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Wirtschaft: Stapelweise Überfluss

Die Sozialkassen arbeiten teuer und wenig effizient – das verschärft die Jobkrise

WIE DIE SOZIALVERSICHERUNG GELD VERSCHWENDET

Wenn es um die Sozialversicherung geht, lassen sich deutsche Politiker und Bürokraten nicht lumpen. Klecker-Beträge interessieren die Öffentlichkeit nicht, große Zahlen müssen her: Ein Defizit von 630 Millionen Euro haben die Krankenkassen allein in den ersten drei Monaten des Jahres angehäuft, erklärten sie vergangene Woche. Bis zu sechs Milliarden Euro braucht die Bundesanstalt für Arbeit, um bis Dezember über die Runden zu kommen. Und 600 Millionen Euro könnten den Rentenversicherern am Jahresende fehlen, warnen sie.

Enorme Summen – das hindert die Sozialkassen aber nicht daran, sich Gutes zu gönnen: Um 3,2 Prozent sind die Verwaltungskosten der Krankenkassen im ersten Quartal gestiegen. Der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit (BA) in eine schlagkräftige Dienstleistungsagentur lässt weiter auf sich warten. Und die Rentenversicherung leistet sich noch immer zahlreiche Ämter, eines für jede Region, die Ansprüche berechnen und Zahlungen anweisen – eine Landesversicherungsanstalt Unterfranken ebenso wie das Pendant Oldenburg-Bremen. „Es lassen sich in allen Versicherungszweigen eine Menge Effizienzreserven heben“, sagt Joachim Kartte von der Unternehmensberatung Roland Berger.

Eine enorme Bürokratiemaschine sorgt dafür, dass im deutschen Sozialstaat jährlich mehr als 370 Milliarden Euro für Kranke, Arbeitslose und Alte umverteilt werden – die Leistungen des Staates nicht eingerechnet. Dazu sind in Verwaltungszentralen, Service- Centern und Beratungs-Einrichtungen weit über 300000 Menschen beschäftigt. Bezahlt werden sie aus dem Topf der Abgaben, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils zur Hälfte finanzieren. Damit ist die Versicherungsbürokratie Teil der Misere auf dem Arbeitsmarkt – denn jeder Prozentpunkt, um den die Lohnnebenkosten ansteigen, vernichtet rund 100000 Arbeitsplätze.

Doch eine Straffung des Versicherungsapparates ist nicht so einfach. In der mehr als hundert Jahre alten Sozialversicherung gilt das Prinzip Selbstverwaltung als größte Errungenschaft seit Erfindung der Glühbirne: Nicht die staatliche Obrigkeit bestimmt und verteilt das Geld, sondern demokratische Organisationen, die sich selbst leiten – unter Beteiligung von Gewerkschaften, Arbeitgebern oder Versicherten. So weit die Theorie. In der Praxis muss der Fiskus seit Jahren Geld zuschießen und überhäuft die Sozialinstitutionen mit Gesetzen und Vorschriften. „Bei den Krankenkassen ist jeder Furz geregelt“, jammert eine Insiderin.

Die Selbstverwaltung treibt mitunter skurrile Blüten. „Machtsüchtige Blockierer“ hat der Chef einer großen deutschen Krankenkasse in den paritätisch besetzten Verwaltungsgremien einiger Konkurrenzinstitute ausgemacht. Durch Gewerkschaftsvertreter verzögerte Modernisierungsprozesse würden „viele Millionen kosten“. Zugleich nehmen es die Institute mit den Finanzen nicht so genau. Rentner bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und Ersatzkassen-Versicherte wurden 1999 aufgefordert, an einer Sozialwahl teilzunehmen und zu bestimmen, wer in den Selbstverwaltungsorganen mitkungeln darf. Doch meist gab es nicht mehr Kandidaten als Sitze – trotzdem ließen sich die Versicherungen die Farce laut Bund der Steuerzahler rund 50 Millionen Euro kosten. Und die Bürokraten in der Bundesanstalt für Arbeit fälschten 2002 sogar Vermittlungsstatistiken, damit nicht auffiel, dass sich die 87000 Beamten und Angestellte in erster Linie selbst verwalten.

Um Wettbewerb und Markt müssen sich die meisten „Sofas“, wie sich die Sozialversicherungsfachangestellten sinnigerweise selbst abkürzen, noch nicht groß kümmern. „Behördencharakter“ attestiert Olaf Amblank von der Unternehmensberatung Kienbaum etwa den Krankenkassen. Das wurmt die Arbeitgeber, die das System ja zur Hälfte mitfinanzieren. „Die Selbstverwaltung muss sich an modernen Organisationsmodellen der Aufsicht, Beratung und Entscheidungsfindung orientieren“, verlangt Günter Goth, Sozialexperte beim Arbeitgeberverband BDA. Außerdem solle es weniger Institutionen, Räte und Verwaltungseinheiten geben.

So könnte etwa die Verwaltung der Rentenversicherungskonten stärker zentralisiert werden, findet Professor Gert Wagner, Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Der Service müsste noch dezentraler werden, die Träger könnten zudem enger mit unabhängigen Rentenberatern zusammenarbeiten.“ Und modernere Strukturen bei den Krankenkassen könnten nicht nur in der Verwaltung, sondern auch bei medizinischen Leistungen sparen helfen, meint Kienbaum-Mann Amblank. Bei AOK, Barmer und Co. seien zu viele Mitarbeiter mit standardisierten Funktionen wie der Abrechnung beschäftigt, viel zu wenige aber mit der Kontrolle von Leistungen. Wenn aber Doppeluntersuchungen oder lange Liegezeiten in der Klinik verringert werden könnten, würde Geld gespart.

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