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Warten auf die Besucher: Obst und Gemüse liegen schon vor der Eröffnung der Grünen Woche an einem Stand bereit.

© dpa/Fabian Sommer

Vor der Grünen Woche: Preise für Bio-Lebensmittel steigen weniger

Die Preisschere schließt sich, sagt die Ökobranche. Dennoch kaufen Verbraucher vor allem billige Produkte. Ernährungsindustrie und Bauernverband macht das Sorgen.

Treue Besucher der Grünen Woche könnten in den nächsten Tagen eine böse Überraschung erleben. Denn wer darauf baut, wie früher Karten bar an der Tageskasse kaufen zu können, wird enttäuscht. Die Grüne Woche setzt in diesem Jahr erstmals komplett auf Online-Tickets. Die Eintrittskarten kann man im Internet kaufen oder vor Ort an Helpdesks, bezahlt wird mit Karte, Paypal oder Apple Pay. Wer das nicht will, muss auf die BVG ausweichen und sich die Mühe machen, zum nächst gelegenen U-Bahnhof zu gehen: Dort gibt es die Grüne-Woche-Tickets am BVG-Automaten - für Bares.

Nach zweijähriger Corona-Pause ist die weltgrößte Ernährungs- und Landwirtschaftsmesse zurück: Ab Freitag kann man sie besuchen. In den vergangenen Jahren hatte es nur eine abgespeckte Digital-Variante gegeben.. „Ich hatte fast Entzugserscheinungen“, sagte der Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), Joachim Rukwied, am Mittwoch auf der traditionellen Eröffnungspressekonferenz im Vorfeld der Messe.

Messe Berlin rechnet mit 300.000 Besuchern

Messe-Chef Dirk Hoffmann rechnet mit 300.000 Besuchern, das wären rund 100.000 weniger als bei der letzten Veranstaltung im Jahr 2020. Die Messe werde „etwas kompakter“, mit 1400 Austellern aus 60 Ländern biete man aber „weiter gewohnte Vielfalt“, betonte Hoffmann. Allerdings fehlen in diesem Jahr Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein in den Länderhallen, Hamburg und das Saarland haben sich schon vor längerem verabschiedet. Russische Aussteller sind wegen des Kriegs nicht dabei, aber auch die Ukraine ist nicht vertreten. Ein Partnerland gibt es in diesem Jahr ebenfalls nicht. Die Vorbereitungszeit habe dafür nicht gereicht, heißt es bei der Messe.

Lebensmittel sind teurer geworden

Doch das sind kleine Veränderungen verglichen mit dem, was in den vergangenen Jahren Bauern, Lebensmittelproduzenten und Verbraucher verkraften mussten. Wegen des Kriegs sind die Preise für Energie und Lebensmittel in die Höhe geschossen. Während die Inflation im vergangenen Jahr bei 7,9 Prozent lag, verteuerten sich Nahrungsmittel um 13,4 Prozent. Fleisch und Fleischwaren kosteten 14,6 Prozent mehr. Viele Verbraucher haben darauf reagiert: Sie gehen häufiger zum Discounter als zum Supermarkt, nutzen Sonderangebote oder kaufen die billigere No-Name-Ware statt der Markenartikel.

Der Ernährungsindustrie macht das Probleme. Rohstoffe für Lebensmittel hätten sich im vergangenen Jahr um 45 Prozent, Energie um 158 Prozent verteuert, berichtete der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Christian von Boetticher, am Mittwoch. Man habe die Kosten aber nicht eins zu eins auf die Preise umwälzen können, auch weil die Verbraucher das nicht mitmachen. Den Preis für ein Lebensmittel könne man von 2,99 Euro bestenfalls auf 3,79 Euro erhöhen. Wird es teurer, steigen die Kunden aus und kaufen stattdessen die günstigere Handelsware in den Supermärkten. „Die Lage ist in höchstem Maße angespannt“, sagte von Boetticher. Für viele mittelständische Betriebe sei es im vergangenen Jahr um die Existenz gegangen.

Bauernpräsident: „Es brodelt in der Branche“

Auch Bauernpräsident Joachim Rukwied sieht die Sparsamkeit beim Lebensmitteleinkauf mit Sorge. „Tierwohl-Ware und Bio-Ware bleiben liegen“, ärgert sich der Verbandschef. Die Bauern wollten nachhaltigere Produkte mit mehr Tierwohl produzieren, doch damit der Umbau der Tierhaltung gelingt, müssten die Bürger mitziehen. „Mehr Nachhaltigkeit, mehr Tierwohl kann nur gelingen, wenn höherwertige, heimische Produkte gekauft werden“, sagte Rukwied. Er habe Verständnis, wenn Menschen mit kleinem Budget das Geld zusammenhalten müssen, aber viele Verbraucher wären durchaus in der Lage, Premium-Produkte zu kaufen, und täten es trotzdem nicht. „Es brodelt in der Branche“, kritisierte der Bauernpräsident mit Blick auf die Schweinehalter. Viele Betriebe geben auf, weil sich die Schweinemast nicht rechnet. In Deutschland habe sich der Bestand in den vergangenen zehn Jahren um 5,8 Millionen Tiere reduziert, in dieser Zeit hat Spanien um 7,4 Millionen Schweine aufgestockt.

