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Wirtschaft: Tagesspiegel

Ohne Kurt Junghanns wäre Bruno Taut kaum zum großen Ruhm gelangt. Taut, der Tuschkastenarchitekt, der Ahnherr des sozialen Wohnungsbaus, der Utopist der klassischen Architekturmoderne.

Ohne Kurt Junghanns wäre Bruno Taut kaum zum großen Ruhm gelangt. Taut, der Tuschkastenarchitekt, der Ahnherr des sozialen Wohnungsbaus, der Utopist der klassischen Architekturmoderne. Maler und Schriftsteller. Junghanns – sein Biograph.

Taut starb 1938 im Exil in der Türkei. 20 Jahre später war selbst in Fachkreisen selten von ihm die Rede. 1962 erhielt Kurt Junghanns, Leiter des Instituts für Baugeschichte an der Bauakademie der DDR, den Auftrag, ein Buch über Taut zu schreiben. So begann die intellektuelle Liaison zweier Männer, die sich nie begegnet waren. Der Biograph kam vom Biographierten nicht mehr los, seine Frau fragte sich, mit wem von beiden sie eigentlich verheiratet war.

1970 erschien die erste Auflage, 1983 die zweite. 1998 die dritte, und der Taut-Biograph feierte seinen 90. Geburtstag. Noch immer schrieb er kein Wort über sich, doch immer weitere über Taut.

Dabei gab es in früheren Schaffensphasen auch andere Themen, denen sich Junghanns aus wissenschaftlicher Perspektive genähert hatte. Er schrieb ein Buch über den „Deutschen Werkbund“ und eins über „die deutsche Stadt im Frühfeudalismus“. Auch über die Architektur der DDR sollte er ein Standardwerk verfassen, doch das lehnte er ab. Es wäre doch nie gedruckt werden, was er vom real-existierenden Großsiedlungsbau hielt.

Als die DDR noch jung war und sich hin und wieder ihren Kritikern stellte, anstatt sie mundtot zu machen, mischte sich auch Junghanns gern in die Debatte ein. Anlässe gab es genug. Zum Beispiel den Streit um industriell gefertigte, schnörkellose Anbaumöbel. Der regierende Möbeltischler Walter Ulbricht wollte sein erlerntes Handwerk nicht einfach den Maschinen ausliefern. Anbauschränke seien etwas für West-Berliner, aber völlig ungeeignet für die Werktätigen im Sozialismus. Ulbricht favorisierte klassische Eichenmöbel mit Schnitzwerk und Löwenfüßen. Kurt Junghanns schrieb einen großen Artikel gegen die Löwenfüße und die Doktrin des „nationalen Erbes“. Das Anbaumöbelwerk Hellerau bedankte sich herzlich für seine Worte. Im Streit setzten sich schließlich die Modernisierer durch. Das Fabrikat Hellerau wurde auch dank Junghanns zur führenden Möbelmarke der DDR. Das Politbüro, die bewaffneten Organe, die Volkskammer-Delegierten – alle kauften Hellerau-Möbel. Natürlich auch Kurt Junghanns.

Eigentlich lag es ihm gar nicht zu streiten. Junghanns, groß und hager, war ein stiller Charakter, ein Mensch für die Tiefe, diszipliniert und korrekt. Er wollte lernen, forschen, ergründen, Bücher schreiben, damit der Sozialismus ein theoretisches Fundament bekäme, auf dem er seinen Menschen bessere Städte bauen könne.

Er meinte es ernst mit der Deutschen Demokratischen Republik. Er wollte seinem Land dienen. Für sich brauchte er nicht viel, kein Auto, kein Haus. Bruno Taut hatte es auch lange abgelehnt, sich mit einem Eigenheim zu belohnen.

1938 hatten die Nazis Junghanns ins Zuchthaus gesteckt, danach ins KZ Sachsenhausen. Sechs schlimme Jahre. Er hatte für die KPD Informationen ins Ausland geschmuggelt. Die SS-Aufseher behandelten ihn schlecht, aber immer noch besser als viele Mithäftlinge, weil sein Bruder „Frontkämpfer“ war. Junghanns durfte im Baubüro des Lagers Pläne für neue Baracken durchrechnen. Als er Tuberkulose bekam, wurde er auf Intervention des Bruders freigelassen und in ein Sanatorium gebracht. Junghanns hatte den antifaschistischen Kampf, diese patriotische Beschwörungsformel der SED, noch als Aktiver erlebt und dabei sein Leben aufs Spiel gesetzt. In Leuten wie ihm fand die DDR ihre Identität.

Zum Ende hin machte er Eingaben an die Staatsführung, schrieb seinem Freund Horst Sindermann, Chef der Volkskammer und ehemals Mithäftling in Sachsenhausen, einen langen, nachdenklichen Brief. Junghanns empfahl einen Blick ins Statistische Jahrbuch der DDR. Dem war zu entnehmen, dass der Verfall vorhandener Bausubstanz schneller voranschritt als der Neubau. Es half nichts. Nach der Wende kümmerte sich Junghanns wieder um Taut. Der hatte zum Glück auch im Westen einen guten Namen. Taut war mit 58 Jahren an einem Asthmaanfall gestorben, sein Biograph starb mit 98 an Herzschwäche.

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