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Wirtschaft: Rückzug aus Berlin

Glasfaser-Entwicklung mit 280 Mitarbeitern wird aufgegeben/Betriebsrat:Standort wird platt gemacht/Scharfe Kritik der Aktionäre

Berlin/München - Der Halbleiterkonzern Infineon schließt überraschend drei Werke seiner Glasfasersparte – darunter den Hauptsitz und Entwicklungsstandort Berlin mit 280 Mitarbeitern. Wie Vorstandschef Wolfgang Ziebart am Dienstag auf der Hauptversammlung in München sagte, werden neben Berlin die kleineren Werke in München und Longmont (USA) aufgegeben. Insgesamt seien 350 Mitarbeiter betroffen. Er schloss nicht aus, dass es zu betriebsbedingten Kündigungen kommt. Auch am Produktionsstandort im tschechischen Trutnov mit 850 Mitarbeitern drohen Entlassungen. Die Aktionäre übten am Dienstag scharfe Kritik am Kurs des Unternehmens im vergangenen Geschäftsjahr.

Infineon hatte am Dienstagmorgen mitgeteilt, ein kleiner Teil des defizitären Glasfaserbereichs sei doch an das US-Unternehmen Finisar verkauft worden. Dabei handele es sich um Lagerbestände, Betriebsmittel und geistiges Eigentum aus dem Bereich der Glasfaser-Transceiver. Das sind Geräte, die elektrische Signale in optische umwandeln und zur Datenübertragung in Glasfasernetze einspeisen.

Ursprünglich wollte Finisar für Aktien im Wert von gut 200 Millionen Dollar die gesamte Sparte mit 1200 Mitarbeitern übernehmen. Das Geschäft platzte aber. Nun kaufen die Amerikaner nur das Know-how und die Lagerbestände im Teilbereich Transceiver für 50 Millionen Dollar. Infineon erhält jedoch kein Bargeld, sondern wird mit etwa 13 Prozent an dem US-Unternehmen beteiligt.

Die Fabriken und alle Beschäftigten bleiben zwar bei Infineon. Der Konzern muss den Bereich aber selbst sanieren. Der Betriebsratsvorsitzende des Berliner Werkes, der Infineon Fiber Optics GmbH, fürchtet deshalb „betriebsbedingte Kündigungen in großem Umfang“. „Der Standort wird platt gemacht“, sagte Olaf Schlichting dem Tagesspiegel. In Berlin seien rund 200 Entwickler und Ingenieure sowie 80 Facharbeiter im Bereich der optischen Transceiver-Produkte beschäftigt, der zu wesentlichen Teilen an Finisar verkauft wurde. Ob sich das qualifizierte Personal in anderen Infineon -Sparten einsetzen lasse, sei zweifelhaft, sagte Schlichting. „Es sieht für alle Mitarbeiter schlecht aus.“ Ein Infineon-Sprecher bestätigte, dass Finisar keine Mitarbeiter übernehmen werde. Möglich seien aber Übernahmeangebote. Schlichting kritisierte die Informationspolitik des Infineon-Chefs. „Wir sind völlig überrascht worden von der Entscheidung“, sagte Schlichting. „Bei einem Werksbesuch in Berlin am 13. Januar hat uns Herr Ziebart noch Hoffnungen gemacht, dass es am Standort weitergeht.“ Über den Sanierungsplan begannen am Dienstag Verhandlungen mit Betriebsrat und Gewerkschaften. Bei der Vorlage der Quartalszahlen am Montag hatte Ziebart noch gesagt, es gebe keine Beschlüsse zu Werkschließungen.

Rund 3000 Aktionäre machten ihrem Unmut über die Entwicklung des Konzerns im abgelaufenen Geschäftsjahr auf der Hauptversammlung Luft. Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz sagte, es seien bei Infineon „erhebliche Werte vernichtet“ worden. Der Kursverlauf der Aktie, die 2004 einen Verlust von 28 Prozent verbucht hatte, gleiche einem „Trauermarsch“. Am Dienstag sank der Kurs um 0,7 Prozent auf 6,95 Euro.

Einige Aktionäre warfen Infineon vor, den Anschluss an die Wettbewerber verloren zu haben. Während die Halbleiterbranche 2004 bei einem Wachstum von mehr als 20 Prozent zum Teil hohe Gewinne erzielte, kam Infineon im Geschäftsjahr 2003/04 auf eine operative Marge von gerade einmal vier Prozent. Einmütig wurde das Missmanagement von Ziebarts Vorgänger Ulrich Schumacher kritisiert, der im März 2004 seinen Posten abgegeben hatte.

Ziebart bat die Aktionäre um Geduld und stimmte sie gleichzeitig auf weitere Einschnitte ein. „2005 wird ein schwieriges Jahr für die Halbleiterindustrie.“ Das Marktwachstum werde „vielleicht sogar zum Stillstand kommen“, sagte er. Durch die Reorganisation des Unternehmens und die Konzentration auf kleinere Einheiten habe Infineon aber nun mehr Handlungsfreiheit. Bei verlustträchtigen Bereichen würden die Chancen einer Sanierung gewissenhaft prüfen. Ziebart kündigte auch an, dass seine Bezüge ab dem laufenden Geschäftsjahr 2004/05 einzeln ausgewiesen werden sollen. Die Gehälter der übrigen vier Vorstände werden en bloc publiziert.

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