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Henning Kagermann: „Elektromobilität ist aus Konsumentensicht kein Killer. Autos kennt ja jeder.“ Foto: dpa

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Henning Kagermann im Tagesspiegel-Interview: „Unsere Unternehmen sind im Nachteil“

Der Vorsitzende der Nationalen Plattform Elektromobilität, Henning Kagermann, warnt davor, die Kaufprämie für Elektroautos weiter zu verzögern. Es gehe nicht um Subventionen, sondern um gleiche Wettbewerbschancen für die deutsche Autoindustrie.

DER MANAGER

Henning Kagermann (68) ist Vorsitzender der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) und Präsident der Akademie der Technikwissenschaften. In der NPE arbeiten 150 Experten aus Industrie, Politik, Forschung und Gewerkschaften am Aufbau eines Marktes für Elektromobilität. Der Physiker war bis 2009 Vorstandschef von SAP.

DAS ZIEL

Die Bundesregierung will bis 2020 eine Million Elektroautos auf deutsche Straßen bringen. Anfang 2016 waren es nur gut 25 000. Derzeit wird über eine zusätzliche Förderung – etwa über direkte Kaufprämien für Privatkunden – nachgedacht. Eine Entscheidung wurde mehrfach vertagt und wird nun im April erwartet.

Herr Kagermann, wie frustriert sind Sie?

Man sollte sich nicht frustrieren lassen, auch wenn es bei der Marktförderung seit längerer Zeit hakt. Die Arbeit macht mir nach wie vor Spaß und wir haben mit der NPE viel bewegt.

Die Elektromobilität kommt nur im Schneckentempo voran. Ende 2015 haben Sie deshalb bei der Bundeskanzlerin angerufen, um mehr Tempo anzumahnen.

Als Anbieter von Elektromobilität ist Deutschland weit vorn, als Markt jedoch mittelmäßig, da müssen wir nachlegen. Dass nicht alle unsere Vorschläge sofort umgesetzt wurden, liegt in der Natur der Sache. Natürlich wünsche ich mir mehr, bin aber auch Realist: Ich bin Vorsitzender eines Beratungsgremiums, nicht der Vorstandschef eines Unternehmens.

Als Sie vor sechs Jahren Vorsitzender der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) wurden, waren die Erwartungen groß. Die Regierung rief das Ziel aus, bis 2020 eine Million E-Autos auf die Straße zu bringen. Daraus wird wohl nichts, oder?

Alle wissen, was zu tun ist. Die NPE schlägt schon seit Langem Maßnahmen vor, mit denen wir dieses gemeinsame Ziel erreichen können – immer noch. Die Umsetzung müsste schneller gehen: Entweder wir kommen bald weiter – oder wir müssen das Ziel anpassen.

Die Autoindustrie, Schlüsselbranche und Innovationstreiber der deutschen Wirtschaft, schafft es angeblich nicht allein, ein neues Produkt auf den Markt zu bringen. Wundert Sie das nicht?

Unsere Hersteller sind erfolgreich, bloß ist der Heimatmarkt noch vergleichsweise klein. In den internationalen Märkten, die Kaufanreize bieten, haben Elektrofahrzeuge aus Deutschland einen hohen Anteil. In den USA sind es rund 20 Prozent – im Vergleich zu etwa acht Prozent bei den konventionellen Fahrzeugen.

Aber ist es nicht blamabel, dass es auf dem heimischen Markt so schlecht läuft?

Die deutsche Autoindustrie ist weltweit bekannt und wir sind stolz auf sie. Es darf uns nicht passieren, dass diese Industrie im Zuge der Elektrifizierung, Digitalisierung und Automatisierung ihren Stellenwert verliert. Die Elektromobilität wird kommen. Wir sollten also aufpassen dass sie uns nicht überrollt – daran hängen Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Deutschland. Dafür brauchen wir einen starken heimischen Markt.

Derweil verkaufen die Konzerne hierzulande vor allem schwere Geländewagen und PS-starke Dienstwagen.

Dass die Industrie beide Wellen reitet – Elektromobilität und konventionelle Fahrzeuge –, macht Sinn. Elektromobilität ist eine Investition, die finanziert werden muss. 14 Milliarden Euro, die die Autoindustrie in die Forschung und Entwicklung alternativer Antriebe gesteckt hat, sind ja ein Wort.

Aber die Verbraucher kaufen trotzdem keine Elektroautos.

Dass sich SUVs so gut verkaufen, liegt auch am niedrigen Ölpreis. In der Marktwirtschaft können wir dem Kunden nichts aufzwingen. Die Nachfrage entscheidet.

Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage …

Nur Killerapplikationen schaffen ihre eigene Nachfrage. Wir kennen das vom iPhone oder anderen Produkten der IT-Industrie, die keine Vorläufer hatten.

Elektroautos sind keine Killerapplikation?

Elektromobilität bringt echte Verbesserungen – aber ein Killer aus Konsumentensicht ist sie nicht. Autos kennt ja jeder.

Die Bereitschaft, ein E-Auto zu kaufen, ist sogar gesunken.

