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Grün oder nicht? Die Kühltürme eines Atomkraftwerks.

© picture alliance /Michael Bihlmayer

Renaissance oder nicht?: Die Zukunft der Atomernergie in der EU

Deutschland ist aus der Kernkraft ausgestiegen, andere EU-Staaten planen den Einstieg. Zwei Gruppen von Staaten stehen sich gegenüber.

Am Abend des 15. April gingen die letzten drei deutschen Kernkraftwerke vom Netz. In manchen EU- Mitgliedsstaaten sorgt das für Diskussionen. „Bei unseren europäischen Nachbarn herrscht großes Unverständnis über den Zeitpunkt des deutschen Ausstiegs“, sagte der deutsche Europaabgeordnete Peter Liese (CDU). So sei beispielsweise den Niederländern schwer zu erklären, dass sie mehr Erdgas fördern sollten, während Deutschland seine Kraftwerke abschalte.

Auch die Internationale Energieagentur (IEA) bezeichnet die Kernkraft als Schlüssel auf dem Weg zur Klimaneutralität – und sieht die europäische Zerrissenheit diesbezüglich kritisch. „Wenn sich der Staub der Krise der russischen Invasion in der Ukraine legt, denke ich, dass sich die europäischen Regierungen – besonders einige von ihnen – hinsetzen und ernsthafte Selbstkritik an ihrer Energiepolitik üben müssen“, sagte IEA-Chef Fatih Birol jüngst auf einer Konferenz in Paris.

Eine Atom-Allianz ist entstanden

Teilt sich Europa in Atom-Befürworter und Gegner? Das Geschehen der letzten Monate lässt das vermuten. Ganz offiziell, mitsamt Abschlussdokument und Besuch von EU-Energiekommissarin Kadri Simson, hat sich eine Gruppe von Mitgliedstaaten zu einer Atom-Allianz zusammengetan. Frankreich hatte beim EU-Gipfel im Februar den Anstoß dazu gegeben.

Zu den elf Staaten der Atom-Allianz gehören Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Finnland, Frankreich, Ungarn, die Niederlande, Polen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien. Italien, das ursprünglich der Allianz beitreten wollte, tat dies schließlich doch nicht. Auch Schweden verzichtete darauf, um während seiner derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft neutral zu bleiben. Parallel zum Treffen der Atom-Staaten lud Österreich die „Freunde der erneuerbaren Energien“ zu einem Treffen, bei dem neben Deutschland auch Estland, Spanien, Dänemark, Irland, Luxemburg, Portugal, Lettland und Litauen vertreten waren.

Diese Gruppe spricht sich gegen eine Anerkennung der Kernkraft als Beitrag zu Erreichung der europäischen Klimaziele aus. Im Oktober 2022 hatte Österreich Klage beim Europäischen Gerichtshof gegen die Anerkennung der Kernkraft als nachhaltig im Rahmen der EU-Taxonomie eingereicht, einem Kriterienkatalog für nachhaltige Investitionen.

Es sind nicht die einzigen Beispiele dafür, wie die verschiedenen Positionen zur Kernkraft Europa spalten. Längst wirkt sich die Atomdebatte auf die Gesetzgebung in Brüssel aus. In den vergangenen Monaten hatte sich vor allem Frankreich massiv dafür eingesetzt, die Kernkraft zur Produktion „kohlenstoffarmer Gase“, also im Wesentlichen Wasserstoff, im Rahmen der neu verhandelten Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) anerkennen zu lassen.

In den vergangenen Jahren hat es zahlreiche Bekundungen von Mitgliedsstaaten gegeben, wieder oder verstärkt in die Kernkraft zu investieren. Doch für den grünen Europaabgeordneten Michael Bloss steckt dahinter nicht viel. „Viele Mitgliedsstaaten machen zwar Ankündigungen, neue Reaktoren zu bauen, aber das tun sie – Beispiel Polen – schon seit 20 Jahren.“ Die Projekte würden in den meisten Fällen nicht realisiert, „weil sie sich die Kernkraft mit Blick auf die ausufernden Kosten und jahrelange Planungs- und Bauphase schlicht nicht lohnt. Keiner setzt darauf. Das macht das Ganze zu einer rein ideologischen Debatte“, sagte Bloss dem Tagesspiegel.

Tatsächlich sind in den letzten 30 Jahren in der EU nur 13 Reaktoren ans Netz gegangen, seit 2002 sogar nur drei. Andererseits wurden seit der Jahrtausendwende 34 Reaktoren abgeschaltet, hält der „World Nuclear Industry Status Report“ für das Jahr 2022 fest. Derzeit sind in zwölf EU-Ländern Kernkraftwerke am Netz. Konkrete Pläne für neue Anlagen gibt es wenige. Am weitesten fortgeschritten sind sie in Frankreich, das den Bau sechs neuer EPR-2-Reaktoren plant, die allerdings erst zwischen 2040 und 2050 in Betrieb gehen dürften. Trotz Klassifizierung der Kernkraft als nachhaltig in der EU-Taxonomie gestaltet sich die Finanzierung schwierig, da der französische Energiekonzern EDF hoch verschuldet ist.

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