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Tata Nano

© ddp

Tata Nano: Das billigste Auto der Welt

Der neue Tata Nano kostet nur rund 1700 Euro. Jetzt kommt er auf den Markt – aber vorerst nur in Indien.

Bangalore/Berlin - Nein, eine Schönheit ist er nicht. Winzige Räder, ein unförmig aufgeblasener Körper, biedere Farben, viel Plastik innen und außen. Das Einzige, was die Kiste reichlich an Bord hat, sind Superlative: das preiswerteste Auto der Welt, der kürzeste je gebaute Viersitzer, das erste Fahrzeug einer neuen Billigklasse, das Zeichen für Indiens Aufbruch in die Zukunft. Tatsächlich markiert der Tata Nano, dessen Verkauf an diesem Montag in Indien startet, eine neue Ära im Autobau. Auch für die deutschen Zulieferer: Mit dem Auto wollen sie auf den rasant wachsenden Märkten der Schwellenländer mitmischen.

Wie das gehen soll, erscheint auf den ersten Blick rätselhaft: Nur 100 000 Rupien zuzüglich Steuern wird der Nano kosten, hat Indiens Großindustrieller Ratan Tata versprochen, das sind 1700 Euro. So viel kostet allein das Navigationssystem in einem Auto aus deutscher Produktion. In Indien gibt es dafür „den nächsten Volkswagen, einen Meilenstein“. So pries Tata seine Kreation vor einem Jahr bei der Präsentation in Delhi. In seiner Heimat löste er Begeisterungsstürme aus. „Tata erfindet das Rad neu“, jubelte die „Times of India“.

Nie zuvor ist es einem Hersteller gelungen, ein so billiges Auto zu produzieren – und damit auch noch Geld zu verdienen. Doch der Minimalismus, vor allem beim Preis, stellte Tata und seine Zulieferer vor neue Herausforderungen. „Wir haben ausgetretene Pfade verlassen und dabei sehr innovative Ideen entwickelt“, berichtet Vish K. Viswanathan. Er ist Indien-Chef von Bosch und baut mit seinen Leuten das Einspritzsystem, die Bremsen, den Anlasser und andere elektrische Teile für den Nano. „Aber nur weil der Preis niedrig ist, sind es noch lange keine Low-Tech-Produkte.“ Bosch hat etwa bei der Einspritztechnik nicht zur teuren Hochdruckpumpe gegriffen, sondern ein einfaches Modell aus dem Firmen-Sortiment weiterentwickelt. Früher sei so etwas unvorstellbar gewesen, heißt es in Stuttgart. Heute glauben die Schwaben, an einem Billigauto genauso viel verdienen zu können wie an einem Massenmodell aus deutscher Fertigung. 200 Euro nimmt Bosch mit jedem Nano ein.

Viele deutsche Spezialisten mussten erst lernen, dass beim Nano andere Maßstäbe gelten. Mit europäischen Standards hat er wenig zu tun – es gibt nur einen Außenspiegel, einen Scheibenwischer, weder Airbags, Radio noch elektronische Helferlein wie ABS oder ESP. Das Motörchen zerrt mit bis zu 33 PS an der Achse und soll das Vehikel auf 100 Stundenkilometer beschleunigen. Das bringt für die Zulieferer auch Vorteile: „Wenn die Teile nicht einer so hohen Belastung ausgesetzt sind, kann man sie geringer dimensionieren“, sagt ein Sprecher von Vibracoustic, der die Dichtungen liefert.

Geld spart nicht nur die kostengünstige Produktion in Indien. Einige Hersteller ließen die Teile komplett dort entwickeln – statt von technikbesessenen deutschen Ingenieuren. Mit von der Partie beim Nano sind neben Bosch und Vibracoustic Continental (Benzinpumpe), Schaeffler (Radlager), Mahle (Nockenwelle) oder ZF (Spurstangen). „Es freut uns, dass die deutschen Autozulieferer gerade bei einem so neuartigen Projekt eine große Rolle spielen“, sagte Angela Mans vom Verband der Deutschen Automobilindustrie. „Uns kommt nun zugute, dass wir in Indien schon so lange vor Ort tätig sind.“ Allein zehn große deutsche Zulieferer beschäftigen nach VDA-Angaben dort mehr als 25 000 Mitarbeiter.

Während die deutschen Autobosse zunächst spotteten, waren die Zulieferer vom Nano-Projekt begeistert. Indien gilt als der Markt mit den größten Wachstumschancen. Nur acht von 1000 Menschen besitzen ein Auto – in Deutschland sind es 600. „Viele wünschen sich endlich ein Auto an Stelle eines Motorrads“, sagt Bosch-Manager Viswanathan. Auf dem Subkontinent zwängt sich selbst eine fünfköpfige Familie auf ein Motorrad, auch bei Monsun und 40 Grad. „Allein deshalb wird der Nano ein großer Erfolg.“

Mit dem Tata könnte die Massenmotorisierung auch in anderen Schwellenländern eine neue Stufe erreichen. Das neue Segment der Billigautos für 3000 bis 7000 Dollar wird in den kommenden Jahren weltweit wachsen, von zehn Millionen Stück 2007 auf 16 Millionen bis 2015. „Und das ist eine konservative Schätzung“, glaubt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg. Auch die Konkurrenz bastelt an preiswerten Autos, ist aber noch nicht so weit wie Tata.

Trotz der rosigen Aussichten sind die Zeiten auch für Tata schwer. Der Bau eines neuen Werkes verzögerte sich wegen Bürgerprotesten, die Zahlen seines Unternehmens sind schlecht, der Aktienkurs im freien Fall. Branchenexperten bezweifeln, dass er den Kampfpreis von 100 000 Rupien lange wird halten können. Stahl ist teurer geworden, der Kurs der Rupie zum Dollar schwächer, das treibt die Kosten. „Wir haben versprochen, dass der Nano nur etwa 2000 Dollar kosten wird, und wir werden dieses Versprechen halten – zumindest am Anfang und für eine bestimmte Zeit“, bekennt der Vorzeige-Unternehmer.

Tata will erst in Indien bis zu einer Million Autos verkaufen und sich dann dem Rest der Welt zuwenden. Frühestens Ende 2010 könnte der Winzling nach Europa kommen, zuerst nach Spanien, Italien und Polen. In Deutschland dürfte er kaum vor 2012 zu kaufen sein. Dann aber mit einem 70-PS-Motor, zwei Airbags und ABS. So viel Komfort hat seinen Preis: Laut Tata wird der Wagen mindestens 5000 Euro kosten.

Das wird den Erfolg nicht schmälern, ist sich Dudenhöffer sicher. „Der Nano wird die Erfolgsgeschichte des Dacia Logan kopieren.“ Er werde Leute ansprechen, „die schon immer von einem Neuwagen geträumt haben, sich ihn aber nie leisten konnten. Jetzt können sie.“

Mitarbeit: Henrik Mortsiefer

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