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Vorübergehend geschlossen. Tchibo musste während der Auseinandersetzungen in der Türkei einige Geschäfte zumachen.

© AFP

Deutsche Firmen besorgt über Entwicklung in der Türkei: Unter Beobachtung

Rund 5000 deutsche Firmen sind in der Türkei tätig. Die Proteste machen vielen Sorgen, bei manchen leidet bereits das Geschäft. Investoren halten sich zurück.

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Um 21 Uhr beginnt in Istanbul die Stunde der Demonstranten. Ayşe Çelik* und ihre sechsjährige Tochter stehen dann im Wohnzimmer ihrer Wohnung in Istanbul. Während die Mutter das Licht an- und ausknipst, hämmert die Tochter mit einem Holzlöffel auf einen umgedrehten Kochtopf. „Zum Taksim-Platz traue ich mich nicht“, erzählt Çelik am Telefon, „mit meiner Tochter ist mir das zu gefährlich.“ Mit den Lichtzeichen und dem Lärm jeden Abend will die Türkin wie ein Großteil ihrer Nachbarn dennoch zeigen, dass sie mit der Politik von Premier Recep Tayyip Erdogan nicht mehr einverstanden ist.

Angst, dass die Proteste ein schlechtes Licht auf die Türkei als Handelspartner für den Westen werfen könnten, hat sie nicht. Seit Ende Mai protestieren die Bürger im Gezi-Park gegen den autoritären Führungsstil Erdogans.

Die Deutsch-Türkische Industrie- und Handelskammer in Istanbul, die die deutschen Firmen im Land vertritt, sieht zwar noch keine Auswirkungen auf die Geschäfte durch die Proteste. „Dennoch beobachten die deutschen Unternehmen die Lage im Land mit Sorge und großer Aufmerksamkeit“, sagt der geschäftsführende Vorstand der Kammer, Marc Landau. Denn in Istanbul, wo die Aufstände am stärksten sind, werden 40 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes erwirtschaftet.

"Eine junge, wachsende, konsumfreudige Gesellschaft"

„Die deutschen Unternehmer sind unruhig“, bestätigt die Berliner Steuerberaterin Süreyya Inal. Die gebürtige Türkin berät deutsche Firmen, die in die Türkei expandieren wollen. Ihre Erfahrung zeige: Firmen, die gerade dabei sind, Geschäftsbeziehungen mit der Türkei aufzubauen, sind derzeit sehr zurückhaltend. „Sie hinterfragen angesichts der aktuellen Situation ihre Investitionsabsichten.“

Die Unternehmen, die bereits im Land aktiv sind, warten ebenfalls ab. Das Hamburger Unternehmen Tchibo teilte auf Anfrage mit, es habe leichte Umsatzeinbußen erlitten. Eine Handvoll der 50 Filialen im Land habe man während der Proteste für einige Tage schließen müssen, sagt Sprecher Arnd Liedtke. Die meisten Geschäfte seien aber in großen Einkaufscentern und damit nicht betroffen. Man beobachte die Situation, sei aber optimistisch für das Land. „Die Türkei ist eine junge, wachsende, konsumfreudige Gesellschaft“, sagt Liedtke. Für Tchibo gehöre das Land zu den Wachstumsregionen.

„Die Demonstranten sind bemüht, Geschäftsleute nicht mit in die Auseinandersetzungen hineinzuziehen“, sagt Stephan Klose, Sprecher der Drogeriemarktkette Rossmann. Das Unternehmen habe wegen der Proteste daher nur zwei Filialen in Izmir und Istanbul jeweils für einen Tag schließen müssen. „Beim Umsatz hat sich das kaum bemerkbar gemacht“, sagt er. Insgesamt ist Rossmann mit 20 Filialen in der Türkei vertreten. „Wir stehen mit der Expansion dort noch am Anfang“, erläutert Klose.

Der Chemiekonzern BASF, der mit sechs Standorten in der Türkei vertreten ist, und auch das Modeunternehmen Hugo Boss, das seit 1998 ein Werk in Izmir betreibt, spüren noch keine Auswirkungen auf ihr Geschäft. Beide Firmen wollten die politische Situation nicht kommentieren, gaben aber an, die Lage sorgfältig zu beobachten.

"Der wirtschaftliche Erfolg der Türkei könnte schaden nehmen"

Burhan Gözüakca von der Berliner Werbeagentur Beys bestätigt: „Die Proteste sorgen für Misstrauen unter den Unternehmern.“ Seine Agentur kümmert sich um die Markenkommunikation deutscher Konzerne, die ihre Produkte auf den türkischen Markt bringen wollen. „Ich habe das ungute Gefühl, dass der wirtschaftliche Erfolg der Türkei Schaden nehmen könnte“, sagt Gözüakca. Wenn die Proteste aber dazu führten, dass die Regierung ihren Führungsstil in Zukunft weniger autoritär gestalte, könnte sich das positiv auf die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen auswirken. „Die Unternehmer aus Deutschland finden es gut, wenn die Zivilgesellschaft stärker wird.“

Unter Erdogan, der das Land seit 2003 regiert, ist die Wirtschaft bisher kräftig gewachsen. „Die Regierung hat für wirtschaftspolitische Stabilität in der Türkei gesorgt und so den Aufschwung beflügelt“, sagt Landau. 2010 war das Bruttoinlandsprodukt real um 9,2 Prozent gestiegen, 2011 waren es 8,8 Prozent. „Am Wachstum haben auch deutsche Unternehmen in hohem Maße teilgenommen“, erläutert Landau. Im Jahr 2000 hätten rund 500 deutsche Firmen eine Niederlassung in der Türkei gehabt, heute seien es 5000. Wichtige Branchen sind die Textilwirtschaft, die Auto- und Elektroindustrie sowie der Einzelhandel.

Selim Kuzu ist regelmäßig in der Türkei unterwegs. Nach Meinung des Berliner Anlageberaters haben die Proteste auch Auswirkungen auf die Investitionen deutscher Anleger in der Türkei. Als Geschäftsführer der Agentur DIK Solutions berät Kuzu deutsche Anleger, die zum Beispiel in türkische Infrastrukturprojekte investieren wollen. „Wer Geld in der Türkei anlegen wollte, wartet jetzt erst einmal ab“, sagt er.

Ayşe Çelik will weiterprotestieren. Sie stört vor allem, dass Erdogan „die Freiheit der Menschen einschränkt“. „Es sollte mir überlassen sein, wie ich lebe“, sagt sie. So findet sie es unmöglich, dass Erdogan zum Beispiel den Verkauf von Alkohol zwischen 22 Uhr und 6 Uhr verbieten will. „Es ist doch meine Entscheidung, wann ich was trinke“, sagt sie. Çelik wird deshalb weiter das Licht an- und ausknipsen, auch heute Abend, pünktlich um 21 Uhr.

*Name von der Redaktion geändert.

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