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Verändertes Konsumverhalten. Die Gewinne von US-Streamingdiensten wie Netflix oder von Online-Glücksspielen fallen häufig nicht in Deutschland an, das müssen die Statistiker bei der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts berücksichtigen.

© picture alliance / dpa

Neue BIP-Berechnung: Statistisch ist Deutschland jetzt um 42 Milliarden Euro ärmer

Alle fünf Jahre wird die Berechnungsgrundlage des Bruttoinlandsproduktes angepasst. So auch jetzt. Das hat Folgen für Deutschlands Schuldenquote.

Immerhin 41,63 Milliarden Euro: Um diese Summe war die Wirtschaftsleistung in Deutschland im Jahr 2018 niedriger als die Bundesstatistiker bislang berechnet haben. Der Grund: Sie haben die Grundlage für die Berechnungen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wie in Europa üblich auch in Deutschland nach fünf Jahren den aktuellen Veränderungen wie etwa der Digitalisierung oder dem Nutzungsverhalten der Verbraucher angepasst.

„Deutschland ist jetzt rechnerisch im Unterschied zur letzten Revision 2014 ein bisschen ärmer“, sagt Albert Braakmann, Leiter der Abteilung Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung beim Statistischen Bundesamt. Das aktuelle konjunkturelle Bild ändere sich dadurch aber nicht, sagte er am Dienstag in Frankfurt. Er bestätigte, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in zweiten Quartal 2019 gegen über dem ersten Quartal um 0,1 Prozent gesunken ist.

Nominal schrumpft die Wirtschaftsleistung und damit das BIP – die Gesamtheit aller produzierten Waren und erbrachten Dienstleistungen im vergangenen Jahr – von 3386 Milliarden Euro um immerhin 1,2 Prozent auf rund 3344 Milliarden. Zurückgerechnet revidierten sie die Daten für die Jahre 1991 bis 2018 im Schnitt jährlich um 0,4 Prozent nach unten. Im Vergleich zu 2014 seien die Änderungen bei der Berechnung des BIP aber weniger weitreichend, betont Braakmann.

Netflix und Co. ändern das Wirtschaftsverhalten

Vor allem im Blick auf das Konsumverhalten und die Konsumausgaben der Verbraucher müssen die Statistiker Veränderungen berücksichtigen. Das gilt etwa mit Blick auf Videostreaming und damit unter anderem das Nutzen von Angeboten wie Netflix, Online-Spiele oder Glückspiele im Internet, die auf dem Smartphone oder dem Tablet genutzt werden. Sie werden meist im Ausland bezogen. Das Volumen solcher Käufe hat sich nach Angaben der Statistiker seit 2016 von 4,8 auf 6,6 Milliarden Euro im vergangenen Jahr erhöht. Auch die Speicherung von Daten in der Cloud berücksichtigen sie aufgrund der Revision.

Neuerdings verbuchen die Statistiker die Erlöse aus der Versteigerung von Mobilfunklizenzen nicht mehr als einmalige Einnahme des Staates im jeweiligen Jahr - was im Jahr 2000 zu einem starken positiven Einmaleffekt geführt hatte – sondern sie teilen sie über den vereinbarten Pachtzeitraum anteilmäßig auf. Auch dies beeinflusst die Berechnung des BIP.

Keine Auswirkungen hat dagegen der Umstand, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk jetzt dem Staat und nicht mehr der Privatwirtschaft zugeschlagen wird. „Finanzierungssaldo und der Schuldenstand des Staates sind von dieser Änderung kaum betroffen, da sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland kostendeckend finanzieren und weder Überschuss noch Schulden machen sollen“, sagt Braakmann.

Jetzt sparen die Deutschen statistisch mehr

Durch das nominal niedrigere BIP verändern sich allerdings Quoten wichtiger Kennzahlen. Die Lohnquote, errechnet aus BIP, dem Niveau des Arbeitnehmerentgeltes und den Arbeitskosten, klettert für 2018 um 1,8 Punkte auf 70,8 Prozent. Die Sparquote der privaten Haushalte – das verfügbare Einkommen abzüglich der Konsumausgaben – wiederum erhöht sich für die Jahre 1991 bis 2018 im Schnitt um jährlich 0,4 Punkte. 2018 lag sie bei 11 Prozent nach bislang angenommenen 10,3 Prozent. Die Arbeitsproduktivität fällt nach Angaben von Braakmann etwas niedriger aus, das Arbeitsvolumen höher, auch weil immer mehr Menschen Vollzeit statt Teilzeit arbeiten.

Auch die Verschuldungsquote des Staates verändert sich durch die Revision des BIP. Die Schuldenstandsquote – Staatsverschuldung gemessen am BIP – lag im vergangenen Jahr nach den bisherigen Berechnungen bei 60,9 Prozent. Aufgrund der ermittelten geringeren Wirtschaftsleistung liegt sie nach Angaben von Braakmann für 2018 jetzt um 0,8 Prozentpunkte höher.

Laut den Maastricht-Kriterien für die Europäische Währungsunion soll sie maximal 60 Prozent betragen. Der Finanzplanung des Bundes zufolge soll sie in diesem Jahr auf 58,75 Prozent sinken. Es ist allerdings fraglich, ob dies angesichts der BIP-Revision und der ohnehin deutlich abgeschwächten Konjunkturaussichten noch erreichbar ist.

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