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© dpa

Wirtschaftsminister: Rainer Brüderle - Der Mittelstandsmann

Rainer Brüderle hat mehr als ein Jahrzehnt gewartet – nun wird er endlich Wirtschaftsminister. Er hatte noch genau diese eine Chance. Danach wäre es vorbei gewesen mit dem Traum von der Politik auf großer Bühne.

Berlin - Er hatte noch genau diese eine Chance. Danach wäre es vorbei gewesen mit dem Traum von der Politik auf großer Bühne. Denn einem Mann seines Alters bleiben für gewöhnlich nur noch ein paar Monate bis zur Rente. Doch Rainer Brüderle, 64, hält sich nicht für gewöhnlich, er fängt gerade erst richtig an – als Wirtschaftsminister in der Regierung von Angela Merkel. Kaum ein Politiker hat so lange auf die Macht gewartet. Und kaum einer ist so umstritten wie der in Berlin geborene FDP-Mann aus der Pfalz.

Seit elf Jahren befindet sich Brüderle in Lauerstellung. Die Nachfolge von Ludwig Erhard und Otto Graf Lambsdorff anzutreten, das ist sein Lebenstraum. Dafür hatte er 1998 den schönen Ministerposten in Rheinland-Pfalz an der Seite Kurt Becks aufgegeben. Doch erst jetzt, im vierten Anlauf, kommt die Zeit der Liberalen. Dass er wichtig werden würde, war schon am Wahlabend klar. Guido Westerwelle jubelte in die Kameras, neben ihm hatte sich selbstbewusst Brüderle postiert.

Um in der Oppositionszeit nicht in Vergessenheit zu geraten, war er sich für nichts zu schade. Kaum ein Abgeordneter verschickte mit solcher Leidenschaft Pressemitteilungen und tauchte in Talkshows auf. Dabei ging es nicht nur um harte Wirtschaftspolitik. Zum „Saufen mit Brüderle“ hatte Harald Schmidt einmal in seine Sendung geladen, als die FDP noch Spaßpartei sein wollte. Brüderle kam, im Gepäck einige Flaschen aus Rheinland-Pfalz. „Eine Übungsfrage“ sei es, schon ab mittags Wein zu trinken, bekannte er. Und in der „Bunten“ posierte er in einer Art Schlafanzug bei Tai- Chi-Übungen am Sylter Strand.

Wofür Brüderle steht, ist angesichts seiner medialen Präsenz so klar wie bei kaum einem anderen Minister: Steuern runter, weniger Staat, weniger Bürokratie – das Credo der Marktfreunde. „Ich halte neoliberal nicht für ein Schimpfwort, sondern für einen Ehrentitel“, sagt der Diplom-Volkswirt. Dass er sich eine „Renaissance der freien Marktwirtschaft“ wünsche und „faire Chancen“ für den Mittelstand. Überhaupt kleine und mittelgroße Firmen, das ist sei Milieu. „Der Mittelstand, die Handwerker schauen in die Röhre, aber Großkonzernen wird die Türe aufgemacht“, rief er im Wahlkampf in Zelten und Sälen. „Der Mittelstand ist das Herz der Sozialen Marktwirtschaft“, ist der erste Satz im Wirtschafts-Kapitel im Koalitionsvertrags. Er klingt wie aus dem Mund Brüderles.

Doch als Wirtschaftsminister wird der Frühaufsteher es nicht nur zu tun haben mit Winzern und Handwerkern. Das Kapital aus Dax-Konzernen und Banken wird Ansprüche stellen, an ihn, der die Staatshilfe für Opel immer abgelehnt hat. Dazu muss er die Krise bewältigen und die Atomlaufzeiten neu verhandeln.

Manchem Wirtschaftsvertreter ist Brüderle suspekt. „Der ist ein bisschen merkwürdig“, sagen Lobbyisten. „Sehr nett, aber auch etwas verbraucht.“ Keinesfalls dürfe man ihn unterschätzen, er kenne die Materie, sagt ein anderer. Als exzellenter Kommunikator gilt er, mit bestem Rückhalt an der Parteibasis, und als durchsetzungsstark. Immerhin führt er seinen Landesverband seit 1983 unangefochten und ist als Westerwelles Vize einer der Mächtigsten in der Partei.

Dass ihm dennoch Skepsis entgegenschlägt, liegt vielleicht an seinen skurrilen Ideen. Nach dem Tsunami in Südostasien wollte er deutsche Arbeitslose als Aufbauhelfer dorthin schicken. Er forderte, Betuchte sollten für Verkehrsdelikte mehr zahlen als Normalverdiener. Und trotz seines Mantras vom Subventionsabbau verdreifachte Brüderle in Rheinland-Pfalz die Zuwendungen an die Weinbauern.

Im Wirtschaftsministerium sind die Meinungen über ihn geteilt. Auf der einen Seite stehen alte Liberale, die sich nach FDP-Prinzipien zurücksehnen. Auf der anderen Seite trauern Beamte Star-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg hinterher, der ihrem Haus nach Jahren der Ödnis frischen Glanz verliehen hatte. Für Brüderle ist dieser Glanz zugleich eine Last. Guttenberg ist in Rekordzeit zum beliebtesten Politiker avanciert, mit schneidigem Auftreten, Jugend, einem Adelstitel und einer blonden Frau. Brüderle ist so ziemlich das Gegenteil davon, und seine Frau sagt auf die Frage, ob sie ihn noch einmal heiraten würde: „Wahrscheinlich nicht.“

Doch für Brüderle ist es kein Thema, dass er Vertreter einer angejahrten Politikergeneration gilt. Sein Vater habe noch mit 86 sein Textilgeschäft betrieben, sagte er einmal dieser Zeitung. „Er wäre nie auf die Idee gekommen, mit der Arbeit aufzuhören, solange er noch gesund war.“

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