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Teures Gas. Wer einen günstigen Vertrag hat, kann sich freuen. Wer jetzt einen neuen Anbieter sucht, hat es schwer.

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Strom und Gas wird teurer: Hilft es jetzt noch, die Anbieter zu wechseln?

Was früher ein Garant war für günstige Preise war, gilt heute nicht mehr. Energiekunden müssen umdenken.

Wenn Strom- oder Gaskunden Geld sparen wollten, gab es früher stets einen Rat: Wechseln Sie den Anbieter. Vergleichsportale wie Verivox oder Check24 rechneten bis auf Centbeträge vor, wie viele Hunderte Euro man im Jahr weniger für Energie bezahlen müsste, wenn man sich aufraffte, die teure Grundversorgung zu verlassen und in einen Sondertarif zu gehen.

Die Grundversorgung ist der Tarif, den Einwohner am Ort automatisch bekommen, wenn sie nichts tun. In der Vergangenheit war diese Jedermann-Versorgung oft deutlich teurer als die 12- oder 24-Monatsverträge der Strom- oder Gasanbieter, die Kunden mit niedrigen Energiepreisen und hohen Bonuszahlungen lockten.
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Doch die Turbulenzen auf den Energiemärkten, die enormen Preiserhöhungen für Gas, Öl und Strom, stellen alles auf den Kopf. An vielen Orten ist die einst so geschmähte Grundversorgung derzeit billiger als ein Jahresvertrag mit dem Anbieter oder einem Konkurrenten. Nichts tun kann sich also lohnen. Das betrifft etwa Gaskunden in Berlin. Bei einem Jahresverbrauch von 18.000 kWh, die für eine 150 Quadratmeter-Wohnung reichen, zahlt man der Gasag in der Grundversorgung monatlich 172,19 Euro.

Die Kilowattstunde Gas kostet 10,45 Cent. Der billigste Sondertarif von „Yippie“ kann mit einem Monatspreis von 218,17 Euro nicht mithalten, hier liegt der Arbeitspreis bei 14,11 Cent pro kWh. In Düsseldorf bieten die Stadtwerke Strom für einen Vier-Personen-Haushalt in der Grundversorgung für 90,83 Euro im Monat an, die Kilowattstunde kostet 28,60 Cent. Der günstigste Sondertarif kostet bei einem Jahresverbrauch von 3500 kWh bei „Enstroga“ inklusive Boni 126,28 Euro im Monat. Der Preis für die Kilowattstunde beträgt 49,29 Cent.

Längerfristig ist jetzt billiger

„Der Grundversorger kann der günstigste Anbieter sein“, bestätigt Edgar Kirk von Check24. Nicht nur für die Vergleichsportale, auch für Verbraucherschützer ist das eine neue Situation. Dass die Grundversorgung günstiger sein kann als ein Sondervertrag, gab es noch nie, sagt Thomas Engelke, Leiter des Energiebereichs beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV): „Die Zeiten sind dramatisch.“ Dass einige Grundversorger günstigere Preise anbieten können als die Konkurrenz liegt am unterschiedlichen Einkaufsverhalten.

Die Grundversorger gehen oft langfristige Lieferbeziehungen zu festgelegten Preisen ein. Jetzt, wo die Börsenpreise durch die Decke gehen, zahlt sich das aus. „Wir beschaffen Strom über einen längeren Zeitraum“, betont Vattenfall-Sprecherin Sandra Kühberger, „Kundinnen und Kunden profitieren noch von der damals günstigeren Einkaufssituation.“ Vattenfall bietet in Berlin sowohl die Grundversorgung als auch Sondertarife an. Die Konditionen sind ähnlich, der Sondertarif „Easy12“ kostet 2,28 Euro weniger im Monat.

Langfristig beschaffter Strom. Kund:innen profitieren noch von der damals günstigeren Einkaufssituation.
Langfristig beschaffter Strom. Kund:innen profitieren noch von der damals günstigeren Einkaufssituation.

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Auch bei der Gasag verweist man auf die Vorzüge der langfristigen Einkaufspolitik. „Erdgaskontingente werden teilweise Jahre im voraus über den Terminhandel eingekauft“, berichtet Sprecherin Ursula Luchner. Die Einkaufsmengen richten sich nach Prognosen für Wetter, Klima und Kundenzahl. Im vergangenen Winter musste die Gasag jedoch die Kalkulation über den Haufen werfen. Weil andere Versorger über Nacht die Belieferung der Kunden einstellten, rutschten diese in die Ersatzversorgung bei der Gasag.

