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Wirtschaft: „Wir werden den Mindestlohn bekommen, da bin ich sicher“

Stephan Schwarz, Präsident der Berliner Handwerkskammer, über die Lage seiner Branche, die Kunst des Putzens und die Versäumnisse der Politik

Herr Schwarz, wie laufen die Geschäfte?

Gut. Wir haben den Schwung vom letzten Jahr mitnehmen können und viele Aufträge dazugewonnen. Auch die Mehrwertsteuererhöhung ist einigermaßen an uns vorübergegangen.

Dabei hatten Sie vor den für die Konjunktur „tödlichen“ Wirkungen der Steuererhöhung gewarnt.

Die GRG ist als Dienstleister für die gewerbliche Wirtschaft praktisch nicht betroffen von der Mehrwertsteuererhöhung. Für die Gesamtheit der Handwerker sieht das natürlich anders aus, wenngleich insgesamt die Erhöhung gut verkraftet wurde.

Wie erklären Sie das?

Dafür gibt es mehrere Ursachen. Einerseits das Wachstumspaket der Bundesregierung mit der Möglichkeit, die Handwerkerrechnung zum Teil von der Steuer absetzen zu können. Das hat den Schaden der Mehrwertsteuererhöhung zum Teil kompensiert. Und wir haben natürlich den konjunkturellen Funken, der auf das Handwerk übergesprungen ist.

Also wird auch 2007 ein gutes Jahr?

Wir haben bislang nur die Daten für das dritte Quartal 2006, die sehr gut waren. Aber im Moment sieht es so aus, als würde sich das fortsetzen. Nach mehr als zehnjähriger Schwäche im Berliner Handwerk geht es bei Umsatz und Beschäftigung endlich wieder nach oben.

Ihr Unternehmen hat 2006 knapp 500 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, davon gut 100 in Berlin. Wie sieht das im Berliner Handwerk insgesamt aus?

Bis zum dritten Quartal 2006 haben wir die Beschäftigung in Berlin um 2,9 Prozent auf gut 190 000 Beschäftigte erhöht. Das war deutlich besser als der Bundesdurchschnitt, und ich glaube, dass sich diese Entwicklung fortsetzt.

Arbeiten auch die Handwerksbetriebe zunehmend mit Leiharbeitnehmern?

Der durchschnittliche Handwerksbetrieb hat sechs bis acht Mitarbeiter und ist deshalb auch vom Kündigungsschutz nicht betroffen. Diese Betriebe können wegen ihrer Größe also leichter einstellen und wieder entlassen und greifen deshalb kaum auf Zeitarbeitskräfte zurück. Bei größeren Firmen ist aber ganz stark zu beobachten, dass sie sich mit Einstellungen zurückhalten, weil sie der Entwicklung noch nicht trauen. Diese Betriebe bedienen sich dann eher der Zeitarbeit.

Wie halten Sie es?

Wir stellen direkt ein.

Bekommen Sie die Leute, die Sie brauchen?

Es wird zunehmend schwieriger, sowohl im gewerblichen als auch im Managementbereich. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich gedreht und ist völlig anders als vor zwei, drei Jahren. Es sind zum Beispiel kaum gute Vertriebsleute zu bekommen, aber auch technisch versierte Mitarbeiter mit Berufserfahrung sind nur schwer zu kriegen.

Zwingt der Engpass zu verstärkten Ausbildungsaktivitäten? Sie selbst sind mit 68 Azubis auch nicht gerade ein herausragender Ausbildungsbetrieb.

Wir liegen damit in unserer Branche vorn und wurden dafür auch ausgezeichnet. Das ändert aber nichts an dem Thema Fachkräftemangel. Obwohl das Handwerk traditionell die größte Ausbildungsquote aller Wirtschaftsbereiche hat, werden wir in den nächsten Jahren zunehmend Probleme bekommen bei Stellenbesetzungen.

Sollten die Betriebe sich bereits in den Schulen um den Nachwuchs kümmern?

Das tun bereits sehr viele, weil sie nicht darauf warten wollen, dass der Staat das Problem alleine löst. Es gibt eine ganze Menge Partnerschaften zwischen einzelnen Betrieben und Schulen, aber ich wünsche mir natürlich, es würden noch mehr. Die GRG hat eine Partnerschaft mit einer Reinickendorfer Hauptschule, und es ist faszinierend zu sehen, wie man wechselseitig Verständnis entwickelt.

