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© Caro/Westermann

Rückrufaktionen: Kommando zurück!

Toyotas Probleme sind kein Einzelfall – der Fehler liegt im System der Autoproduktion. Deutsche Wettbewerber haben deshalb wenig Grund zur Schadenfreude.

Ein Audi, vier Tote und 175 Verletzte. Für den Ingolstädter Autohersteller, heute eine Marke im VW-Konzern, waren die 80er Jahre ein einziger Totalschaden. In den USA beschleunigte das Automatikmodell Audi 5000 – eine US-Variante des Audi 200 – plötzlich und ungewollt. Immer neue, tragische Verkehrsunfälle alarmierten die Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA. Audi war zu Rückrufen im großen Stil gezwungen. Obwohl die genauen Ursachen der Unfälle nie ermittelt werden konnten, war das Image der „Premiummarke“ ruiniert. Bis heute hat Audi auf dem US-Markt hart gegen BMW und Mercedes zu kämpfen – rund 30 Jahre nach den Unfällen.

Ähnliches widerfährt Toyota, in weitaus dramatischeren Dimensionen. Neun Millionen Fahrzeuge hat der größte Autohersteller der Welt in die Werkstätten zurückgerufen, mehr als die Hälfte der gesamten Modellpalette ist betroffen, darunter Bestseller wie Corolla oder Prius. Fehlerhafte Brems- und Gaspedale, Probleme bei der Software und der Lenkung. Die US-Behörde NHTSA hat 34 Tote in den USA gezählt – allesamt Opfer von Verkehrsunfällen mit offenbar defekten Toyotas. Konzernchef Akio Toyoda muss dem US-Kongress am Mittwoch persönlich Rede und Antwort stehen.

„Das ist eine Katastrophe, das kann man nicht schönreden“, sagt Burkhard Weller Geschäftsführer der Wellergruppe, Deutschlands größter Toyota-Händler. 20 Prozent weniger Neukunden als 2009 musste das Autohaus im Januar verkraften. „Das schmerzt.“ Der Händler fürchtet, dass die „Treibjagd“ auf den Hersteller weiter gehen wird. Rund 7000 Toyotas habe man 2009 verkauft, 500 weniger dürften es 2010 werden – „das holen wir nicht mehr auf“, sagt Weller.

Die Wettbewerber aus Deutschland verfolgen das Drama mit gemischten Gefühlen. Einerseits sorgen die Probleme der Qualitätsikone Toyota für eine gewisse Genugtuung. „Toyota war sich zu sicher und nicht mehr wachsam genug“, sagt einer aus der Branche, der nicht zitiert werden möchte. Andererseits stößt mancher Automanager in Wolfsburg, Stuttgart oder München auf mögliche Risiken im eigenen Produktionsprozess. „Je niedriger unsere eigenen Fehlerquoten sind, desto aufmerksamer müssen wir sein“, heißt es.

„Wir empfinden keine Schadenfreude“, betont denn auch Matthias Wissmann, Präsident des Autoverbands VDA. Er weiß, dass japanische Fabriken vor nicht allzu langer Zeit Pilgerstätten für deutsche Automanager waren. Effizienz und Schnelligkeit, gepaart mit höchster Qualität und Zuverlässigkeit waren fernöstliches Vorbild für VW & Co. Eine Antwort auf den wachsenden Kosten-, Margen- und Zeitdruck in der Branche hatten die Japaner früher als andere gefunden: Plattformen und Baukästen. Das inzwischen kopierte Produktionssystem erlaubt es, eine Vielzahl von Bauteilen und Komponenten in mehreren Fahrzeugmodellen einzusetzen, ohne dass der Kunde es merkt. Der Vorteil: Hohe Stückzahlen ermöglichen eine höhere Marge, weil nicht für jedes Modell alle Teile neu entwickelt und produziert werden müssen. Zugleich können die Produzenten so in immer kürzeren Entwicklungszyklen viele Modellvarianten anbieten, die die Kunden wünschen. Der Nachteil: Haben Teile oder Module Konstruktionsfehler, können ganze Produktfamilien lahmgelegt werden. Bei Toyota traf es auch Wettbewerber, mit denen die Japaner kooperieren: 90 000 der mit dem Toyota Aygo baugleichen Modelle Peugeot 107 und Citroën C 1 mussten ebenfalls wegen defekter Gaspedale zurückgerufen werden, die der US-Zulieferer CTS produziert hatte.

„Es steht zwar die Automarke drauf, aber eigentlich ist ein Zulieferer drin“, beschreibt Harald Bleimeister eine weitere Fehlerquelle im Gehäuse vieler Autos. Bleimeister koordiniert die Aktivitäten von „Automotive Berlin-Brandenburg“, einem Netzwerk von 216 Autozulieferern aus der Region. In den Toyota-Sog ist hier noch niemand geraten. Aber die Abhängigkeiten sind nicht an eine Marke gebunden. „Je größer die Baugruppe ist, die von einem einzigen Zulieferer stammt, desto größer ist dessen Verantwortung für auftretende Mängel“, sagt Bleimeister. Vor allem im Kleinwagensegment haben die Zulieferer de facto die Rolle der Hersteller übernommen. Der Anteil zugelieferter Module liegt hier schon bei 80 Prozent.

Lagern die Hersteller das Investitions- und Entwicklungsrisiko zum Beispiel für Motorelektronik, Fahrassistenzsysteme oder Entertainment an Zulieferer aus, können Neuwagen komplexer werden – aber auch anfälliger. Laut ADAC sind ein Drittel aller Pannen auf Elektronikmängel zurückzuführen, 80 Prozent davon sind Softwarefehler. In der Software moderner Autos stecken mehr als 100 Millionen Lines of Code (Programmzeilen). Das ist mehr als bei manchem Düsenjäger.

Um die Kosten möglicher Rückrufaktionen kalkulierbar zu machen, versichern sich Zulieferer gegen die Schäden. Die Hersteller selbst sind unversichert. „Spektakuläre Fälle schärfen das Bewusstsein für die Risiken“, sagt Andreas Dettendorfer von Munich Re. Aber: „Für kleine Zulieferer kann eine Rückrufversicherung sehr teuer werden.“ Weil die Schadenstatistik nach oben weise, müssten die Firmen mit steigenden Belastungen rechnen. „Die Prämien für Rückrufpolicen werden tendenziell teurer“, sagt Dettendorfer.

Derweil versucht das Kraftfahrtbundesamt (KBA) den Fall Toyota herunterzuspielen. „Rückrufe sind für uns Tagesgeschäft“, sagt ein Sprecher. Selbst die 216 000 Briefe, die das KBA von kommender Woche an im Auftrag des Herstellers deutschen Toyota-Haltern zuschickt, seien nicht außergewöhnlich. „Die Zahl der Rückrufe sinkt seit 2006“, sagt der KBA-Sprecher. „Dieser Trend hielt 2009 an.“ Doch da hatten die Statistiker Toyota noch nicht auf der Rechnung.

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