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Wirtschaft: Unter Deutschlands Solardächern ist Unruh

Zwei Jahre nach dem Grundsatzbeschluss für die Energiewende gibt es mehr als ein Dutzend Baustellen – ein Inspektionsbericht.

Gewiss ist nur eines: die Ungewissheit. Zwei Jahre nach dem endgültigen Beschluss über die deutsche Energiewende gestaltet sich der Umbau der Energieversorgung schwierig. Was nicht zuletzt daran liegt, dass eine Bundestagswahl bevorsteht. Vieles ist in Gang gesetzt, aber noch mehr ist im Detail umstritten, und es gibt viele – sich ausschließende – Wege zum Ziel. Die Energiewende besteht im Jahre zwei nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima aus einem guten Dutzend Baustellen.

Auf der Habenseite steht der Ausbau der erneuerbaren Energien, der seit dem ersten Stromeinspeisegesetz über das Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000 inzwischen zu einem Anteil am Stromverbrauch von gut 25 Prozent geführt hat. Mehr als 50 Prozent der Windparks, Solar- und Biogasanlagen sind in Privatbesitz. Lediglich gut sechs Prozent der Anlagen werden von den großen vier deutschen Energiekonzernen betrieben: Eon, RWE, EnBW und Vattenfall.

Die Kehrseite des rasanten Aufbaus erneuerbarer Stromerzeugungskapazität ist die steigende EEG-Umlage, über die alle Stromkunden – mit Ausnahme von etwas mehr als 1700 Unternehmen mit einem Stromverbrauch von mehr als 1000 Megawattstunden im Jahr – die von der Inbetriebnahme an für 20 Jahre garantierten Festpreise für erneuerbar erzeugten Strom bezahlen. Zum 1. Januar 2013 stieg die Umlage von 3,6 auf 5,3 Cent, und im kommenden Jahr dürfte sie weiter steigen. Das hat mehrere Gründe: Zum einen haben Bundestag und Bundesrat rund drei Jahre darüber gestritten, wie die Solarstromvergütung an die rasant gesunkenen Preise für Solarpaneele angepasst werden soll. Die ewige Diskussion führte zu einem regelrechten Schlussverkauf. Drei Jahre lang sind jeweils rund 7000 Megawatt Solarstromleistung dazugekommen. Angesichts der niedrigen Zinsen gab es lange Zeit keine lukrativere Geldanlage als Solaranlagen.

Dieses Politikversagen führte zu ziemlich hohen Kosten für die Verbraucher. Dazu kommen die Ausnahmeregelungen für die Industrie, die einen sehr geringen Anteil an der EEG-Umlage zu tragen hat. Die ursprünglich im Gesetz vorgesehenen Ausnahmen für die energieintensive Industrie sind immer weiter ausgedehnt worden. Den größten Effekt hat jedoch der dramatisch gesunkene Börsenstrompreis. Denn die EEG-Umlage errechnet sich aus dem Abstand zwischen dem Strompreis an der Börse in Leipzig und der garantierten Einspeisevergütung für die Betreiber von Solardächern oder Windparks. Deshalb wird seit Monaten über eine EEG-Reform debattiert, die aber frühestens im kommenden Jahr, nach der Bundestagswahl, kommen wird.

Nach fast zwei Jahrzehnten ohne große Investitionen in das Stromnetz liegt nun auch ein erster Netzentwicklungsplan vor. Darin sind als Kernstück drei große Höchstspannungsleitungen in Gleichstromtechnik (HGÜ) zwischen den norddeutschen Windstromproduktionszentren und den Verbrauchszentren in Süddeutschland vorgesehen.

Der Netzausbau kommt inzwischen schneller voran, berichtet der Berliner Infrastrukturexperte Christian von Hirschhausen von der Technischen Universität in einem aktuellen Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Hirschhausen hält den Netzausbauplan allerdings für völlig überzogen. Seiner Auffassung nach geht es beim Netzausbauplan nicht darum, erneuerbar erzeugten Strom zu den Kunden zu bringen, sondern zu garantieren, dass Kohlestrom auch künftig exportiert werden kann. Die großen Leitungen seien genau so angelegt, dass sie einen optimalen Abtransport der Kohlekapazitäten gewährleisteten, sagte Hirschhausen dem Tagesspiegel. Zudem hat die Bundesregierung eine weitere Umlage auf die Rechnung der Stromkunden beschlossen, um den Anschluss von Windparks im Meer ans Stromnetz zu garantieren.

Trotz dieser sogenannten Haftungsregelung und einem großzügigen Vergütungsmodell für Offshore-Windstrom kommt der Ausbau in Nord- und Ostsee nur schleppend in Gang. Das Gleiche gilt übrigens auch für neue Kohle- oder Gaskraftwerke. Wegen des dramatisch gesunkenen Großhandelspreises für Strom und der Tatsache, dass der Solarstrom die sogenannte Mittagsspitze im Stromverbrauch und im Preis inzwischen eingeebnet hat, führt dazu, dass sich Neuinvestitionen kaum noch rechnen. Inzwischen sind neu gebaute Gaskraftwerke nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben. Und bei den Kohlekraftwerken lohnen sich angesichts des ebenfalls dramatisch gesunkenen Kohlepreises auch nur die alten abgeschriebenen Anlagen, die lediglich den Brennstoffpreis refinanzieren müssen.

Deshalb wird in Fachkreisen seit Monaten auch darüber diskutiert, ob der sogenannte Energy-only-Markt, der über den Börsenstrompreis lediglich den Erzeugungspreis für Strom vergütet, nicht aber eine Refinanzierung von Investitionen ermöglicht, durch einen Kapazitätsmechanismus ergänzt werden sollte. Darüber würde die Bereitstellung von elektrischer Leistung für Zeiten, in denen weder die Sonne scheint noch der Wind weht, vergütet. Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sind sich in dieser Frage zur Abwechslung einmal einig: Sie fürchten einen komplett subventionierten Strommarkt und wollen deshalb beide lieber in eine „strategische Reserve“ investieren, also Firmen dafür Geld bezahlen, dass sie unwirtschaftliche Kraftwerke nicht vom Netz nehmen.

In Fachkreisen wird nun darüber gestritten, welche Variante teurer kommt. Auch hier gilt: Entscheidungen sind frühestens 2014 zu erwarten. Am sinnvollsten wäre es vermutlich, die EEG-Reform und die Frage, wie Strom künftig gehandelt und bezahlt werden soll, gemeinsam zu verhandeln. Schließlich soll die Stromversorgung bis 2050 zu mindestens 80 Prozent aus erneuerbaren Energien erfolgen. So sieht es das Energiekonzept der Bundesregierung vor.

Dass Deutschland mitten in Europa liegt, macht die Debatte nicht leichter. Was hier passiert, hat Auswirkungen auf die Energiemärkte der Nachbarländer. Und die fühlen sich von der deutschen Energiewende bisher etwas überfordert.

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