Mann mit Trecker: Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, hofft auf mehr Unterstützung für den Umbau der Tierhaltung.
Mann mit Trecker: Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, hofft auf mehr Unterstützung für den Umbau der Tierhaltung.

© dpa/Fabian Sommer

Bundesagrarminister Cem Özdemir will eine verpflichtende Haltungskennzeichnung einführen und mit der Schweinemast beginnen. Um die Landwirte beim Umbau der Ställe zu unterstützen und ihnen einen Ausgleich für ihre Mindereinahmen zu zahlen, steht in den kommenden vier Jahren im Haushalt eine Milliarde Euro zur Verfügung. Das reiche aber bei weitem nicht, betont Rukwied, und verweist auf Berechnungen der Expertenkommission unter Führung von Ex-Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert: Danach seien vier Milliarden Euro pro Jahr nötig, um mehr Tierwohl in die Ställe zu bringen.

Auch das zweite politische Ziel Özdemirs, den Bio-Anteil in der Land- und Lebensmittelwirtschaft auf 30 Prozent zu erhöhen, könnte an den Verbrauchern scheitern. „30 Prozent Bio heißt, dass 30 Prozent der Verbraucher Bio kaufen müssen“, gibt BVE-Chef von Boetticher zu bedenken. Wenn das aber wie bislang nur acht Prozent täten, reiche das nicht.

30 Prozent Bio heißt, dass 30 Prozent der Verbraucher Bio kaufen müssen.

Christian von Boetticher, Ernährungsindustrie

Bio-Branche: Preise steigen weniger schnell

Die Bio-Branche hatte in den Corona-Jahren ihren Umsatz kräftig steigern können. Weil Restaurants und Kantinen geschlossen waren, hatten viele Bundesbürger zu Hause gekocht und waren auf Bio umgestiegen. Doch nach Zahlen der Konsumforscher der GfK ist der Boom vorbei, der Umsatz ist 2022 nach Jahren des Wachstums erstmals wieder gesunken.

Dabei habe sich Bio in der Krise als resilienter erwiesen, betonte die Vorstandsvorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Tina Andres. Weil Biobetriebe keinen teuren Kunstdünger und keine chemisch-synthetischen Pestizide kaufen müssen, seien die Kosten weniger stark gestiegen als bei konventionellen Betrieben. „Die Preisschere schließt sich“, betonte Andres. Bio-Lebensmittel hätten einen geringeren Preisanstieg als Nicht-Bio-Waren.

Bio-Möhren: nur geringere Preiserhöhungen.
Bio-Möhren: nur geringere Preiserhöhungen.

© Imago/Nicole Matthews

Konkrete Preisbeispiele sollen das untermauern. So ist der Preis für Möhren im vergangenen Herbst verglichen mit dem Vorjahreszeitraum beim Discounter um 60 Prozent, im Supermarkt um 20 Prozent gestiegen. Bei Bio-Möhren musste man im Discounter dagegen nur 45 Prozent und im Supermarkt zwölf Prozent mehr zahlen. Der Bio-Fachhandel hat den Preis sogar weitgehend stabil gehalten. Ähnliche Beispiele gibt es für Butter, Äpfel oder Eier. Dass die Preise für Nicht-Bio-Waren beim Discounter stärker steigen, liegt allerdings auch daran, dass der Ursprungspreis niedriger ist.

„Wer jetzt beim Lebensmittelkauf sparen will, sollte in den Biomarkt gehen“, sagte Andres. Der Preisanstieg bei konventionellen Lebensmitteln bilde erstmals die bislang versteckten Umweltkosten der Produktion ab. Die konventionelle Landwirtschaft verursache Folgeschäden von 90 Milliarden Euro im Jahr. Rechne man diese auf die Preise um, müssten diese um 150 Prozent steigen. Andres forderte, dass Bio-Lebensmittel von der Mehrwertsteuer befreit werden sollen, auch Fleisch. Özdemir will dagegen, dass die Steuer nur für Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte abgeschafft wird - egal, ob Bio oder nicht.

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