sogar in eine Größenordnung von über fünf Prozent. Damit scheint sich der Abschwung gegenüber 2010, als Griechenlands Wirtschaft um 4,5 Prozent einbrach, sogar noch zu beschleunigen. Das Defizitziel dürfte angesichts der schwachen Konjunktur kaum zu erreichen sein. Volkswirte von Credit Suisse erwarten statt der angepeilten Defizitquote von 7,6 Prozent einen Fehlbetrag von zehn Prozent des BIP.

Finanzminister Venizelos schließt weitere Sparmaßnahmen nicht aus, um das Budget wieder ins Lot zu bringen. Er versichert zwar, sie sollten nicht zulasten der kleinen und mittleren Einkommen gehen. Aber neue Einschnitte wären politisch nur sehr schwer durchsetzbar. Ohnehin haben die Gewerkschaften für den Herbst neue Streiks und Proteste angekündigt. Zudem würden weitere Einsparungen und Steuererhöhungen dem Wirtschaftskreislauf noch mehr Geld entziehen. Das könnte die Rezession weiter verschärfen.

Ging die Regierung bisher davon aus, dass die griechische Wirtschaft im kommenden Jahr um 0,6 Prozent wachsen werde, erwarten Analysten laut einer Umfrage des „Wall Street Journals“ für 2012 einen weiteren Rückgang des BIP um etwa zwei Prozent. Damit würde Griechenlands Wirtschaft bereits im vierten Jahr in Folge schrumpfen. Eine Besserung ist nicht in Sicht.

Katastrophale Folgen hat die Rezession für den Arbeitsmarkt. Der griechische Gewerkschaftsbund erwartet, dass die Arbeitslosenquote, die im Mai 16,6 Prozent betrug, im Herbst auf 18 Prozent klettern wird. Im nordgriechischen Mazedonien liegt die Quote schon jetzt bei knapp 25 Prozent. Unter den 15- bis 24-jährigen Griechinnen und Griechen sind landesweit sogar vier von zehn ohne Arbeit. Welche soziale Sprengkraft in der hohen Jugendarbeitslosigkeit steckt, zeigte sich während der schweren Unruhen, die Ende Juni die griechische Hauptstadt erschütterten. Gerd Höhler

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