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Die deutsche und französische Fahne wehen am Reichstag zu Ehren des Freundschaftsvertrags von Elysée, der 1963 zwischen den beiden Ländern geschlossen wurde.

© afp

30 Jahre Centre Marc Bloch: Den deutsch-französischen Horizont erweitern

Das deutsch-französische Forschungszentrum in Berlin feiert sein 30-jähriges Bestehen. Seit diesem Jahr werden dort auch die gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels erforscht.

Unter dem Eindruck der gefallenen Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland wurde das Centre Marc Bloch (CMB) gegründet. In diesem Jahr feiert das An-Institut der Humboldt-Uni sein 30-jähriges Bestehen – in einer Zeit, in der zwischen Russland und dem Westen wieder ein eiserner Vorhang hängt. Wie sich prägende Ereignisse wie Krieg, Grenzöffnungen, Migrationsbewegungen und Krisen auf das Zusammenleben in Mittel- und Osteuropa auswirken, untersuchen Sozial- und Geisteswissenschaftler:innen an dem deutsch-französischen Institut seit den Anfangsjahren.

In Kriegszeiten sei der vergleichende Blick, der hier auf die sozialen und politischen Entwicklungen in Europa gerichtet wird, „so aktuell wie nie zuvor“, betonte HU-Präsidentin Julia von Blumenthal in ihrer Festrede in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Auf das Widererstarken des Nationalismus in Europa anspielend, rief sie den Ansatz des Namensgebers des Zentrums ins Bewusstsein. Der französische Historiker und Mediävist Marc Bloch warb in der konfliktreichen Zeit zwischen Erstem und Zweiten Weltkrieg für Völkerverständigung und appellierte an seine Zunft, in der Geschichtsschreibung „Nationalmythen“ zu überwinden. Stattdessen sollten soziale und ökonomische Entwicklungen grenzübergreifend betrachtet werden.

Öffnung für den Globalen Süden

Diesem Leitbild sieht sich das Zentrum verpflichtet. Dabei arbeiten hier schon lange nicht nur deutsch und französisch sozialisierte Forschende, sondern auch Gäste aus dem Iran, der Türkei, der Ukraine oder Senegal an brennenden Gesellschaftsthemen. Die Migrationsforscherin Pascale Laborier, die das Zentrum von 2005 bis 2010 leitete, gab den Anstoß, nicht nur Dynamiken in Europa, sondern auch die des Globalen Südens in den Blick zu nehmen.

„Die engen Kontakte zwischen Frankreich und dem Maghreb, die zum Beispiel die Historikerin Leyla Dakhli pflegt, waren da enorm bereichernd“, sagt der heutige CMB-Direktor Jakob Vogel. Damit komme etwa in der Forschung zum arabischen Frühling und zur Dekolonisierung auch die Perspektive afrikanischer Länder zum Tragen.

Jakob Vogel, seit 2018 Direktor des Centre Marc Bloch, bei seiner Festrede zum 30-jährigen Bestehen des Zentrums in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

© Sébastien Vannier/Centre Marc Bloch

In zwei der fünf Forschungsschwerpunkte am Zentrum geht es um Erfahrungen und Auswirkungen von Migration und Globalisierung. Dabei wolle man auch für geflüchtete Wissenschaftler eine Anlaufstelle sein. Die Pandemie, in der der Austausch mit Kolleg:innen sich plötzlich überwiegend ins Digitale verlagerte, habe der globalen Öffnung „einen großen Push“ gegeben, sagt Vogel: Zu den online stattfindenden Kolloquien habe man mühelos Interessierte aus aller Welt einladen können. Hier und da stoße die globale Öffnung aber auch an ihre Grenzen, etwa wenn die Gäste nur Englisch sprächen, sind Verkehrssprache des Zentrums doch Deutsch und Französisch.

Zwischenstation für Postdocs

Forschende, die ein Projekt in Kooperation mit dem CMB verfolgen wollen, müssen sich meistens selbst um die Finanzierung kümmern, also bei Stiftungen oder den Forschungsministerien Förderanträge stellen. Von den aktuell etwa 60 Stellen werden dem Direktor zufolge circa 20 durch von den deutschen und französischen Forschungsministerien finanziert, die dann jeweils drei bis fünf Jahre besetzt werden. Dauerstellen für Wissenschaftler:innen gibt es nicht. Das Zentrum ist eher eine Station für Nachwuchsforschende, die für die Zeit nach dem Doktorat eine Zwischenlösung suchen.

Dank der weiten Vernetzung kann das CMB dabei ein gutes Karrieresprungbrett sein. Zu den prestigereichen Partnern zählen französische Kaderschmieden wie das Centre National de Recherche und die Grandes Écoles in Paris und Lyon, auf deutscher Seite das Berliner Wissenschaftskolleg, die Hertie School, die Viadrina oder das Wissenschaftszentrum für Sozialforschung.

Befürchtet der CMB-Direktor angesichts aktueller Krisen Budgetkürzungen durch die Ministerien? 2008 war das Bestehen des Centre aufgrund von Streichungen des Budgets von französischer Seite schon einmal gefährdet. Nur auf Druck renommierter Fürsprecher konnte es gerettet werden, indem das BMBF die Unterstützung erhöhte.

Neuer Schwerpunkt: Klimawandel

Vogel bleibt vorerst zuversichtlich. Da das Haus von seinem jährlichen Budget – zwischen zwei und drei Millionen – ein Drittel selbst einwerbe, dürfte man „auch in Zeiten wie diesen weiterhin gut über die Runden kommen“. Dennoch hoffe er stark, dass keine staatlichen Zuschüsse gestrichen werden.

Seit diesem Jahr neu im Programm ist die Erforschung der Klimawandels aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Schließlich gehe es nicht nur darum, technische Lösungen zu entwickeln, begründet der Direktor die neue Ausrichtung. Es sei für die Gestaltung von Politik und Wirtschaft wichtig zu wissen, welche Regionen und Bevölkerungsgruppen dieser besonders betrifft – aber auch, wie „sozialverträglich“ beispielsweise Maßnahmen zur Begrenzung der CO2-Ausstoßes seien. Dafür werden nun Kooperationen mit dem Berlin-Brandenburgischen „Climate Change Center“ angebahnt, dessen Gründung die Berliner Wissenschaftspolitik angestoßen hat.

Inmitten des vielen Lobes, das in den Reden und Diskussionen zur Jubiläumsfeier in der Akademie anklang, benannte die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger auch Probleme, die die deutsch-französische konkret erschweren: große Unterschiede im Arbeits- und Steuerrecht, bei den Förderinstrumenten und den Stellensystemen. Wolle man zum Beispiel Mittel für binationale Graduiertenschulen oder Forschungsprojekte einwerben, gäbe es bis heute hohe bürokratische Hürden, merkte die Direktorin des Berliner Wissenschaftskollegs an.

Während man sich über die Bedeutung der grenzübergreifenden Forschung auf der Jubiläumsfeier einig war, scheint in der Wissenschaftsverwaltung beider Länder noch keine Einheit zu herrschen.

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