Vor Jahren waren potenzielle Käufer bereit, 1000 bis 2000 Euro mehr für ein Elektroauto zu bezahlen. Heute liegt die Mehrpreisbereitschaft niedriger, weil die niedrigen Betriebskosten beim derzeit geringen Spritpreis weniger zu Buche schlagen. Sorgen macht mir jedoch, dass viele Kunden wegen der langen Diskussion um eine mögliche Kaufprämie abwarten.

Die NPE hat früh eine Kaufprämie vorgeschlagen. Die Regierung wollte eigentlich 2015 darüber entscheiden. Dann hieß es, sie kommt im März. Nun hat man sich erneut auf den April vertagt. Wird das Thema verschleppt?

An ein paar Monaten wird es nicht liegen. Fakt ist: Ohne eine Kaufprämie erreichen wir das Millionen-Ziel nicht. Und es muss bald passieren, noch in diesem Jahr.

Viele sagen, eine Kaufprämie subventioniert die Falschen, sie provoziert Mitnahmeeffekte und verpufft deshalb.

Kein Instrument ist ohne Nachteil. Man kann die Förderung aber optimieren. Zum Beispiel, indem man die elektrische Luxusklasse weniger fördert, aber stärker die Modelle für den Massenmarkt. Wichtig ist jetzt, dass eine grundsätzliche Entscheidung über die Kaufprämie kommt. Mitnahmeeffekte lassen sich durch die Ausgestaltung minimieren.

Nicht mal Behörden und Flottenbetreiber gehen mit gutem Beispiel voran und schaffen E-Autos an.

Das ist in der Tat enttäuschend. Da erwarte ich deutlich mehr.

Sie haben auch eine Abgabe von einem oder zwei Cent auf den Liter Sprit zur Gegenfinanzierung einer Kaufprämie vorgeschlagen. Wäre es nicht konsequenter, ein Bonus-Malus-Modell einzuführen, das hohe CO2-Emissionen bestraft?

Das hat man in Frankreich gemacht, aber die Wirkung war nicht so gut. Außerdem bestraft ein Malus den potenziellen CO2-Ausstoß, nicht den tatsächlichen. Wenn der SUV überwiegend in der Garage steht, verbrennt er auch kein Benzin. Man belastet nur den vermeintlich reicheren Verbraucher, weil er sich ein großes Auto leistet. Das ist ein soziales Argument. Es geht aber um Ökologie. Deshalb halte ich eine Abgabe auf Benzin und Diesel für geschickter. Sie belastet den tatsächlichen Spritverbrauch. Im Schnitt liegt die Mehrbelastung pro Autofahrer bei rund zwölf Euro – im Jahr.

Hat die Sonder-Abschreibung für gewerbliche Käufer von E-Autos, für die auch der Bundesrat plädiert, noch eine Chance?

Sie ist nach wie vor ein gutes Instrument, das die gewerbliche Nachfrage stimuliert. Doch die Sonder-AfA wird nicht für die Million bis 2020 reichen – dafür ist es zu spät. Der niedrige Zins und der niedrige Ölpreis machen uns bei der Sonder-Afa einen Strich durch die Rechnung.

Die NPE schlägt eine Kaufprämie, eine Sonder-Afa, ein Programm zum Aufbau der Ladeinfrastrukur und zur öffentlichen Beschaffung vor. Ist das politisch durchsetzbar? Der Finanzminister hat beim Thema Kaufprämie schon abgewunken.

Das ist eine gute Frage. Die Vorschläge der NPE liegen auf dem Tisch. Was davon politisch durchsetzbar ist, klärt sich gerade. Es geht allerdings um ein Ziel der Regierung und ein Thema, das für den Wirtschaftsstandort Deutschland wichtig ist.

Die Autoindustrie rechnet bei einer zusätzlichen Förderung in Höhe von einer Milliarde Euro mit 300 000 Elektroautos bis Ende 2018 – dann fehlen immer noch 700 000 bis zur Million.

Wir sind alle im Planungsmodus. Wir haben durchgerechnet, wie welche Förderung wirkt. Wenn der Markt bis 2018 anspringt, können die Stückzahlen schnell steigen. Ich bin aber der Letzte, der dagegen ist, ein Instrument wieder abzusetzen, sollten sich die Erwartungen nicht erfüllen – oder wenn es seinen Zweck erfüllt hat und wir im Massenmarkt angekommen sind.

Eine Milliarde Euro zusätzlich von 2016 bis Ende 2018 – so viel muss sein?

Das ist ein Paket in einer Größenordnung, mit der man realistisch zu einem Erfolg kommt. Wir sind nicht die Einzigen, die fördern. Es geht hier auch um gleiche Chancen im Wettbewerb. Ohne einen starken Heimatmarkt sind unsere Unternehmen industriepolitisch im Nachteil.

Sie haben stets vor einem Subventionswettbewerb gewarnt.

Was wir brauchen, sind gleiche Wettbewerbsbedingungen. Wir wollen andere Länder nicht übertreffen, sondern Chancengleichheit bei der Elektromobilität herstellen. Wenn wir immer mehr Elektrofahrzeuge auf den Straßen haben, können wir aufatmen – und das meine ich nicht nur industriepolitisch.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer

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