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Italiens langer Schatten. Mario Monti vor dem Euro-Gipfel.

© dapd

Vor dem EU-Gipfel: "Europa befindet sich in einer Sackgasse"

Der italienische Ökonom Tito Boeri spricht mit dem Tagesspiegel über den Gipfel, die Ängste der Deutschen und Montis Reformen in Italien.

Herr Boeri, Deutschland haftet mit riesigen Summen für die bestehenden Rettungsschirme. Ist Vorsicht angesichts weiterer Hilfsmaßnahmen nicht angebracht?

Die Ängste der Deutschen sind absolut verständlich. Der Fall Griechenland hat uns gezeigt, was passiert wenn ein Staat über Jahre verantwortungslos mit den eigenen Finanzen umgeht. Man darf aber nicht vergessen, dass es andere Länder wie Irland, Italien Spanien und Portugal gibt, die von der Krise angesteckt wurden und daraufhin ihre Haushälter zu sanieren angefangen haben. Zwar muss jedes Land mit spezifischen Problemen ringen. In Irland und Spanien sind die Banken ein wunder Punkt. In Italien ist die Staatsverschuldung immer noch enorm. Aber etwas hat sich immerhin getan.

Also war die Krise hilfreich?

Ja. In dem Sinne, dass sie einige Veränderungen beschleunigt hat. Irland steht inzwischen wieder auf eigenen Beinen. In Italien gab es eine politische Wende, die den Weg zu einem Reformplan ebnete. Die Reformen, die die Monti-Regierung verabschiedet hat, sind zwar nicht optimal. Aber es gab wichtige Fortschritte.

Wenn man die Debatten der letzten Tage betrachtet, hat man den Eindruck, dass es zu einer Kommunikationspanne zwischen Deutschland und dem Rest Europas gekommen ist.

Es gibt zwei unterschiedliche Kommunikationsprobleme. In den Ländern, die von der Krise betroffen sind, müssen die Politiker deutlich sagen, dass man ohne strukturelle Reformen nicht aus der Krise kommen kann. In Deutschland muss die Regierung den Bürgern erklären, dass Europa sich in einer Sackgasse befindet. Eine strenge Fiskalpolitik alleine würde die Rezession in den Krisenländern verschlimmern, die Zinsen auf Staatsanleihen weiter in die Höhe treiben und letztendlich die antieuropäischen Tendenzen stärken. Die Deutschen sollten begreifen, dass der Zusammenbruch des Euro-Raums viel teurer wäre als die Bürgschaften für die Rettungsschirme.

Merkel hat das Nein gegen die Euro-Bonds bekräftigt. Ist das Thema damit tot?

Es wäre ein fataler Verhandlungsfehler, wenn Italien die Euro-Bonds als einzige Lösung darstellen würde. Außerdem ist die Zinsspanne zwischen den deutschen und den anderen Staatsanleihen im Euro-Raum viel zu groß, als dass eine Emission von europäischen Anleihen bei den Investoren gut ankommen würde.

Gibt es Alternativen?

Ja. Der Europäische Stabilitätsmechanismus sollte zunehmend die Rolle einer europäischen Bank spielen. Außerdem muss sich die Europäische Zentralbank stärker damit beschäftigen, die Spannung am Finanzmarkt zu mildern. Zwar hat sie schon in den vergangenen Monaten Staatsanleihen von Krisenstaaten gekauft. Das bringt aber nichts, wenn das nicht kommuniziert wird. Es geht nämlich darum, den Investoren zu zeigen, dass es keinen Grund für Panik gibt.

Kann der Gipfel in Brüssel scheitern?

Diese Gefahr ist sehr real. Die Monti-Regierung sieht diesen Gipfel als letzte Hoffnung. Sollte Deutschland weiterhin die Entscheidungen verschieben wollen, könnte es zu heftigen Spannungen kommen.

Sie haben auch über die Beziehung zwischen Fußball und Wirtschaft geschrieben. Kann das EM-Halbfinale Italien–Deutschland den Gipfel beeinflussen?

Sicher nicht. Die EU hat ja keine eigene Mannschaft. Es geht um Sport. Ich hoffe, dass Frau Merkel das Spiel genießen wird, um sich dann in bester Laune wieder an dem Tisch mit den anderen Regierungschefs zu setzen.

Das Interview führte Fabio Ghelli

Tito Boeri (54)

ist Professor

für Arbeitswirtschaft

an der Mailänder

Universität Bocconi. Seine Schriften haben die Arbeitsmarktreform der Monti-

Regierung inspiriert

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