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"Geflüchtete" warten auf ihre Registrierung vor dem Berliner Lageso. Das Foto entstand am 9. Dezember 2015.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Zur Flüchtlingskrise: Um Menschen in Not zu helfen, muss man kein Christ sein

.. und trotzdem, schreiben der Ökonom und der Pfarrer: Individuelle Barmherzigkeit wird die Integrationsprobleme nicht lösen. Wie wir uns verändern müssen - ein Gastkommentar

Schon letztes Jahr haben wir an dieser Stelle über die vielen Menschen geschrieben, die auf der Flucht sind. Benutzt hatten wir den gängigen Begriff „Flüchtling“. Wir haben uns inzwischen eines Besseren überzeugen lassen und benutzen den Begriff „Geflüchtete“, um die mit der „ling“-Endung sehr oft einhergehende Geringschätzung zu umgehen. Selbst dem Begriff Schützling haftet eine gewisse Geringschätzung an; deswegen wurde auch der Lehrling abgeschafft. Schließlich kann auch der uneingeschränkt positiv besetzte Frühling nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Begriff Flüchtling nicht freundlich gemeint ist.

Man muss kein gläubiger Christ sein, um zu wissen, dass es zur Menschlichkeit untrennbar dazu gehört, Menschen in Not und auf der Flucht zu helfen. Jesus schreibt uns ins Stammbuch: „Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür?“ Diesen Aufruf dürfen wir getrost so verstehen, dass wir unsere Herzen gerade denen gegenüber öffnen sollen, die uns (noch) sehr fremd sind.

Gleichzeitig ist es unmöglich zu hoffen, dass individuelle Barmherzigkeit – bei aller Bedeutung der vielen ehrenamtlichen Helfer – das Integrationsproblem der Geflüchteten allein löst. Ein Einwanderungsland zu sein bedeutet, dass man sich systematisch um die Integration von Zuwanderern kümmert und vor allem für eine optimale Vorschul- und Schul-Bildung der Kinder sorgt. All das kostet Geld, das von der arbeitenden Mitte der Gesellschaft verdient sein will. Und um die muss sich der Staat auch kümmern, wenn Integration gelingen soll. Ordentliche Wohnungen müssen für alle zur Verfügung stehen und das notwendige Geld für die Integration Geflüchteter darf nicht bei den sozial Schwachen eingesammelt werden.

Gerade Weihnachtsrituale zeigen, dass Integration nicht nur in eine Richtung gehen kann

Ohne Beherrschung der Sprache eines Landes ist kein gutes Leben möglich. Weder für die Migranten selbst, noch für ihre Nachbarn. Eine Gesellschaft profitiert aber gewiss nur dann von Zuwanderern, wenn sie nicht nur von ihnen eine Anpassung erwartet, sondern auch von sich selbst. Wir werden uns an neue, vielfältige kulturelle Vorstellungen gewöhnen müssen. Nur dann kommen alle gut miteinander aus. Wobei das Grundgesetz die Grenze für uns alle setzt - auch für die Kritiker der Zuwanderung: Demokratie und Toleranz und vor allem die Gleichheit der Geschlechter und der Schutz von Minderheiten sind die nicht diskutierbare Basis für unser Zusammenleben.

Die Weihnachtszeit mit all ihren Ritualen ist ein gutes Beispiel dafür, dass Integration nicht nur in eine Richtung gehen kann. Das Lichterfest Weihnachten hat jede Menge alte, nicht-christliche Rituale integriert. Und vermeintlich uralte Teile von Weihnachten sind keine 300 Jahre alt. Etwa der Weihnachtsbaum und der Weihnachtsmann, der in seiner heutigen Form von Coca-Cola erdacht und ausstaffiert wurde und – leider – in weiten Teilen des Landes das Christkind verdrängt hat.

Gert G. Wagner vom DIW und Pfarrer Frank-M. Scheele der katholischen Kirchengemeinde "Maria unter dem Kreuz" in Berlin-Fridenau
Gert G. Wagner vom DIW und Pfarrer Frank-M. Scheele der katholischen Kirchengemeinde "Maria unter dem Kreuz" in Berlin-Fridenau

© DIW Berlin / Detlef Güthenke, privat

Wer heute darauf besteht, dass die christliche Religion völlig unangefochten durch den Lauf der Zeit marschierte, der sollte sich vor Augen führen, dass Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts das jüdische Chanukkafest (Ende November/Anfang Dezember) von eher säkular eingestellten Juden in Deutschland mit dem Weihnachtsfest vermischt wurde – so etwa mit dem geschmückten Baum und Geschenken. Das wurde dann auch ironisch „Weihnukka“ genannt. Eines ist klar: Wer die Aufnahme von Hunderttausenden Geflüchteten nur damit begründet, dass sich dies langfristig für uns ökonomisch lohnen wird, der wird mit dieser „Instrumentalisierung“ von Zuwanderern für eigennützige Zwecke scheitern.

Alle werden Geduld aufbringen müssen. Gemeinsam verändertes Brauchtum kann beim Aufeinanderzugehen helfen, gewiss auch das sorgfältige Studium der Kirchengeschichte und der Theologie des Islam.

Christen hierzulande tun gut daran, sich wieder einmal zu vergewissern, woran sie eigentlich glauben - nur auf dieser Basis kann so etwas wie interreligiöser Dialog überhaupt funktionieren. Gegenseitiges Wohlwollen kann nur in Toleranz entstehen. Wo wir allerdings keine Kompromisse machen können, ist der Bereich des staatlichen Rechts: Wer beispielsweise nicht bereit ist, auf extrem patriarchalisches Denken und Handeln zu verzichten, wer mit Menschen jüdischen Glaubens nicht zusammen leben will, kann nicht zu unserer Gesellschaft gehören. In Deutschland ist Diskriminierung gleich welcher Art verboten. Es wäre leichtfertig, Zuwanderern dies nicht klar zu sagen.

Gert G. Wagner ist Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW, in Berlin); bis Herbst dieses Jahres war er Mitglied der Sozialkammer der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Frank-M. Scheele ist Pfarrer der katholischen „Maria-unter-dem-Kreuz“- Gemeinde in Berlin-Friedenau.

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