Und anschließend wollen die jungen Leute bei Ihnen das Putzen lernen?

Es geht um viele anspruchsvolle Dienstleistungen wie die Reinigung von Reinsträumen in der Chipfertigung, die Desinfizierung im Krankenhaus oder die Pflege denkmalgeschützter Fassaden. Das finden die durchaus spannend.

Und die sind auch ausbildungsfähig?

Die meisten sicher. Man muss sie nur abholen. Das Thema der mangelhaften Abgängerqualifizierung wird häufig sehr akademisch diskutiert. Die Betriebe können dagegen viel erreichen, wenn sie in die Schulen gehen, das Interesse der Jugendlichen wecken und sie eben dort zum Beispiel auch für Praktika gewinnen.

Ist das Handwerk attraktiv?

Natürlich, wir stellen ja immerhin ein Drittel aller Ausbildungsplätze in Deutschland und decken eine enorme Bandbreite ab – von Hightech bis hin zu Kreativberufen. In Berlin-Adlershof gibt es Handwerker, die bauen Teile für Satelliten. In einer quirligen Metropole wie Berlin spielen gerade die kreativen Berufe eine wichtige Rolle, vom Frisör bis zum Schneider oder Fotografen. Für viele Berufe fehlt leider in Berlin noch die wirtschaftliche Dynamik.

Stundenlöhne von vier oder fünf Euro für Frisörinnen oder Gebäudereiniger zeigen doch, dass für manche Beschäftigten das Handwerk keinen goldenen Boden hat.

Für die Gebäudereiniger hat der Bundestag am vergangenen Freitag einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,87 Euro im Westen und 6,36 Euro im Osten beschlossen. Das ist gut für das Image der Branche und wird uns helfen, qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen. Lohndumping führt zu Imageproblemen.

Dann sollte es auch für die Frisöre einen Mindestlohn geben?

Ich sehe einen gesetzlichen Mindestlohn über alle Branchen hinweg durchaus positiv. In 20 von 27 EU-Ländern gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn. Vor ein paar Jahren gab es eine erbitterte Diskussion in Großbritannien mit den gleichen Befürchtungen wie heute bei uns: Ein gesetzlicher Mindestlohn würde Arbeitsplätze kosten. Doch das Gegenteil ist passiert, die Arbeitslosigkeit in England ist deutlich zurückgegangen. Deshalb sollten wir in Deutschland auch nicht so viel Angst haben vor dem Mindestlohn. Früher oder später werden wir ihn bekommen, da bin ich sicher. Branchenmindestlöhne sind nur ein Zwischenschritt.

Was zahlen Sie Ihren Leuten?

Den Mindestlohn und Höherqualifizierten natürlich mehr.

Wie viele stellen Sie in diesem Jahr ein?

Wie im Vorjahr um die 500 Personen. Es zahlt sich aus, dass wir uns konzentrieren auf die qualitativ anspruchsvolle Gebäudereinigung mit technologischen Innovationen. Wir nutzen zum Beispiel bei manchen Kunden RFID-Technologie. Die Mitarbeiter bekommen direkt auf dem Display eine Meldung, was bei dem Kunden zu reinigen ist.

Was sind das für Kunden?

Krankenhäuser, Industrie- und Verwaltungsgebäude.

Gibt es Produktivitätswachstum in der Gebäudereinigung?

Durchaus. Durch den Einsatz von Maschinen und innovativen Verfahren gelingt es uns, Arbeitsprozesse enorm zu beschleunigen. Musste man früher zum Beispiel in einem Patientenzimmer dreimal reinigen, um ein hygienisch einwandfreies Ergebnis zu erzielen, so reicht heute dank innovativer Technologie ein einziger Arbeitsgang.

Wo wachsen Sie am stärksten?

In Hamburg, München und mit etwas Abstand auch Berlin. Das wirtschaftliche Umfeld ist in Hamburg und München deutlich besser, entsprechend auch unser Wachstum. In Berlin fehlt uns immer noch ein Wachstumskonzept für die nächsten zehn Jahre. Bei uns werden noch zu oft Investoren verprellt wie jetzt Langhammer beim Flughafen Tempelhof und Vattenfall mit einem neuen Kraftwerk.

Das Interview führte Alfons Frese.

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