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Silicon Sanssouci: Freiraum für Experimente

SAP baut ein Innovationszentrum in Potsdam. Das Ziel: Daten sollen noch schneller verarbeitet werden

Cafer Tosun steht vor dem weißen Pavillon auf der sattgrünen Wiese im Schatten hoher Bäume, breitet seine Arme aus und lächelt: „Das ist von Hasso“, erklärt er. „Manchmal hält er seine Vorlesungen im Freien. Das fördert das freie Denken.“ Tosun klappt zwei Seitenwände des Pavillons hoch, so dass nur die beiden Rückwände stehen bleiben. Er nimmt einen Stift und beginnt, auf die weißen Wände zu schreiben. Seit 2004 habe er keine Vorlesung von Hasso Plattner, dem Gründer des Softwarekonzerns SAP, verpasst, erzählt Tosun dabei. „Man lernt immer etwas dazu. Wahnsinn.“

Offene Räume, kein klassischer Bürokomplex – so soll auch das neue Innovationszentrum aussehen, das SAP ein paar Kilometer weiter am Potsdamer Jungfernsee bauen wird. „Wir wollen die Start-up- Mentalität bewahren“, erklärt Tosun, der Leiter des Zentrums. „Dementsprechend designen wir unsere Umgebung mit.“ Im September soll der Grundstein für den Neubau gelegt werden, Ende 2012 soll der Bau fertig sein. Geplant ist, dass dann 100 feste Mitarbeiter und 200 Studenten dort einen Arbeitsplatz bekommen.

Bis es so weit ist, nutzt Tosun mit seinen ersten Mitarbeitern die hellen und modernen Gebäude des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) auf dem Campus der Uni Potsdam am Griebnitzsee – samt der Pavillons auf dem Gelände. Doch im Gegensatz zu der Lehr- und Forschungseinrichtung, die von Hasso Plattner gestiftet und von ihm persönlich inzwischen mit mehr als 200 Millionen Euro ausgestattet wurde, ist das Innovationszentrum ein Projekt von SAP. 14,3 Millionen Euro investiert der Softwarekonzern in den Bau. Brandenburg gibt 2,7 Millionen Euro dazu. Den Standort hat das Unternehmen, das seinen Sitz in Walldorf südlich von Heidelberg hat, mit Bedacht gewählt. Man will von den klugen Köpfen unter den 140 000 Studenten und in den mehr als 30 Bildungs- und Forschungseinrichtungen der Region profitieren – und auch eng mit dem HPI zusammenarbeiten. Vom Silicon Sanssouci spricht man bei SAP.

Dabei soll das Arbeiten am Jungfernsee anders gestaltet werden als zum Beispiel in der Produktentwicklung beim Mutterkonzern SAP. „Wir arbeiten nicht losgelöst von den Entwicklungsabteilungen, aber wir können hier freier und kreativer arbeiten und auch einmal ein paar Extrarunden drehen um zu experimentieren“, sagt Matthias Uflacker. Der 32-jährige Informatiker ist seit einem Jahr bei SAP und einer der ersten Mitarbeiter im Innovationszentrum. „Wir betreiben keine Grundlagenforschung, sondern entwickeln zusammen mit Forschern und Kunden Anwendungen direkt für die Nutzer“, sagt er. „Es gilt der Grundsatz: Kein Projekt ohne einen potenziellen Kunden.“

Und der Kunde, das sei eben nicht die IT-Abteilung eines Unternehmens, sondern der Anwender selbst, ergänzt Matthias Steinbrecher. Benutzerzentriertes Design, nennt er das. Steinbrecher ist 30,8 Jahre alt, wie er selbst sagt, und ganz frisch von der Uni Magdeburg zum Team gestoßen. Zu seinen Projekten gehört unter anderem eines mit der Charité. „Als Informatiker muss ich ein Mediator sein“, erklärt er. „Ich bin weder Onkologe noch Pathologe, und trotzdem muss ich für die Probleme der Krebsforscher Lösungen entwickeln.“

Ein Lösungsweg für viele Probleme aus ganz unterschiedlichen Gebieten ist die schnelle Analyse riesiger Datenmengen. Dafür hat SAP die In-Memory-Technologie entwickelt, in der das Unternehmen nach eigenen Angaben weltweit führend ist. Mit dieser Technik wird die für die Berechnung und Auswertung von Massendaten benötigte Zeitspanne dramatisch verkürzt, weil alle Daten im Hauptspeicher liegen. „Eine Aufgabe des Innovationszentrums wird es sein, Anwendungsmöglichkeiten für diese neue Technik zu entwickeln“, sagt Tosun.

Ein Beispiel: „Ein Blutstropfen enthält 200 Millionen Datenpunkte“, erklärt Steinbrecher. Die Analyse des Blutes vieler Patienten könne helfen, die Diagnose von Krebs und anderen Krankheiten zu beschleunigen. Ein weiteres Beispiel: „Denken Sie an die Mahnläufe in Unternehmen. Bei großen Firmen kann so etwas bis zu 20 Minuten dauern“, sagt Uflacker. Bei so einem Mahnlauf ermitteln Unternehmen, welche Rechnungen noch offen sind und gleichen das mit den Kontoeinträgen ab. „So etwas können wir heute optimieren, dann dauert der Mahnlauf mithilfe der In-Memory-Technologie nur noch eine Sekunde“, sagt Uflacker. „Dieser Zeitgewinn kann Geschäftsprozesse und Entscheidungsfindungen in Unternehmen nachhaltig verändern.“

Noch ein Beispiel: „Wer einen Online-Shop besucht, will wissen, wann ein Produkt lieferbar ist. Womöglich wollen das zehntausende Kunden zur gleichen Zeit wissen“, sagt Steinbrecher. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle: Was ist auf Lager, wie schnell kann produziert werden, welche Transportkapazitäten stehen zur Verfügung? „Trotzdem darf es nicht länger als eine Sekunde dauern, bis jeder Kunde eine definitive Aussage bekommt.“

Cafer Tosun steht an der Rückwand des Pavillons und zeichnet eine Idee auf, die Studenten am HPI entwickelt haben und die jetzt von SAP vermarktet wird. Hana heißt es – High Performance Analytical Appliance. „Hana ist eine Lösung, die bestehende Systeme ergänzt. Sie macht ganz neue Anwendungen möglich, ohne dass es zu einem Bruch mit dem bisherigen System kommt“, erklärt Tosun. Das gefalle den Kunden. „Innovation bedeutet am Markt, erfolgreich zu sein“, weiß der 42-Jährige, der viele Jahre für SAP im Silicon Valley gearbeitet hat. „Die Kunden müssen es haben wollen.“

Ein Dutzend Mitarbeiter hat Tosun für das Innovationszentrum schon gewonnen. 350 Bewerbungen liegen auf dem Tisch. „Alles Topleute, die sich aussuchen können, wo sie arbeiten wollen“, sagt er. Jetzt müsse man schauen, wer ins Team passt. „Der Kampf um die besten Köpfe hat schon begonnen.“

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