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Wirtschaft: Schlüpfer mit Zukunft

Der Insolvenzverwalter von Schiesser sieht gute Chancen auf eine Sanierung des Wäscheherstellers

Berlin - Am 23. Oktober 2007 um 12.17 Uhr nimmt die Angst ihren Lauf. Alle Beschäftigten des Wäscheherstellers Schiesser mit Sitz in Radolfzell am Bodensee erhalten die E-Mail, dazu viele Kunden und Lieferanten. Absender unbekannt. In der holprig formulierten Betreffzeile steht eine brisante Frage: „Wird Schiesser AG Insolvenz gehen?“ Darunter liefert der anonyme Autor ausführlich Argumente und Anschuldigungen.

Die Mail hinterließ besorgte Mitarbeiter, erinnert sich die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Daniela Trescher. Schiesser reagierte. Der Vorstand äußerte sich am schwarzen Brett zu den Vorwürfen und schaltete die Staatsanwaltschaft Konstanz ein. Doch der Absender konnte nicht ermittelt werden.

Der Albtraum von damals ist seit vergangenem Montag Realität: Die 1875 gegründete Schiesser AG, Pionier der Feinrippunterwäsche und bekannte deutsche Marke, musste Insolvenz anmelden. Weltweit sind 2300 Beschäftigte betroffen, 600 in Radolfzell. 100 von ihnen wurde bereits vor wenigen Wochen gekündigt. Die Zukunft der restlichen 500 ist nach Aussage von Johann Blaschke von der IG Metall Singen völlig offen.

Die offizielle Erklärung des Konzerns geht einher mit positiven Fakten: 20 Prozent Umsatzplus im Januar 2009 gegenüber dem Vorjahresmonat, Anstieg der Vororder um acht Prozent. Pleite klingt anders. Das Problem liegt bei der Finanzierung, erklärt Trescher. „Wir müssen jetzt die Materialien kaufen, um die Kollektionen für den Herbst und den Winter zu fertigen. Das schaffen wir nicht aus eigener Kraft.“

Ein zweites Problem liegt in der kleinen Stadt Zug in der Schweiz. Dort sitzt die Hesta Tex AG, seit 1938 Mehrheitsaktionärin von Schiesser, bei der die schweizerische Industriellenfamilie Bechtler das Sagen hat. Der Mutterkonzern hat sich nach eigenen Angaben geweigert, der Tochter mit einem zweistelligen Millionenbetrag auszuhelfen. Zuletzt wuchsen Schiessers Schulden bei den Gläubigerbanken auf 65 Millionen Euro.

Schiesser steht für die Abwärtsspirale der Wirtschaftskrise: Die Banken werden bei der Kreditvergabe immer vorsichtiger, die Bonität der Firmen sinkt. Doch bei den Textilherstellern kommen weitere Sorgen dazu. Deren Kunden, häufig große Handelsketten, setzen zunehmend verspätete Zahlungen durch. Ihr Druckmittel: Verzichten sie komplett auf eine Vororder, zwingen sie die Hersteller zu teurer und riskanter Lagerhaltung. Zudem wird es immer schwieriger, sich gegen Zahlungsausfälle zu versichern. „Es herrscht eine Dramatik auf dem Markt, mit der niemand gerechnet hat“, sagt Markus Ostrop, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der deutschen Maschenindustrie.

Ist Schiesser also ein Opfer der aktuellen Krise und Kreditklemme? Das wäre wohl nur die halbe Wahrheit. In der Branche spricht man von Managementfehlern. Gewerkschafter Blaschke sagt, Schiesser habe sich zu sehr auf den guten Namen verlassen. Wolfgang Grupp, Chef des Konkurrenten Trigema, sieht die Entwicklung als „Paradebeispiel dafür, wie verantwortungslose Entscheidungsträger ein Vorzeigeunternehmen zugrunde richten“, zitiert ihn der „Südkurier“.

Einst von dem 27-jährigen Jacques Schiesser in einem Tanzsaal in Radolfzell gegründet, erlebte das Unternehmen einen Aufstieg in turbulenten Zeiten. In beiden Weltkriegen produziert Schiesser Wäsche für die deutschen Soldaten, in der Weltwirtschaftskrise entgeht man nur knapp dem Konkurs. Das Wirtschaftswunder verhilft dem Konzern zu einem spürbaren Aufschwung mit zahlreichen neuen Standorten – zunächst in Süddeutschland, später in Griechenland, Irland und Österreich.

Nach der Wiedervereinigung verlagert auch Schiesser die Produktion nach Osteuropa. Mitte der 90er Jahre beschäftigt der Konzern weltweit 7000 Mitarbeiter und damit etwa dreimal so viele wie heute. Der Niedergang hat vor allem zwei Gründe. Die Produktion im Ausland führt bei Schiesser zu Qualitäts- und vor allem Lieferproblemen. Gleichzeitig wird expandiert: Schiesser produziert nun auch für andere Marken wie Tommy Hilfiger, Puma oder Ralph Lauren.

Volker Grub sieht das als großen Fehler. „Die Ausweitung war ein Flop, der zu hohen Verlusten führte“, sagt der 71-Jährige, auf dem nun die Hoffnungen ruhen. Der Stuttgarter Anwalt wurde als vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt – eine Rolle, die er sehr gut kennt. In mehr als 500 Firmen war er schon in ähnlicher Mission tätig, darunter auch bei der Traditionsmarke Bauknecht.

Seit einer Woche hat sich Grub vor Ort ein Bild gemacht, er will das Unternehmen sanieren und gibt sich optimistisch: „Ich sehe gute Chancen für das Überleben von Schiesser“, sagte er dem Tagesspiegel am Sonntag. Die Erwartungen an ihn sind hoch, besonders vonseiten der Gewerkschaft. „Meine einzige Zu versicht liegt bei der Person Volker Grub. Er ist dafür bekannt, dass seine Priorität den Arbeitsplätzen gilt“, sagt Johann Blaschke von der IG Metall.

David Lerch

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