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Aufgeblüht. Die Tulpen sind das bekannteste Exportprodukt der Niederländer.

© Koen Van Weel/dpa

Vor der Parlamentswahl: Trotz Aufschwung sind die Niederländer frustriert

Die Wirtschaft der Niederlande wächst kräftig - doch viele Bürger merken von dem Aufschwung nichts. Das hat Folgen für die Wahl am Mittwoch.

Von Carla Neuhaus

Die Saison ist eröffnet. Von Amsterdam bis an die Nordsee erstrecken sich die bunten Tulpenfelder. Glaubt man den niederländischen Blumenhändlern, könnte es derzeit nicht besser laufen. Mehr als zwei Milliarden Tulpen wollen sie in diesem Jahr verkaufen. So viel wie noch nie. Alles bestens also im Nachbarland? Man könnte es meinen. Um 2,1 Prozent ist die Wirtschaft der Niederlande zuletzt gewachsen, so stark wie seit neun Jahren nicht mehr. Auch die Arbeitslosenquote fällt mit 5,5 Prozent niedrig aus. „Jetzt geht es uns besser als unseren Nachbarn“, sagt Wirtschaftsminister Henk Kamp. Und er hat recht. Nicht nur beim Wirtschaftswachstum übertrumpfen die Niederlande Deutschland. Pro Kopf exportieren sie auch noch doppelt so viel wie die Deutschen. Selbst in puncto Wettbewerbsfähigkeit hat das Land die Bundesrepublik überholt. Nicht die Deutschen, die Niederländer sind die Streber der Euro-Zone.

Doch wenn es ihnen so gut geht, wenn die Wirtschaft brummt, sehr wenige arbeitslos sind – wie kommt es dann, dass ein Populist wie Geert Wilders auf einmal solch einen Zuspruch erfährt? Wilders fordert den Austritt der Niederlande aus der EU, er will den Euro loswerden und wünscht sich den Gulden zurück. Er will die Grenzen dichtmachen und den Koran verbieten. Er verspricht, „die Niederlande zurückzuerobern“. Donald Trump ist für ihn ein Vorbild, den Briten applaudiert er zum Brexit. Mit all diesen Forderungen könnte Wilders’ Partei, die „Partei der Freiheit“ (PVV), bei den Wahlen am Mittwoch 15 bis 20 Prozent erlangen – und damit stärkste Kraft werden.

Der Aufschwung erreicht viele Niederländer nicht

Zum einen liegt das daran, dass das Parteiensystem in den Niederlanden stark zersplittert ist, es keine Fünf-Prozent-Hürde gibt – was kleinen Parteien einen schnellen Aufstieg ermöglicht. Zum anderen verlieren gerade die früheren Volksparteien Wähler. Die Regierung aus Liberalen  und Sozialdemokraten dürfte bei den Wahlen abgestraft werden. Denn so gut die Niederlande wirtschaftlich dastehen, so schnell die führenden Politiker das Land aus der Finanzkrise geführt haben – so gibt es doch viele Enttäuschte, viele Wutbürger. Der Aufschwung ist nicht ihrer, hat wenig mit ihrer Lebenswirklichkeit zu tun. Zwar haben viele einen Job, aber finanziell stehen sie trotzdem nicht besser da als in der Krise.

So zeigen die offiziellen Zahlen auch nicht die ganze Wahrheit. Trotz niedriger Arbeitslosenquote machen sich viele Niederländer Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Hatten 2008 noch deutlich mehr als die Hälfte von ihnen einen „sicheren Job“, traf das zuletzt nur noch auf ein Drittel zu. Das klingt paradox, liegt aber daran, dass sich die Art der Arbeit verändert hat. So umfasst die Arbeitslosenstatistik zum Beispiel nicht, wie viele Menschen ungewollt in Teilzeit arbeiten. Auch fällt raus, wer die Suche nach einem Job ganz aufgegeben hat.

