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Manche Neubaustrecken sind für Tempo 300 konzipiert.

© Candy Welz/dapd

Neue Strecken: In einem Zug von Berlin nach Palermo

Der transeuropäische Zugverkehr wird ausgebaut - und Berlin ist dabei: Eine der Routen führt von der Hauptstadt bis nach Sizilien. Die Fahrt nach München soll ab 2017 nur noch knapp vier Stunden dauern. Zehn Milliarden Euro kostet allein dieses Teilstück.

Ingulf Leuschel nennt sie einfach „Papa“. Für die EU gehört sie zu den Transeuropäischen Netzen der Bahn, „Trans-European Transport Network-Train (TEN-T)“ genannt. Und Berlin ist dabei. Eine dieser Routen führt von der deutschen Hauptstadt über München–Innsbruck–Verona/Mailand–Bologna–Neapel–Messina bis Palermo auf Sizilien. Rund 2200 Kilometer lang. Das Kernstück in Deutschland, die Neubaustrecke durch den Thüringer Wald, soll Ende 2017 fertig sein und die Fahrzeiten zwischen Berlin und München drastisch verkürzen. Erheblich länger wird es dauern, bis es eine durchgehende schnelle Verbindung „Pankow–Palermo“ gibt, die Leuschel, der Konzernbeauftragter der Deutschen Bahn für Berlin ist, griffig als „Papa“ bezeichnet.

Vorgesehen sind die europäischen Routen vorwiegend für den Güterverkehr, der auch auf der Schiene wachsen und die Autobahnen entlasten soll. Die Bahn soll vor allem Container transportieren und Lastwagen oder deren Sattelanhänger als rollende Landstraße ans Ziel bringen. Dabei seien durchaus Langläufe von Skandinavien bis Italien oder in Ost-West-Richtung von Madrid über Paris bis Budapest möglich, sagt Leuschel.

Personenzüge werden dagegen in der Regel nur einzelne Abschnitte der europäischen Routen befahren. Aber auch heute gibt es bereits umsteigefreie ICE-Verbindungen von Berlin bis Innsbruck. Den Autozug auf dieser Route hat die Bahn allerdings jetzt gestrichen. Fast acht Stunden dauert die Fahrt mit dem ICE heute; allein bis München ist man rund sechs Stunden unterwegs. Aber Ende 2017 soll es viel schneller gehen. Dann soll die Neubaustrecke von Erfurt bis Ebensfeld bei Nürnberg fertig sein, die auf zahlreichen Brücken und durch Tunnel durch den Thüringer Wald führt. Zwei Jahre vorher soll auch die neue Trasse von Halle/Leipzig bis Erfurt eröffnet werden. Von Berlin bis Leipzig ist die Strecke seit 2006 ausgebaut – für Tempo 200. Die Neubaustrecken sind dagegen für Tempo 300 konzipiert. Mit sogenannten Sprintern, die zwischen Berlin und München nicht stoppen, sind die Züge auf der über 670 Kilometer langen Strecke nur noch rund 3,45 Stunden unterwegs – von Hauptbahnhof zu Hauptbahnhof. Damit wird die Bahn gegenüber dem Flugzeug auch zeitlich konkurrenzfähig. Das Auto kann sowieso nicht mithalten. Mit Stopps unterwegs wird die Fahrt aber auch nur noch maximal viereinhalb Stunden dauern – zum Teil sollen die Züge zwei Mal innerhalb einer Stunde fahren.

Der Zeitgewinn erfordert aber auch einen hohen Aufwand. Etwa zehn Milliarden Euro wird der Aus- und Neubau zwischen Berlin und Nürnberg kosten. Zwischen Nürnberg und Ingolstadt rasen die Züge bereits seit 2006 auf einer neuen Trasse. Die Fahrzeit zwischen Nürnberg und München hatte sich dadurch um rund 30 Minuten auf etwa eine Stunde verkürzt. Rund 3,5 Milliarden Euro hat dieser Neubauabschnitt gekostet. Das meiste Geld steuert der Bund bei, mit kleineren Beträgen sind auch die Bahn und die EU dabei.

Dabei war der Aus- und Neubau zwischen Berlin und Nürnberg zunächst ein nationales Projekt. Nach der Wende hatte die Bundesregierung bereits 1991 in einem Hauruck-Verfahren den Bau von insgesamt 17 Autobahn-, Bahn- und Wasserstraßen-Verbindungen beschlossen, die den Verkehr zwischen Ost und West verbessern sollten, Verkehrsprojekte Deutsche Einheit (VDE) genannt. Als VDE 8 firmiert die Strecke Berlin–Nürnberg. Um Zeit zu gewinnen, vereinfachte man das Genehmigungsrecht. Klagen gegen die Vorhaben waren nur in einer Instanz gleich vor dem Bundesverwaltungsgericht möglich.

