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Wirtschaft: Wirtschaft will Grenze nach Osten öffnen

Arbeitskräfte aus EU-Beitrittsländern sollen ohne Beschränkung nach Deutschland kommen dürfen

Berlin - Ein knappes halbes Jahr nach der EU-Osterweiterung mehren sich vor allem in den grenznahen Regionen die Forderungen, die Übergangsbestimmungen für den Arbeits- und Dienstleistungsmarkt vorzeitig zu überprüfen. Die Ängste und Befürchtungen, die viele Deutsche in den Grenzregionen mit der Erweiterung verbunden hätten, hätten sich nicht bewahrheitet, stellt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin fest. Weder habe es in den vergangenen Monaten massive Zuwanderung gegeben, noch sei eine solche zu befürchten. Auch der Präsident der Berliner Handwerkskammer, Stephan Schwarz, sieht die Zeit gekommen, „darüber nachzudenken, ob wir uns mit den Übergangsfristen von sieben Jahren einen Gefallen tun“.

Arbeitskräfte aus Osteuropa dürfen in Deutschland bisher nicht ohne weiteres eine reguläre Stelle annehmen. Trotz der EU-Erweiterung vom 1. Mai gilt: Wer aus einem der Beitrittsländer stammt, darf hier zu Lande nur Saisonarbeit verrichten. Das hatten vor allem Deutschland und Österreich verlangt, die einen Zustrom preiswerter Arbeitskräfte fürchteten. Die deshalb vereinbarte Übergangsregelung soll maximal für sieben Jahre gelten. Eine erste Überprüfung ist 2006 vorgesehen, eine weitere für 2009.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) schlägt vor, eine frühere Öffnung des Arbeitsmarktes zu prüfen. „Schon jetzt zeichnet sich ein Mangel an Fachkräften in Ostdeutschland ab. Schuld sind die Demografie und die Abwanderung in den Westen“, sagte Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer. Man müsse zu einfacheren Regeln für eine größere Freizügigkeit kommen. „Das könnte zum Beispiel im Rahmen des neuen Zuwanderungsgesetzes geschehen“, schlug er vor.

Der Handwerksverband ZDH hält vorerst zwar wenig von einer früheren Öffnung der Märkte. „Es ist zu früh, die Regeln bereits jetzt zu überprüfen“, sagte ein Sprecher. Bei der Bauindustrie hieß es, eine Öffnung der Grenzen würde „erneut tausende Arbeitsplätze in der Branche kosten“. Doch der Berliner Handwerkspräsident Stephan Schwarz fragt sich nun, „ob eine schnellere Liberalisierung der Arbeitnehmer- und Dienstleistungsfreiheit unter dem Strich nicht für die kleineren und mittleren Unternehmen mehr Chancen böte“. Allerdings müsse im Zuge einer solchen Diskussion auch die Frage beantwortet werden, welche Folgen eine Öffnung für die unteren Lohngruppen hätte.

Klar ist, dass die Zahl der Saisonarbeiter aus Osteuropa 2004 schon deutlich zurückgegangen ist. Das hänge einerseits mit dem starken Wirtschaftswachstum in anderen Ländern Europas zusammen, andererseits mit den deutschen Arbeitsmarktreformen, erklären die Arbeitsagenturen. Entwarnung aber gibt es auch von hier: „Wir haben uns am 1. Mai auf einen großen Andrang eingestellt – aber der ist komplett ausgeblieben“, bestätigt ein Sprecher der Berliner Arbeitsagentur dieser Zeitung. Das DIW rechnet auch nicht damit, dass der Ansturm jemals kommt: Bei einer völligen Freigabe der Arbeitsmärkte würden in den kommenden fünf Jahren nur rund 220000 Menschen pro Jahr in die 15 alten EU-Staaten ziehen, haben die Wissenschaftler errechnet.

Die Regierungskoalition hält indes wenig von einer früheren Öffnung. Es sei derzeit nicht daran gedacht, die Regeln für den Zuzug von Arbeitskräften vor 2006 zu überprüfen, sagte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD, Klaus Brandner, warnte davor, „jetzt schon die Schotten aufzumachen“. Man dürfe nicht zu früh Entwarnung geben. „Die Ängste bei den Arbeitnehmern kann man nicht wegdiskutieren. Die Übergangsregelungen sind richtig“, sagte Brandner. Über das neue Zuwanderungsgesetz könne man außerdem gezielt Zuwanderung organisieren, wenn das notwendig sei.

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