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Wirtschaft: Widersprechen lohnt sich

Viele Bescheide, die vom Amt kommen, sind falsch. Wer sich wehrt, hat gute Karten - besonders im Steuerrecht

Sie sollen 50 Euro Bußgeld zahlen, weil Sie angeblich über eine rote Ampel gefahren sind? Das Finanzamt verlangt plötzlich deutlich höhere Steuern von Ihnen als im vergangenen Jahr? Sie ärgern sich, weil Sie Rentner sind und seit kurzem Ihre Pflegeversicherung komplett aus der eigenen Tasche zahlen müssen? Trotzdem geben Sie klein bei, weil Sie glauben, gegen die Behörden sowieso nichts ausrichten zu können? Dann haben Sie leider eine Chance vertan. Denn wer sich gegen Gebühren-, Renten-, Steuerbescheide oder sonstige Verwaltungsakte wehrt, hat oft bessere Karten als er glaubt.

Viele Bescheide sind rechtswidrig. Das gilt vor allem dann, wenn die Kommunen ihre Bürger für den Ausbau der Infrastruktur zur Kasse bitten. „Die überwiegende Zahl der Beitragsbescheide ist rechtswidrig“, sagt Rechtsanwalt Burghard Hildebrandt von der Kanzlei Gleiss Lutz. Wenn ein Klärwerk oder eine Straße gebaut werden, müssen die Einwohner ihr Scherflein dazu beitragen. Doch: „Die Gebührensatzungen, auf die sich die Bescheide beziehen, sind oft falsch kalkuliert und daher unwirksam“, weiß Verwaltungsrechtsexperte Hildebrandt. Konsequenz: Auch der Verwaltungsakt, der die Bürger zur Zahlung auffordert, ist rechtswidrig.

Widersprechen Sie rechtzeitig. Dennoch darf man den Brief nicht einfach in den Mülleimer werfen. Im Gegenteil: Wehrt man sich nicht gegen einen Verwaltungsakt, wird dieser nach einiger Zeit rechtskräftig – auch dann, wenn der Bescheid in der Sache falsch und eigentlich rechtswidrig ist. Vier Wochen hat man Zeit, Widerspruch oder Einspruch einzulegen. Bei Ordnungswidrigkeiten – Hundekot, Knöllchen für Falschparker, Temposünder, Lärmbelästigung – muss man schon innerhalb von zwei Wochen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einlegen. Widerspruch und Einspruch sollten Sie schriftlich erklären und der Behörde aus Beweisgründen per Einschreiben/Rückschein ins Haus schicken. Maßgeblich für den Beginn der Frist ist der Tag, an dem Sie den Bescheid bekommen, nicht das Datum auf dem Briefkopf.

Den Nachbarn um Hilfe bitten. Wichtig: Falls Sie für längere Zeit verreisen, sollten Sie Ihrem Nachbarn einen Briefkastenschlüssel hinterlassen und ihn bitten, auf Post vom Amt zu achten. Denn wer die Widerspruchsfrist verpasst, weil er nicht zu Hause war, kann zwar vor Gericht klagen, dass die Frist noch einmal in Gang gesetzt wird („Wiedereinsetzungsklage“). Er muss aber nachweisen, dass ihn kein Verschulden an der Säumnis trifft. „Wer drei Monate verreist und sich um nichts kümmert, hat Pech“, weiß Anwalt Hildebrandt.

Steuerschulden sind immer fällig . Ein fristgerecht eingelegter Widerspruch verhindert nicht nur, dass der Bescheid rechtskräftig wird, er hemmt in vielen Fällen auch den Vollzug. Leider nicht immer. Einsprüche gegen Steuerbescheide ändern nichts daran, dass der Steuerbürger erst einmal zahlen muss. „Der Einspruch hemmt die Fälligkeit nicht“, warnt Manfred Becker, Sprecher der Oberfinanzdirektion Berlin (OFD). Wer Zeit gewinnen will, muss per Eilverfahren vor Gericht beantragen, dass der Vollzug ausgesetzt wird. „Wenn die öffentliche Hand Geld bekommt, soll sie das auch sofort bekommen“, erklärt Hildebrandt.

Dabei sind vor allem Einsprüche gegen Steuerbescheide besonders Erfolg versprechend. 222 104 Einsprüche hatten die Steuerzahler in Berlin im vergangenen Jahr eingelegt. Mit den unerledigten Fällen aus dem Vorjahr summierten sich die Einsprüche auf die stolze Zahl von 385 933, davon wurden 226 350 erledigt: in 38 616 Fällen per Rücknahme, in 39 071 Fällen wurde der Einspruch abgelehnt, in 148 663 Fällen wurde der Steuerbescheid nachträglich geändert. Das ist eine Erfolgsquote von 65 Prozent. „Die Finanzbehörden haben Mühe, den Überblick über das komplizierte Steuerrecht zu behalten“, glaubt Anwalt Hildebrandt. OFD-Sprecher Becker weist die Kritik jedoch weit von sich: Viele Steuerbescheide würden nur deshalb geändert, weil die Bürger plötzlich noch Quittungen oder Rechnungen nachreichten. Oder überhaupt erst einmal ihre Steuererklärung machen. Denn wer verpflichtet ist, eine Steuererklärung abzugeben, das aber nicht tut, wird vom Finanzamt geschätzt. Legen die Betroffenen dagegen Einspruch ein und reichen in diesem Zusammenhang ihr Steuerformular nach, gilt auch das als erfolgreicher Einspruch.

Auch Rentenversicherer sind betroffen. Auch die Rentenversicherer bekommen waschkörbeweise Widersprüche. Fast 300 000 Widersprüche gingen im vergangenen Jahr bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ein, in fast 100 000 Fällen waren diese erfolgreich. 65 000 Widersprüche wurden einvernehmlich mit den Bürgern geklärt, berichtet Stefan Braatz von der BfA. Bei Streitigkeiten von grundsätzlicher Bedeutung führen die Rentenversicherer oft später Musterverfahren vor den Gerichten durch (siehe Artikel unten).

Vorsicht bei Bußgeldbescheiden. Problematischer ist es, sich gegen einen Bußgeldbescheid zur Wehr zu setzen. Denn der Widerstand kann nach hinten losgehen. Halten die Polizei oder das Landeseinwohneramt den Einspruch für unbegründet, leiten sie diese in Berlin an das Amtsgericht Tiergarten weiter. Das Gericht entscheidet dann entweder nach Aktenlage oder führt eine Hauptverhandlung durch, wenn der Fall schwierig ist. Verliert der Bürger, muss er neben dem Bußgeld auch noch die Gerichtskosten zahlen.

Auch wer behauptet, nicht schuld zu sein, fährt damit nicht immer gut. Ist das Radarfoto des Temposünders oder des Rote-Ampel-Verächters unscharf, kann man sich zwar herausreden und so das Bußgeld vermeiden. Allerdings kann die Polizei Sie dann dazu verdonnern, ein Fahrtenbuch zu führen. Missachten Sie das und werden Sie erwischt, sind Sie wieder dran – für jeden Verstoß gibt es einen neuen Bußgeldbescheid.

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