Viele sind notgedrungen selbständig

Zudem ist längst nicht jeder, der Arbeit hat, festangestellt. Auch in den Niederlanden arbeiten immer mehr Menschen selbstständig – viele vermutlich notgedrungen. Experten schätzen, dass die Zahl der Solo- und Scheinselbstständigen in den Niederlanden mittlerweile auf eine Million gestiegen ist. Das sind eine Million Menschen, die keinerlei Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen haben, die nur schwer einen Bankkredit bekommen. Eine Entwicklung, die auch der Internationale Währungsfonds (IWF) kritisiert. Er hat erst Ende letzten Jahres ein Team in die Niederlande geschickt, das den Aufschwung untersucht hat. Angesichts der starken Zunahme an Selbstständigen und befristet Beschäftigten gebe es dringenden Handlungsbedarf, schreiben die IWF-Experten in ihrem Abschlussbericht.

Dabei ist die Art der Jobs nur ein Grund, warum viele das Gefühl haben, der wirtschaftliche Aufschwung gehe an ihnen vorbei. Ein anderer sind die harten Einschnitte, die die Regierung durchgesetzt hat. „Das ist die Schattenseite des Aufschwungs“, sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING Diba.

So ist zum Beispiel das Rentenalter von 65 auf 67 angehoben worden. Die Krankenkassenbeiträge sind gestiegen, gleichzeitig müssen Patienten aber für die Behandlung mehr als früher aus eigener Tasche zahlen. Studenten bekommen weniger Zuschüsse, Behinderte ebenso. Kürzungen, die zwar geholfen haben, das Haushaltsdefizit zu senken, die aber bei den Wählern nicht gut ankommen.

Wilders verspricht höhere Sozialausgaben

Da klingt das Versprechen der Sozialdemokraten, jetzt, wo es der Wirtschaft wieder gut geht, etwas für die Bürger zu tun, hohl. Zumal auf der anderen Seite Wilders um Wähler wirbt. Und der steht nicht nur für Koran-Verbot, Islam-Stopp und EU-Austritt – sondern er verspricht auch höhere Ausgaben für Rente, Pflege und Soziales. Etwas, was sich die Niederländer eigentlich von den Volksparteien erhofft hatten. „Bei den sozialwirtschaftlichen Themen ist Wilders’ Programm nahezu austauschbar mit dem der Sozialistischen Partei (SP)“, sagt Friso Wielenga, Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Universität Münster.

Dass Wilders an die Macht kommt, ist dennoch unwahrscheinlich. 15 bis 20 Prozent reichen dafür nicht. Er müsste eine Koalition bilden, wozu derzeit kaum eine Partei bereit ist. Auch deshalb gehen Experten davon aus, dass Wilders sich mit seiner Forderung eines EU-Austritts der Niederlande kaum durchsetzen wird. „Der Nexit ist nicht realistisch“, sagt Brzeski. Die Hürden dafür sind viel zu hoch – selbst wenn Wilders unerwartet Ministerpräsident werden sollte. Zum einen müsste er sich einen EU-Austritt durch ein Referendum vom Volk absegnen lassen. Zum anderen müssten beide Parlamentskammern mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für den Nexit stimmen.

Das all das passiert, ist extrem unwahrscheinlich. Dafür ist die Staatengemeinschaft zu wichtig für die Niederländer. Über 70 Prozent der Waren, die sie exportieren, gehen in andere EU-Staaten. „Die Niederlande sind eines der globalisiertesten Länder der Welt, ein Land von Kaufleuten, das vom freien Handel mit Europa und der Welt profitiert“, sagt Günter Gülker, Geschäftsführer der deutschniederländischen Handelskammer. Für ihn ist klar: „Der Nexit ist kein Thema.“ Offener ist man da schon bei der Frage, ob die Niederlande tatsächlich den Euro brauchen. Das lässt die Regierung gerade prüfen.

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