So konnten bereits 1996 erste Arbeiten beginnen. Doch schon zwei Jahre später stoppte die damalige rot-grüne Bundesregierung den Bahnbau durch den Thüringer Wald. Dem Weiterbau der in den VDE-Projekten ebenfalls vorgesehenen Autobahnen A 71 (Erfurt–Schweinfurt) und A 73 (Suhl–Lichtenfels–Bamberg) stimmten auch die Grünen damals zu. Diese Bauten sind längst fertig.

Beim Brückenbau haben die Ingenieure Neuland betreten.

Erst 2005, kurz bevor das Baurecht ausgelaufen wäre, ging es dann doch weiter. Wie viel Geld durch den verordneten „qualifizierten Baustopp“ verloren gegangen ist, kann – oder will – der heutige Projektleiter für den Abschnitt Halle/Leipzig–Erfurt, Marcus Schenkel, nicht sagen. Wichtig für ihn sei, dass man derzeit wieder im aktualisierten Zeitplan sei. Die Ingenieurbauwerke zwischen Halle/Leipzig und Erfurt stehen im Rohbau; lediglich bei der Saale-Elster-Talbrücke fehlt noch der Einbau einer Stahlbrücke. Die ansonsten betonierte Brücke ist mit 8614 Metern die längste in Deutschland.

Beim Brückenbau haben die Ingenieure nach Schenkels Angaben zum Teil Neuland betreten. Die Pfeiler sind schlanker konstruiert als sonst üblich. Weiterentwickelte Rechenverfahren hätten dies ermöglicht, sagt Schenkel.

In Deutschland ist das Ende der Arbeiten beim Projekt VDE 8 absehbar. Mindestens bis 2025 wird es dagegen am Brenner dauern, bis dort ein neuer Tunnel die Strecken zwischen Österreich und Italien verbinden wird. Wie zunächst in Deutschland kam der Bau des Brennertunnels nur langsam in die Gänge. Fast im Jahresrhythmus stellen die Politiker in Wien den Weiterbau infrage. 8,5 Milliarden Euro sollen die Röhren kosten; etwa 430 Millionen Euro seien bisher ausgegeben, sagt Simon Lochmann von der Brenner-Basistunnel-Gesellschaft. Mit der schon vorhandenen Umfahrung von Innsbruck für Güterzüge wird der neue Brennertunnel insgesamt 64 Kilometer lang und damit zum längsten Bahntunnel weltweit werden. Würde der Tunnel nicht gebaut, müsste der Verkehr auf der Straße bewältigt werden – auch mit überlangen Lastwagen, Gigaliner genannt, die am Brenner fast niemand wolle, begründet Lochmann den Tunnelbau.

Ob der Betrieb nach der Fertigstellung reibungslos rollen wird, ist aber nicht gesichert. Zumindest in der Vergangenheit hat die italienische Staatsbahn den Konkurrenten aus Österreich und Deutschland das Leben oft schwer gemacht. Für durchgehende Fernzüge von und nach Italien verkauften die Staatsbahner keine Fahrscheine, und im Fahrplan tauchten die Züge auch nicht auf. Gelegentlich seien Wagen beim Rangieren auch „vergessen“ worden, berichten Eisenbahner. Doch inzwischen habe sich die Lage entspannt – auch dank des TEN-T-Projekts.

Unterstützt wird das System vom Grünen-EU-Abgeordneten Michael Cramer. Er bemängelt aber, dass – auch mit Unterstützung der EU – bisher meist in nationale Vorhaben investiert werde. Wichtiger sei es aber, die grenzüberschreitenden Strecken auszubauen. In Deutschland fehlt zum Beispiel im großen TEN-T-Korridor ein Streckenausbau zwischen München und Wörgl in Österreich. Hier ist es bisher bei Plänen geblieben. Am Gotthard in der Schweiz sieht es ähnlich aus. Wenn dort der neue Tunnel wahrscheinlich 2017 fertig sein wird, fehlt auf deutscher Seite noch auf Jahre der Ausbau der Oberrhein-Strecke.

Und ob es jemals wirklich durchgehende Züge von Pankow in Berlin nach Palermo geben wird, ist äußerst ungewiss. Voraussetzung wäre ein Brückenschlag vom Festland nach Sizilien, der teuer und umstritten ist. „Papa“ muss wahrscheinlich noch sehr lange warten.

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