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Standort Berlin: Berlin will eine neue Industrie

Gewerkschaften, Wirtschaft und Politik wollen den Standort für Unternehmen attraktiver machen.

Von Anna Sauerbrey

Berlin - Um rauchende Schornsteine geht es nicht. Das betonte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ebenso wie die anwesenden Verbands- und Gewerkschaftsvertreter. Doch nachdem jahrelang Berlins Dienstleistungs- und Kreativwirtschaft die größte Aufmerksamkeit seitens der Landespolitik genossen habe, soll nun die Industrie stärker in den Blick genommen werden. „Es geht darum, den Industriestandort Berlin zu verbessern, zu erhalten und auszubauen“, sagte Wowereit. Zu diesem Zweck schloss am Dienstag im Rathaus eine ungewöhnliche Allianz einen „Zukunftspakt“. Vier Mal im Jahr will der „Steuerungskreis Industriepolitik“ künftig zusammenkommen, das erste Treffen fand gestern statt. Beteiligt sind neben dem Regierenden und Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) Vertreter der Industrie- und Handelskammer, der Vereinigung der Unternehmensverbände, der Handwerkskammer, des Deutschen Gewerkschaftsbunds, der IG Bergbau, Chemie, Energie und der IG Metall.

Ziel sei es, so erklärten die Beteiligten, vor allem die sogenannte wissensgesteuerte Industrie in Berlin zu fördern und auch neue Unternehmen anzusiedeln. Wowereit nannte explizit Unternehmen der „green economy“, wie etwa Solarzellenhersteller, aber auch die Informationstechnologie. Ziele des Steuerungskreises seien auch die bessere Kooperation zwischen Forschung und Industrie, die Bekämpfung des Fachkräftemangels und die Entwicklung des Flughafengeländes Tegel zu einem Industriestandort. Wirtschaftssenator Wolf sagte außerdem, er werde den bereits angekündigten „Masterplan Industrie“ im Mai zur Beschlussfassung in den Senat einbringen und das Papier vorab auch mit dem neu gegründeten Gremium diskutieren. Damit setzt Wowereit Teile des Thesenpapiers um, das er Anfang des Jahres auf der Klausurtagung der SPD-Abgeordnetenhausfraktion präsentiert hat.

Die Initiative wirkt wie eine Art Notbremse und bedeutet gleichzeitig einen Politikwechsel der Regierung Wowereit. Im Krisenjahr 2009 hatte sich zwar der geringe Anteil der Industrie an der Berliner Wirtschaft mildernd auf die Rezession in der Hauptstadt ausgewirkt. Industrieunternehmen mit ihrem hohen Anteil an Export- und Investitionsgütern waren von der Krise besonders betroffen. Berlins Wirtschaft mit ihrem hohen Anteil an Dienstleistungsfirmen schrumpfte daher weniger als an Standorten im übrigen Deutschland.

Doch die Umsatzverluste der Berliner Industrie im vergangenen Jahr waren dem Senat ein Warnsignal. Betroffen waren vor allem die Berliner Maschinenbauer.

Auch ohne die krisenbedingte Flaute, diese Erkenntnis hat sich nun offenbar politisch durchgesetzt, fehlen der Stadt Arbeitsplätze in der Industrie. Zu diesem Schluss waren im vergangenen Jahr schon Ökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gekommen. Im Auftrag der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung hatte das DIW ermittelt, dass rund 90 000 Arbeitsplätze in der Industrie fehlen. Nur noch 100 000 Mitarbeiter sind in rund 800 Unternehmen beschäftigt. Noch vor 20 Jahren gab es in Berlin 300 000 Arbeitsplätze in diesem Wirtschaftssektor. Besonders relevant ist dies, da von einem Arbeitsplatz in der Industrie ein Vielfaches an Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor und im Handwerk abhängt. „Wir müssen wahrscheinlich den Faktor drei oder vier anlegen“, sagte Burkhard Ischler, Präsident der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg, am Dienstag.

Konkrete Ziele, etwa ob und in welchem Zeitraum die vom DIW genannten 90 000 Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, nannten Wowereit und Wolf nicht. Die Opposition monierte das Tempo. „Wowereit lernt langsam“, sagte Thomas Heilmann, stellvertretender Vorsitzender des CDU-Landesverbands Berlin. „Wenn eine Absichtserklärung drei Jahre braucht, warten wir auf echte Ergebnisse ewig." Schon vor drei Jahren hätten Unternehmensverbände und Gewerkschaften eine stärkere Förderung der Industrie verlangt. Auch jetzt bremste der Regierende Erwartungen auf einen schnellen Wandel. Ebenso wie die anderen Teilnehmer betonte er, es gehe darum, einen längerfristigen Wandlungsprozess einzuleiten. Innerhalb eines Jahres, so Wowereit, werde sich „signifikant“ nichts ändern. „Das ist nicht machbar.“ Anna Sauerbrey

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