Die Ersatzversorgung ist ein Auffangbecken für Kunden, deren bisheriger Anbieter ausfällt. Oft sind die Tarife für die Ersatz- und die Grundversorgung identisch, bei der Gasag war das aber nicht der Fall. Wegen des unerwarteten Zustroms an Neukunden habe man erhebliche Gasmengen am Markt tagesaktuell „sehr teuer“ dazu kaufen müssen, berichtet Luchner. Die Gasag reagierte, indem sie von den Neukunden in der Ersatzversorgung mehr als das Doppelte von dem verlangte, was Bestandskunden in der Grundversorgung zahlen mussten. Seit dem 1. Mai gelten jedoch wieder einheitliche Tarife: Für die bisherigen Grundversorgungskunden ist Gas teurer geworden, für die Ersatzversorgung billiger.

[Lesen Sie auch: Hohe Energiepreise: Sieben Maßnahmen, mit denen Sie Ihre Heizkosten senken. (T+)]

Höhere Preise für die Ersatz- als für die Grundversorgung hält Verbraucherschützer Engelke für falsch, doch in der Bundesregierung hat sich der VZBV mit seinen Bedenken nicht durchsetzen können. Die Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes, die das Kabinett beschlossen hat, gibt den Versorgern die Möglichkeit zu differenzieren. „Dies ermöglicht den Energielieferanten, höhere Beschaffungskosten aufgrund kurzfristig zu beschaffender Energiemengen für nur vorübergehend ersatzversorgte Kunden angemessen zu berücksichtigen“, erläutert eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. Allerdings müssen die Versorger in diesem Fall die höheren Beschaffungskosten belegen.

Einige Verbesserungen bringt die geplante Novelle den Kunden aber doch: So dürfen sich Versorger künftig nicht mehr sang- und klanglos aus dem Staub machen, sondern müssen den Kunden und der Bundesnetzagentur drei Monate im voraus ankündigen, dass sie die Belieferung einstellen werden. Tun sie das nicht, können Verbraucher Schadensersatz von mindestens 160 Euro verlangen, die Bundesnetzagentur kann zudem ein Bußgeld von bis zu einer Million Euro verhängen. Das Gesetz soll noch vor der parlamentarischen Sommerpause beschlossen werden, heißt es im Wirtschaftsministerium.

Anbietercheck. Wer jetzt noch einen Sondervertrag abschließt, sollte auf eine Preisgarantie achten.
Anbietercheck. Wer jetzt noch einen Sondervertrag abschließt, sollte auf eine Preisgarantie achten.

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Bis dahin wird Gas noch teurer, glaubt Verbraucherschützer Engelke. Verglichen mit Juni 2020 ist der Börsenpreis um 530 Prozent gestiegen, allein seit Januar hat sich der Preis mehr als verdoppelt. Die Gasheizung für ein Ein-Familienhaus werde 2022 im Schnitt um mindestens 2000 Euro teurer, warnt Engelke. Als erste bekommen das diejenigen zu spüren, die jetzt einen neuen Vertrag schließen oder deren laufende Verträge keine Preisgarantieklausel enthalten.

Was heißt das für Verbraucher? Obwohl das Angebot kleiner geworden ist, sollte man einen Preisvergleich im Internet machen. Denn die Situation ist von Ort zu Ort sehr unterschiedlich. So nehmen die Stadtwerke Lünen in der Grundversorgung für einen Jahresverbrauch von 3500 kWh stolze 177,93 Euro im Monat, bei „Max Energy“ gibt es den Strom für 129,90 Euro, bei Vattenfall – allerdings mit einem Zwei-Jahres-Vertrag – für 109,74 Euro.

In Lünen würde also die alte Regel tatsächlich noch gelten, dass sich der Anbieterwechsel lohnt. Wer jetzt einen neuen Sondervertrag abschließt, sollte jedoch darauf achten, dass dieser eine Preisgarantie als Schutz gegen Preiserhöhungen enthält. Wer in einem Gebiet mit einem günstigen Grundversorgerangebot lebt, kann das nutzen. Zwar dürfen die Grundversorger ihre Preise mit sechswöchigem Vorlauf erhöhen, allerdings können Kunden stets mit zweiwöchiger Frist kündigen – und sich einen neuen Anbieter suchen.

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