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VW will Schadenersatz von Winterkorn und Stadler wegen Abgasskandals

© picture alliance / dpa

Nach dem Dieselskandal: Volkswagen fordert Schadenersatz von Winterkorn und Stadler

Der Konzern will Schadenersatzansprüche gegen die ehemaligen Top-Manager geltend machen. Ob die Auseinandersetzung vor Gericht landet, ist noch offen.

Martin Winterkorn soll zahlen. Volkswagen macht Schadensersatzansprüche gegen den früheren Konzernchef und den ehemaligen Audi-Chef Rupert Stadler geltend. Fünf Jahre lang hat die Rechtsanwaltskanzlei Gleiss Lutz Haftungsansprüche geprüft. Mehr als 65 Petabyte Daten und insgesamt mehr als 480 Millionen Dokumente mussten dafür gesichtet werden, außerdem staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten und Berichte des US-Monitors. Nun kommen die Anwälte zu dem Ergebnis, dass der Autobauer Winterkorn „fahrlässige Pflichtverletzungen“ vorwerfen muss, wie VW am Freitag mitteilte. Das Aktienrecht zwingt den Aufsichtsrat bei entsprechenden Erkenntnissen zu diesem Schritt, andernfalls machen sich die Aufseher strafbar.

Winterkorn wird Nachlässigkeit vorgeworfen

Am berühmt-berüchtigten „Schadenstisch“, an dem Winterkorn seine Ingenieure regelmäßig berichten ließ, hat es der frühere VW-Chef im Juli 2015 offenbar an der ihm nachgesagten Pendanterie mangeln lassen. Nach Erkenntnissen der Anwälte habe es Winterkorn unterlassen, „die Hintergründe des Einsatzes unzulässiger Softwarefunktionen in 2,0 I TDI-Dieselmotoren unverzüglich und umfassend aufzuklären“. Es ging um Fahrzeuge, die in den Jahren 2009 bis 2015 im nordamerikanischen Markt verkauft wurden. Außerdem habe es Winterkorn unterlassen, dafür zu sorgen, dass die in diesem Zusammenhang von den US-Behörden gestellten Fragen umgehend wahrheitsgemäß und vollständig beantwortet wurden.

Erst zwei Monate nach der Unterredung am Schadenstisch am 27. Juli platzte die Bombe: Volkswagen räumte die Software-Manipulationen öffentlich ein, der Aktienkurs kollabierte, Millionen Kunden, Geschäftspartner und Behörden wurden in einen der größten Betrugsskandale der Wirtschaftsgeschichte gezogen. Winterkorn trat im September 2015 zurück. Bis heute hat der VW-Konzern 32 Milliarden Euro an Rückstellungen dafür gebildet. Etliche Straf- und Schadenersatzprozesse laufen noch, viele Kunden warten bis heute auf eine Entschädigung.

Außergerichtliche Einigung steht im Raum

Winterkorns Anwälte reagierten am Freitag prompt. Winterkorn weise den gegen ihn erhobenen Vorwurf zurück, hieß es in einer Erklärung. Er sei davon überzeugt, „in dem knappen Zeitraum im Spätsommer 2015 alles Erforderliche getan und nichts unterlassen zu haben“. Am Ende der Erklärung öffnen die Anwälte eine Tür für eine außergerichtliche Einigung: Winterkorn werde „eine Klärung dieser Fragen im Dialog mit der Volkswagen AG suchen“.

Winterkorn muss sich ab dem 16. September 2021 vor dem Landgericht Braunschweig wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs verantworten. Rupert Stadler steht wegen des Dieselskandals zusammen mit anderen ehemaligen Audi- und Porsche-Managern bereits seit Herbst vor dem Langericht München. Ihm werfen die VW-Anwälte nun vor, er habe seine Pflichten verletzt, indem er es nach dem 21. September 2016 unterlassen habe, dafür zu sorgen, dass von der VW-Tochter entwickelte große Dieselmotoren auf unzulässige Softwarefunktionen untersucht wurden. Auch vier ehemalige Vorstände von Audi, Porsche und VW nimmt der Konzern wegen der Abgasmanipulation in Regress.

VW wirft seinem ehemaligem Konzern-Chef Martin Winterkorn "fahrlässige Pflichtverletzung" vor.
VW wirft seinem ehemaligem Konzern-Chef Martin Winterkorn "fahrlässige Pflichtverletzung" vor.

© AFP

Ob sich Winterkorn außergerichtlich mit Volkswagen einigen kann, wird sich zeigen. „Ein Vergleich ist möglich und könnte sowohl im Interesse des Unternehmens und seiner Anteilseigner sein“, sagte Remo Klinger dem Tagesspiegel. Der Berliner Anwalt hat unter anderem die Deutsche Umwelthilfe in zahlreichen Verfahren zu Diesel-Fahrverboten vertreten. Weder den Eigentümerfamilien Porsche und Piech, noch dem Großaktionär Niedersachsen dürfte auch an einer langen gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Ex-CEO gelegen sein.

Prozess könnte auch für VW von Nachteil sein

In Wolfsburg ist man ohnehin bemüht, neben Winterkorns Schuld auch immer seine „beeindruckende Lebensleistung“ zu würdigen. Dennoch wird der 73-Jährige wohl kräftig zur Kasse gebeten. „Die Schadenersatzsumme darf nicht zu niedrig ausfallen, sonst stünde der Vorwurf der Untreue im Raum“, sagte Remo Klinger. Auf Heller und Pfennig werde man den Schaden, der Winterkorn zugerechnet werde, allerdings nicht ausrechnen können. „Aber es wird ein sehr relevanter Millionen-Betrag sein“, so Klinger. Nicht ausgeschlossen wird eine niedrige zweistellige Millionensumme.

Kommt es zu einem Schadenersatzprozess, würden Zeugen vernommen, deren Aussagen weitreichende Konsequenzen haben könnten. In Deutschland schloss Volkswagen zwar mit mehr als 240.000 Geschädigten einen Vergleich, der den Konzern rund 800 Millionen Euro kostete. Vor dem Oberlandesgericht Braunschweig läuft aber noch die Musterklage von Anlegern, die Schadensersatz für erlittene Kursverluste durch den Dieselskandal fordern. „Zeugenaussagen in einem Schadenersatzprozess könnten neue Erkenntnisse bringen und auch in zivilrechtlichen Verfahren verwendet werden“, sagt Anwalt Klinger. „Da können sich durchaus wertvolle Wechselwirkungen ergeben.“

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