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Wirtschaft: Spare in der Zeit,

…dann hast du in der Not: Grüne und SPD wollen den Stabilitätspakt ändern und fordern Disziplin in guten Zeiten

Von Carsten Brönstrup

und Flora Wisdorff

Nach den Ankündigungen von Deutschland und Frankreich, den europäischen Stabilitätspakt im kommenden Jahr nicht um jeden Preis einhalten zu wollen, werden erneut Forderungen nach einer Änderung des Vertragswerks laut. Eine zusätzliche Klausel solle das Wachstum der Staatsausgaben in den Euro-Mitgliedsländern eng begrenzen, forderten Haushalts- und Finanzexperten von Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen im Gespräch mit dem Tagesspiegel am Sonntag. Außerdem solle Deutschland als wichtigste Volkswirtschaft in der EU größere Anstrengungen unternehmen, um seine Etatprobleme in den Griff zu bekommen, verlangten sie.

Angesichts des seit drei Jahren schwachen Wirtschaftswachstums werden Deutschland und Frankreich in diesem und im kommenden Jahr vermutlich weitaus mehr neue Schulden machen, als ihnen der Stabilitäts- und Wachstumspakt erlaubt. Das haben Bundeskanzler Gerhard Schröder und Finanzminister Hans Eichel (beide SPD) und auch die französische Regierung eingeräumt. 2003 und 2004 wird das deutsche Defizit Schätzungen zufolge bei mehr als vier Prozent liegen, auch Frankreich peilt diese Marke an. Der Vertrag schreibt vor, dass die Neuverschuldung von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen nicht höher als drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes sein darf. Das Abkommen sieht Geldstrafen für den Fall vor, dass ein Land wiederholt die Defizitgrenze verletzt. Über Strafen entscheidet der Rat der EU-Finanzminister.

In Zukunft sollen deshalb die Euro-Teilnehmerländer dazu gezwungen werden, in guten Zeiten mehr Geld zurückzulegen, verlangt Antje Hermenau, haushaltspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. „Die Staatsausgaben sollten nur noch um ein Prozent pro Jahr wachsen dürfen. Das würde die Länder in konjunkturell guten Zeiten dazu zwingen, ihre Schulden zurückzuzahlen“, sagte sie. Ein allmähliches Absinken der Gesamtverschuldung würde das Vertrauen der Finanzmärkte steigern, sagt die Politikerin. Zugleich würde der Abbau der Kreditbelastung den Spielraum des Staates vergrößern, auf zukünftige Probleme zu reagieren. „Die demografische Entwicklung wird die Staatsfinanzen massiv belasten. Darauf müssen wir uns schnellstmöglich vorbereiten“, verlangte sie.

Joachim Poß, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, würde den Stabilitätspakt ebenfalls gern erweitern – allerdings müsse man eher daran denken, die Berechnungsgrundlage für die Neuverschuldung zu verändern. Damit weiß er sich in guter Gesellschaft: Aus Paris kam jüngst die Forderung, die Militärausgaben aus der Defizitberechnung auszuklammern.

Walter Schöler, Haushaltsexperte der SPD-Fraktion, plädiert dagegen wie die Grünen für eine Ausgabenbeschränkung, die schon jetzt vorbereitet werden müsse: „Die Finanzminister der Eurozone müssen schon jetzt darüber nachdenken, wie sie in besseren Zeiten ihre Zügel straffen“, sagte Schöler. Es solle verbindlich geregelt werden, wie stark die Staaten ihre Ausgaben steigern dürften. Für Deutschland würde dies allerdings enorme Einschnitte bedeuten: Seit 1998 sind allein die Ausgaben des Bundes pro Jahr um durchschnittlich zwei Prozent gewachsen. Für dieses Jahr veranschlagt Eichel das Plus sogar auf drei Prozent, er kalkuliert mit Ausgaben von 257 Milliarden Euro.

Um den Stabilitätspakt zu ändern, müssten die 15 EU-Mitglieder jedoch zu einem einstimmigen Votum finden. Nach der Osterweiterung im Frühjahr 2004 wächst die Zahl der beteiligten Parteien sogar auf 25, da ist eine Einigung auf Vertragsänderungen unrealistisch. Zumal sich die Mehrzahl der Mitgliedstaaten an den Pakt hält und für die Etatprobleme in Berlin und in Paris wenig Verständnis aufbringt. Schon jetzt beschweren sich Länder wie die Niederlande oder Belgien über die Haushaltssünder.

Den Staaten wird langfristig nichts anderes übrig bleiben, als zu sparen – oder Strukturreformen anzupacken. Dann drückt die EU-Kommission beide Augen zu – auch gegenüber notorischen Haushaltssündern. Die Grünen jedenfalls sind für solide Finanzen. „Das strukturelle Etatdefizit Deutschlands ist immer noch zu hoch“, sagt Finanzfachfrau Hermenau. „Daran müssen wir schnell etwas ändern, sonst stehen wir vor den anderen EU-Staaten als unsicherer Kantonist da“, sagte sie.

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