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Stetig mehr Pflegebedürftige gibt es in der alternden Gesellschaft. Ohne erheblich bessere Arbeitsbedingungen wird es nicht genügend Pflegekräfte geben.

© Christophe Gateau/dpa

Plädoyer für steigende Beiträge: Eine bessere Pflege ist überfällig

Der Berliner Ökonom Gert G. Wagner erklärt, wie die familiäre und professionelle Pflege verbessert werden könnte. Ein Gastbeitrag.

In den Weihnachtstagen wird gerne ein bürgerliches Idealbild der Familie gezeichnet, in der Harmonie geherrscht hat. Dass das zu Lasten der Frauen ging, Ehefrauen und Dienstmägden, wird dann gerne verdrängt. Dass die Familienrealität heute von der Überzeugung der Gleichberechtigung geprägt ist und dazu auch Alltagskonflikte gehören, merkt man auch unterm Weihnachtsbaum. Zur Gleichberechtigung gehört, dass beide Partner genug Zeit für Hausarbeit und Familienleben haben - dazu gehören professionelle Kinderbetreuung und Pflege. Beide Bereiche sind noch ausbaufähig. Schlechte Betreuung und Pflege wird in der Weihnachtszeit für viele Betroffene, die fast den ganzen Tag einsam sind, als besonders schlimm empfunden. Wie können familiäre und professionelle Pflege verbessert werden?

„Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren"

Jeder einzelne Pflegebedürftige hat das Recht auf menschenwürdige Pflege. Es ist erstaunlich, dass die Politik so lange gebraucht hat, bis sie die Brisanz des Themas erkannt hat. Auch junge Leute sind heutzutage für den Ausbau professioneller Pflege, denn auch Junge wollen einmal gut gepflegt werden. Schon im vierten der Zehn Gebote wird dies ziemlich offen angesprochen: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt.“ Die Begründung für das Gebot erinnert die Jungen daran, dass sie im Alter gut leben wollen - und das geht nur, wenn die dann Jungen das finanzieren. Das vierte Gebot ruft den erwachsenen Kindern die Pflichten gegenüber den Eltern in Erinnerung. Und das geht heute nicht nur durch persönliche, sozusagen ehrenamtliche Pflege, sondern professionelle Pflege gehört dazu.

Der Beitrag zur Pflegeversicherung steigt um 0,5 Prozentpunkte auf 3,05 Prozent (3,3 Prozent für Kinderlose). Die Anhebung ist notwendig, weil die Leistungsverbesserungen der letzten Jahre stärker als erwartet in Anspruch genommen werden. Und die Krankenkassen werden jetzt 13 000 Pflegestellen in der Altenpflege und jede zusätzliche Pflegestelle im Krankenhaus finanzieren. Gebraucht werden allerdings noch viel mehr Kräfte. Deswegen werden künftig die Vergütungen von Auszubildenden in der Kinderkrankenpflege, Krankenpflege und Krankenpflegehilfe im ersten Ausbildungsjahr vollständig von den Kostenträgern refinanziert. Die Verbesserung schafft einen deutlichen Anreiz, mehr auszubilden. Da auch die Löhne für Pflegende steigen sollen, sind weitere Anhebungen des Beitragssatzes der Pflegeversicherung absehbar.

Höhere Beiträge

Nun gibt es aber auch erwachsene Kinder und Verwandte, die ihre Angehörigen selbst pflegen wollen. Hier sollte noch mehr getan werden. Die Kindererziehung kann ein Vorbild sein, wo für jedes Kind die Erziehungsperson Rentenanwartschaften erhält, die so hoch sind, wie sie sich in drei Jahren aus einem Durchschnittslohn ergeben würden. Pflege wirkt sich meist weniger rentensteigernd aus. Seit 2017 kann zwar für nicht erwerbsmäßig Pflegende ein Rentenanspruch von bis zu einem Entgeltpunkt pro Pflegejahr entstehen; dieser Fall ist allerdings nur bei voller Pflege eines Pflegebedürftigen im höchsten Pflegegrad vorgesehen und dürfte damit in der Praxis kaum vorkommen, denn die Rentenanwartschaften werden gekürzt, wenn Leistungen der ambulanten Pflege in Anspruch genommen werden.

Können wir uns das leisten? Wenn wir wollen, können wir uns das leisten, da letzten Endes die Beitragszahlerinnen und -zahler selbst die Last tragen. Wenn die Beitragssätze der Sozialversicherungen steigen, steigen die ausgezahlten Direktlöhne etwas weniger. Höhere Beitragssätze führen zu weniger sichtbaren Lohnsteigerungen. Wenn die Zeiten schlecht sind und die Gewerkschaften nur geringe Lohnsteigerungen durchsetzen können, dann tun steigende Beitragssätze besonders weh und sind politisch kaum machbar. Insofern sind die Zeiten im Moment günstig, um eine bessere Pflege mit Hilfe steigender Beitragssätze zur Pflegeversicherung zu erreichen, da auch die Löhne ausreichend steigen.

Der Berliner Ökonom Gert G. Wagner ist Mitglied der Sozialkammer der Evangelischen Kirche in Deutschland.

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