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Wirtschaft: Peter Michael Grosz

(Geb. 1926)||Er wollte ein ganz normaler Amerikaner sein.

Er wollte ein ganz normaler Amerikaner sein. Diese alten Männer mit Zigarre in ihren abgetragenen Anzügen, am anderen Ufer des Atlantiks gestrandete Schriftsteller und Künstler, die sich bei „Pop“ trafen. Das große Palaver um die fernen Tage in Berlin, die Politik, der Krieg, die Kunst, die jämmerliche Existenz. Peter mochte das nicht. Er türmte aus dem Haus – „out with the boys“, sagte sein jüngerer Bruder, wenn jemand nach ihm fragte. Peter war der Unternehmungslustige, der Praktische – „I was Handarbeiter. Ich habe gesägt.“

Das Leben auf Long Island in einer amerikanischen Vorstadtsiedlung, im eigenen Haus. Materiell ging es den Grosz’ gut. Vater George, den die Söhne „Pop“ nannten, unterrichtete an der Art Students League in New York, zeichnete, verkaufte seine Bilder. Im Sommer waren sie am Strand von Cap Cod, bauten Burgen wie früher an der Ostsee, in Ahrenshoop oder auf Bornholm. Peter liebte es, mit seinem Vater Treibgut zu sammeln und damit die Sandburg zu schmücken. George Grosz war ein guter Vater, einer, der Orientierung und Selbstvertrauen vermittelte.

Peter nabelte sich früh ab, wurde 1944 zur Navy einberufen und vermied es, mit seinen Deutschkenntnissen zu prahlen. Als Dolmetscher nach Deutschland zurück wollte er auf keinen Fall. Seine Heimat war eine ferne Erinnerung, die er erfolgreich ausblendete. Er wollte ein ganz normaler Amerikaner sein. Nach dem Krieg studierte er in Harvard Physik und arbeitete in Princeton in verschiedenen Forschungslabors. Das künstlerische Erbe des Vaters anzutreten, hatte er seinem kleinen Bruder Martin überlassen. Der gab das Zeichnen aber auch bald auf und wurde Jazz-Musiker.

Als Peter sein eigenes Leben unabhängig und erfolgreich eingerichtet hatte, holte ihn die Vergangenheit ein. Vater George, der seine Seele dem Teufel Alkohol verkauft hatte, starb 1959 nach einem Zechgelage mit Freunden in Berlin. Im Testament hatte er Peter als Nachlassverwalter bestimmt. Ein ungeheurer Wust an Briefen, Skizzen und Dokumenten musste durchgesehen werden. Grosz hatte jeden Papierschnipsel aufgehoben.

Peter erwies sich der Fleißarbeit würdig. In Archiven und Nachlässen herumzustöbern, bereitete ihm auch sonst Vergnügen. Vorzugsweise waren es Pioniere des Flugzeugbaus, in deren vergilbte Konstruktionszeichnungen und Testberichte er sich einlas, auch wenn die Schrift Sütterlin war. Peter Grosz hatten es die Flugzeuge aus dem ersten Weltkrieg angetan. „The German Giants“ heißt sein erstes Buch, riesige Doppeldecker, mit denen die kaiserliche Luftwaffe sporadisch ein paar Bomben auf London abwarf. Danach arbeitete er jahrelang die Flugzeugentwicklung in der k. u. k.-Monarchie auf. Es entstand wieder ein Standardwerk. Deutsche Gründlichkeit und Disziplin, gepaart mit amerikanischer Lebensfreude und Begeisterungsfähigkeit: Die Mixtur brachte ihm viele Freunde und Meriten ein. Dem Berliner Technikmuseum hat er beim Aufbau der Luftfahrtausstellung geholfen. Auch dafür erhielt er 2005 das Bundesverdienstkreuz.

Ihm ging es weniger um die Heldengeschichten, den „Roten Baron“ von Richthofen und seine Luftkämpfe. Grosz interessierte sich für die technischen Kniffe, etwa die „Maschinengewehrsynchronisation“, die es möglich machte, durch den Propeller hindurchzuschießen. Fiel die Technik mal aus, zerschoss der Pilot seinen eigenen Antrieb. Mit den Jahren wurde Grosz zum internationalen Experten für die deutsche Fliegerei zwischen 1914 und 1918.

Natürlich fragten ihn Journalisten, wie er sich als Sohn eines berühmten Antimilitaristen gerade diesem Thema verschreiben konnte. Grosz erzählte dann immer die Geschichte aus der Zeit, als er zusammen mit seinem Bruder für ein Jahr bei einer Tante lebte, am Mehringdamm, fünfte Etage. Immer wenn eine Junkers-Maschine in Tempelhof den Motor losbrummen ließ, rief die Tante sie auf die Loggia. Mit dieser Anekdote war zwar nichts in Sachen Vater-Sohn-Beziehung geklärt, aber die Neugier war doch irgendwie befriedigt.

Peter Grosz driftete nie von den klaren Fakten ins Metaphysisch-Grüblerische. Er verband die Historiographie mit der Humoristik, verkündete nach einem Vormittag zwischen Aktenbündeln: „Gegen Archivstaub hilft nur Doppelkorn“. Zu Hause in Princeton pflegte er seine Pokerrunde und ging segeln. Ehemalige Princeton-Studenten aus Berlin, die er mit seiner Frau betreute, erinnern sich an ein offenes Haus und viele Stehpartys. Und an die Originale von Braque, Picasso und „Pop“ an den Wänden. Im Esszimmer hing ein Grosz-Bild, Leute beim Schweinshaxe- essen, mit triefendem Fett.

Ein Museum für seinen Vater in Berlin, das hätte Peter Grosz gerne noch erlebt. Den Wunsch inklusive der Verwaltung der privaten Grosz-Sammlung hatte er bereits an seine Tochter Karin weitergereicht. Sie starb jedoch kurz vor ihm an Lungenkrebs. Peter Grosz hat sich von diesem Schlag nicht mehr erholt; er selbst litt an einem Gehirntumor.

Sein Archiv zur deutschen Luftfahrtgeschichte, darunter allein 40 000 Fotos, hat er dem Technikmuseum vermacht. Es ist alles wohlgeordnet und systematisch gegliedert, in deutsche Leitz-Ordner im DIN-A-4-Format abgeheftet. Man kann sie einfach aufstellen und benutzen.

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