zum Hauptinhalt
301357_0_6057216b.jpg

© dpa

Wirtschaftskrise: Verdi-Chef: „Die Insolvenzwelle kommt noch“

Nach Einschätzung von Frank Bsirske gibt es Hinweise auf eine Insolvenzwelle. Der Verdi-Chef über die Krise, den matten Wahlkampf und die Zerschlagung von Großbanken.

Verdi-Chef Frank Bsirske hat am Ende des „Watte-Wahlkampfs“ in Deutschland vor einer Fortsetzung der bisherigen Politik gewarnt. „Angesichts der Dimension der Probleme wäre es unverantwortlich, in der nächsten Legislaturperiode die Wirtschaftspolitik fortzusetzen, die zur Krise geführt hat“, sagte Bsirske dem Tagesspiegel. Das deutsche Wachstumsmodell, im Kern mit einer „aggressiven Exportstrategie“ auf der einen und einem schwachen Binnenmarkt auf der anderen Seite, habe sich überlebt. Vor allem die USA, aber auch die Länder Süd-, Mittel- und Osteuropas seien nicht länger bereit, die hohen Leistungsbilanzüberschüsse der Deutschen zu finanzieren. Das belegten auch jüngste Äußerungen von US-Präsident Barack Obama.

Bsirskes stärker auf den Binnenmarkt orientiertes Wirtschaftsmodell sieht einen „sehr viel aktiveren Staat“ vor, der kräftig in Bildung, Umwelt und öffentliche Infrastruktur investiert. Die Finanzierung der zusätzlichen Ausgaben könne erfolgen durch eine „Umverteilung von oben nach unten“. Jüngsten Berechnungen zufolge würden die deutschen Finanzämter 33 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen, wenn allein die Vermögens-, Erbschafts- und Grundsteuer auf das durchschnittliche Niveau der EU-15- Staaten angehoben werde; zur EU-15 zählen die Länder, die vor der Osterweiterung 2004 zur Union gehörten.

Die erstaunlich verhaltene Diskussion über Ursachen und Folgen der Finanzkrise im deutschen Wahlkampf erklärt Bsirske unter anderem mit dem „Orientierungsbedarf der politischen Klasse, die für das Umdenken noch eine Weile brauchen wird“. Allerdings sei auch in breiten Teilen der Bevölkerung die Krise noch immer nicht richtig angekommen. „Die Tiefe der Zäsur haben die Menschen noch nicht vollzogen. Die Stimmung ist besser als die Lage.“ Er selbst habe Hinweise, etwa aus der Elektroindustrie, auf eine „Insolvenzwelle“ und Massenentlassungen nach der Bundestagswahl.

Der Verdi-Chef bekräftigte deshalb die Forderung nach einem weiteren Konjunkturpaket im Volumen von 100 Milliarden Euro, das in den kommenden drei Jahren für eine „sozialökologische Erneuerung“ eingesetzt werden solle. „Man darf nicht zu schnell auf einen Konsolidierungskurs einschwenken“, warnte Bsirske die Finanzpolitiker. Die USA hätten in den 30er und Japan in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts schlechte Erfahrungen damit gemacht. Deshalb dürften erste leichte Aufschwungsignale hierzulande nicht überschätzt werden. „Wir wissen aus früheren Krisen, es hat immer wieder vorübergehend eine Erholung gegeben, doch die Krise verstetigte sich.“ Problematisch sei etwa die immer restriktiver werdende Kreditvergabe der Banken, „die sich auf eine zweite Abschreibungswelle wegen ausfallender Konsumentenkredite einstellen“.

Mit einer Inflationsrate von schätzungsweise 0,3 Prozent in diesem und im nächsten Jahr sieht Bsirske „das Land am Rande einer Deflation“. In dieser Situation dürfte es „auf keinen Fall sinkende Löhne geben“. Der Verdi-Vorsitzende, der im kommenden Winter wieder Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst führt, warnte indes auch vor großen Erwartungen: „Die Lohnentwicklungsbäume wachsen nicht in den Himmel.“ Es werde „schwer genug, die Inflationsrate und die Steigerung der Produktivität im Tarifabschluss abbilden zu können“.

Über den Finanzgipfel in Pittsburgh äußerte sich Bsirske skeptisch. „Bislang hat es nur Worte, aber keine Taten gegeben zur Regulierung der Finanzindustrie.“ Und nun würde von interessierte Seite bereits Entwarnung gegeben: Weil sich die Weltwirtschaft wieder erhole, müsse nichts mehr unternommen werden. Dieses Kalkül sei „fatal“. Die in Deutschland aber inzwischen auch EU-weit diskutierte Einführung einer Transaktionssteuer bei Finanzmarktgeschäften begrüßt der Gewerkschaftschef. Zum einen „entschleunigt so eine Steuer das Finanzkarussell“, zum anderen bekomme der Staat auf diesem Wege Mittel für den Umbau der Volkswirtschaften.

Erforderlich sei ferner „eine Entflechtung der Institute“, also die Zerschlagung der großen Finanzkonzerne, die zu groß sind, um pleitegehen zu können („too big to fail“). „Die Krise entstand auch wegen der Konzentration des Finanzkapitals“, meinte Bsirske, und kritisierte in dem Zusammenhang die Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false