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Arbeitsteilung. Der Rohstahl aus dem brasilianischen Hüttenwerk soll in Alabama weiterverarbeitet werden. Foto: dpa

© dpa

Wirtschaft: Thyssen-Krupp will raus aus den USA

Das Stahlwerk in Alabama wird verkauft, die Probleme in Brasilien bleiben dem Konzern erhalten.

Berlin - Von einer kleinen Anhöhe blickte Ekkehard Schulz hinab auf die neue Fabrik. Viermal so groß wie der Central Park, mit 3,2 Milliarden Euro die zweitteuerste Investition in der 200-jährigen Unternehmensgeschichte. Von einer „neuen Dimension“ sprach Schulz, als er im Dezember 2010 in Alabama mit mehr als 3000 Gästen die Inbetriebnahme des neuen Stahlwerks feierte.

Knapp drei Jahre später bahnt sich nun für seinen Nachfolger Heinrich Hiesinger ein Erfolg ganz anderer Art an: Er hat für das Stahlwerk einen Käufer gefunden. Endlich wird Thyssen-Krupp einen Ballast los, der den ganzen Konzern gefährdet. Das ist die gute Nachricht. Es gibt aber auch eine schlechte: Das Stahlwerk in Brasilien, mit sieben oder acht Milliarden Euro mit Abstand die größte Investition des Konzerns und von Schulz ebenfalls 2010 in Betrieb genommen, wird Hiesinger nicht los. Deshalb lag die Thyssen-Krupp-Aktie am Mittwoch mit minus 1,6 Prozent auch am Dax-Ende.

In den vergangenen drei Jahren ist viel passiert. Schulz und der Aufsichtsratsvorsitzende Gerhard Cromme wurden wegen des Desasters bei „Steel Americas“, wie der Bereich im Konzernjargon heißt, vom Hof gejagt. Im vergangenen Sommer starb wenige Monate vor seinem 100. Geburtstag Berthold Beitz. Der Patriarch aus der Villa Hügel sprach als Chef der Krupp-Stiftung, die ein Viertel der Anteile am Konzern hält, bis zum Schluss bei wichtigen Entscheidungen mit.

Wegen diverser Kartell- und Korruptionsskandale hat Hiesinger einige Vorstände gefeuert. Und er räumte im Konzern auf, einem Gemischtwarenladen mit gut 150 000 Mitarbeitern. Alle möglichen Geschäftsbereiche wurden verkauft, um sich auf profitable Bereiche wie Anlagenbau und Aufzüge zu konzentrieren und um den Schuldenstand zu reduzieren. Denn am Ende kosteten die beiden Anlagen in Übersee rund zwölf Milliarden Euro. Nach diversen Abschreibungen stehen Brasilien und Alabama noch mit rund 3,3 Milliarden Euro in den Büchern. Doch selbst dieser Preis ist derzeit kaum zu erreichen.

Man befinde sich „in exklusiven Verhandlungen über einen möglichen Verkauf“ des Werks in Alabama, teilte Thyssen-Krupp am Mittwoch mit. Die Relevanz des Vorgangs wird daran deutlich, dass die für diesen Donnerstag geplante Vorstellung der Bilanz auf den 2. Dezember verschoben wurde. Diversen Berichten und Gerüchten zufolge könnte Alabama übernommen werden von einem Konsortium rund um den Weltmarktführer Arcelor Mittal. Thyssen-Krupp nannte am Mittwoch keinen Käufernamen, dafür aber Inhalte des möglichen Deals. „Die Gespräche beinhalten auch den Abschluss eines langfristigen Brammenliefervertrags, wodurch eine wertsichernde Lösung für das brasilianische Stahlwerk erreicht würde.“ Der Käufer von  Alabama muss sich also verpflichten, eine bestimmte Menge an Rohstahlblöcken (Brammen) aus dem Hüttenwerk bei Rio abzunehmen. Hiesinger stellt sich also darauf ein, in nächster Zeit keinen Käufer für Brasilien zu finden.

Tatsächlich ist die Lage dort kompliziert. Der heimische Rohstoffkonzern Vale hält gut ein Viertel der Anteile an dem Hüttenwerk im Bundesstaat Rio de Janeiro. Mit dem Stahlkonzern CSN, ebenfalls ein brasilianisches Unternehmen, verhandelte Hiesinger lange Zeit vergeblich. Seine Position hatte er selbst geschwächt, indem er eine Frist für den Verkauf setzte. Im vergangenen Mai lief diese ab, und seitdem verfolgte der Vorstandschef einen Plan B: Alabama verkaufen und Brasilien erstmal behalten – und auf bessere Zeiten warten. Doch die Zeit drängt, Hiesinger braucht Geld. Seit Monaten wird über eine Kapitalerhöhung spekuliert, die mindestens eine Milliarde Euro bringen sollte. Aber bevor nicht klar ist, was aus „Steel Americas“ wird, traut sich Hiesinger nicht an den Kapitalmarkt.

Wie auch immer das ausgeht: Die beiden Stahlwerke in Übersee gehen als eine der größten Fehlinvestitionen in die deutsche Industriegeschichte ein. Das Drama hat viele Ursachen: Kokerei und Hochöfen in Brasilien funktionierten nicht und mussten mit Milliardenaufwand nachgerüstet werden; der Wechselkurs entwickelte sich ebenso wie der Erzpreis ganz anders als erwartet, Umweltprobleme und die Stahlrezession machten schließlich das Elend komplett.

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