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Was ich Dir sagen wollte. Bundestrainer Joachim Löw tauscht sich vor dem WM-Spiel gegen Ghana mit Spieler Thomas Müller aus.

© Reuters

Teamgeist: Reden ist Gold

Kommunikation ist nicht nur in Fußballmannschaften das A und O für Erfolg. Was Teams in der Arbeitswelt von den WM-Stars auf dem Rasen lernen können.

Teamgeist“ hat ausgedient. Der offizielle Ball der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland trug diesen Namen. In Brasilien jagen die Spieler nun einem Rund namens „Brazuca“ hinterher. Das Kunstwort soll für das brasilianische Lebensgefühl stehen.

Und trotzdem ist Teamgeist allgegenwärtig bei der WM 2014. „Der Teamgeist ist spürbar“, stellte der Assistenztrainer Hansi Flick bei der deutschen Mannschaft fest, der US-Nationalspieler Jermaine Jones sagte: „Als Team sind wir stärker als zwei, drei besondere Spieler.“

Trotz der individuellen Klasse von Weltstars wie dem Brasilianer Neymar oder dem Argentinier Lionel Messi haben praktisch alle 32 WM-Teilnehmer ihre Hoffnungen auf das Zusammenspiel der Mannschaft gesetzt, um am Ende den Titel zu gewinnen.

Auch in Unternehmen spielt die Kraft des Wir-Gefühls eine entscheidende Rolle. In einer Umfrage des Personaldienstleisters Robert Half nannten 56 Prozent der 1581 befragten Büroangestellten aus sechs Ländern die Zusammenarbeit und die Teamfähigkeit als die wichtigsten Erfolgsfaktoren für ein überdurchschnittlich erfolgreiches Team. Doch in 44 Prozent der Firmen nehmen die Befragten die Teamleistung als nur durchschnittlich oder sogar unterdurchschnittlich wahr. Es lässt sich also einiges optimieren in deutschen Büros. Kann man dabei etwas lernen vom Fußball, dessen Weltmeisterschaften oft so etwas sind wie eine Weltmesse der Siegesstrategien?

Dem großen Ziel ist alles unterzuordnen

„Einem großen Ziel wie dem WM-Titel ist alles unterzuordnen, jeder muss Opfer bringen und seine Eitelkeiten hinten anstellen“, sagt der Ex-Fußballprofi Hansi Müller. Der 56-Jährige war 1980 Europameister und 1986 Vizeweltmeister. Heute hält er Vorträge bei Firmen, darüber, was sich vom Fußball in die Wirtschaft übertragen lässt. Als Beispiel für sein eher klassisches Verständnis von Teamwork nennt er den deutschen Mittelfeldstar Bastian Schweinsteiger, der sich zu Beginn des Turniers klaglos auf die Ersatzbank setzte und die Spieler auf dem Feld anfeuerte.

Doch wie entwickelt sich dieser Zusammenhalt in einer Gruppe, wie kann sich jeder am besten einbringen? „Fußballer sind wie Arbeitnehmer oft Einzelkämpfer“, sagt der Psychologe Arno Schimpf, „jeder will seine optimale Leistung abrufen und zur ersten Elf gehören“. Schimpf betreut seit 25 Jahren Einzel- und Mannschaftssportler, darunter die deutschen Fußballerinnen bei der WM im eigenen Land 2011 und mehrere Männer-Bundesligisten. „Wenn ich zu einer Mannschaft stoße, schnappe ich mir einige wichtige Spieler, erfrage ihre mentalen Modelle und leite daraus einen Teamgedanken ab.“ Man müsse jedem Einzelnen deutlich machen, wie seine individuellen Ziele in die der Gruppe passen. „Man muss die Lust wecken, auf sich, seine eigene Leistung und das Team“, sagt Schimpf. „In der Gruppe springt dann der Funke, die Leidenschaft von einen auf den anderen über.“

Oft ergibt sich das Ziel bei Mannschaften wie bei Unternehmen scheinbar von alleine: der Erfolg im Wettbewerb. Doch oft herrsche ein Leitbild oder eine Vision vor, die nicht zu den Angestellten passe. „Entweder passe ich mein Personal meiner Strategie an oder meine Strategie dem Personal“, sagt Schimpf. Als Beispiel nennt er die spanische Mannschaft: Ihre Strategie der vielen kurzen Pässe machte die Spanier zu Welt- und Europameistern. Die Konkurrenz hat sich darauf eingestellt. Der Titelverteidiger schied in Brasilien in der Vorrunde aus.

Schimpf wird als Coach von Unternehmen wie SAP, Mercedes oder Würth zurate gezogen. Oft sieht er, dass sich Vorgesetzte als Strategen und Analytiker sehen und darüber die Kommunikation mit Mitarbeitern vernachlässigen. Hansi Müller sagt: „Ein Trainer hat oft nicht die Zeit, jedem Spieler seine Entscheidungen zu erklären. Aber er kann das an seine Assistenztrainer delegieren.“ Bundestrainer Joachim Löw schaffe es etwa, dass sich jeder wichtig in der Gruppe fühle.

„Führungskräfte wie Trainer müssen wieder mehr Coach für ihr Personal sein“, sagt Schimpf, die Zeit sei da. „Statt vier Stunden Videoanalysen anzuschauen, kann ich davon zwei Stunden mit den Spielern reden.“

Ein Feierabendbier fördert den Mannschaftsgeist

Das Konzept des deutschen Teams, im WM-Quartier in Campo Bahia in Wohngemeinschaften zu wohnen, sei eine „verdammt gute Idee“. Ungezwungene Kommunikation plus Rückzugsorte, das praktizieren auch Unternehmen wie SAP in Etagenbüros, Open Spaces genannt. Wenn jeder genug Freiraum erhält, sein kreatives Potenzial abzurufen, ist auch der Gruppe geholfen.

Gruppen nach Persönlichkeitsprofilen zusammenzustellen, hält Schimpf für gefährlich. Auch drei Fußball-Bundesligisten arbeiten mit solchen Programmen, scouten etwa handlungsorientierte Charaktere als Stürmer. „Unter Stress reagieren Menschen oft anders“, sagt Schimpf. Sinnvoll sei dagegen das Arbeiten in kleinen Untergruppen, zum Beispiel von Abwehr- oder Mittelfeldspielern. „Cliquenbildung wird in Deutschland oft negativ gesehen“, erklärt der Psychologe, dabei arbeiten Gleichgesinnte oft effektiver zusammen. Man müsse auch nicht jeden aus falsch verstandenem Gerechtigkeitssinn gleich behandeln. „Eine Führungskraft muss nur erklären, warum der Einzelne dem Team so mehr helfen kann.“ Wie der alternde italienische Spielmacher Andrea Pirlo, für den die Mitspieler mitliefen, um ihn zu entlasten.

Offensichtlich erzieherisches Teambuilding, wie sich fallen und vom Partner auffangen lassen, sind laut Schimpf außer Mode. Dafür plädiert er gerade bei Projektarbeiten, bei denen Mitarbeiter fast wie bei einem Fußballturnier viel aufeinander hocken, für Abwechslung, die Spaß und Genuss in den Vordergrund stellt. Etwa Kochen. Oder das Feierabendbier. Die Deutschen fuhren in Brasilien gemeinsam Jetski. „Die Seele wird gerade als Human Capital wiederentdeckt“, sagt Schimpf. „Wer mit Lust und Freude an der Gruppe gemeinsame Ziele verfolgt, der kann Großes erreichen.“ Es muss ja nicht gleich der Weltmeistertitel sein.

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