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© p-a/KPA

Artenvielfalt: Im Hochgebirge überlebt

Die danubische Bachforelle ist selten. In den Hohen Tauern hat sie überdauert, weil sie dort eigens Speisefisch für die Fastenzeit angesiedelt wurde.

Ziemlich verdächtig kommen den Wanderern im Nationalpark Hohe Tauern die beiden Männer vor, die in ihren wasserdichten Wathosen rund 1900 Meter über dem Meeresspiegel in der eiskalten Strömung des Seebaches stehen. Einer von ihnen trägt auf dem Rücken ein Gestell mit einem tuckernden Generator. Der erzeugte Strom fließt durch ein Kabel, das als Schlaufe vom Generator ins Wasser hängt, und von dort durch einen Kescher und ein zweites Kabel zurück zum tuckernden Rucksack. Obwohl die beiden Männer anscheinend beim verbotenen Elektrofischen ertappt worden sind, schauen sie keineswegs schuldbewusst.

Nikolaus Medgyesy, der graubärtige und ältere der beiden Männer, hat nämlich eine Ausnahmegenehmigung für diese Art des Fischens. „Wir fangen hier Bachforellen für eine wissenschaftliche Studie“, erzählt der Limnologe von der Universität in Innsbruck. Zwar klingen die 200 bis 600 Volt Gleichspannung erst einmal gefährlich, die der Generator auf dem Rücken des zweiten Mannes – Medgyesys Sohn – erzeugt. Aber das salzarme Wasser leitet so wenig Elektrizität, dass lediglich die Funktion der Fischnerven gestört wird und die Tiere betäubt werden, sodass sie sich besser fangen lassen.

Die beiden Männer messen die ungefähr 20 Zentimeter langen Fische und wiegen sie. Anschließend schneiden sie der betäubten Forelle ein winziges Stück von der Schwanzflosse ab und lagern es für Erbgutanalysen in Alkohol. Anschließend darf der Fisch wieder in seinen Bach. Die Ausnahmegenehmigung für das Elektrofischen zielt also nicht auf die Bratpfanne, sondern auf die Rettung eines extrem selten gewordenen Fisches.

„Die Bachforelle Salmo trutta kommt in ganz Europa, sowie in Nordafrika und Teilen Asiens vor“, sagt Nationalparkforscher Florian Jurgeit. Von diesem noch immer sehr häufigen Fisch gibt es fünf Linien, die in jeweils unterschiedlichen Flusssystemen schwimmen. Die atlantische Bachforelle lebt zum Beispiel in den Flüssen, die in den Atlantik münden und ihren Nebenflüssen, während die danubische Bachforelle in der Donau und ihren Nebenflüssen zu Hause ist. Da alle Bäche und Flüsse der Hohen Tauern am Ende in die Donau münden, sollten in den Gewässern dort also danubische Bachforellen schwimmen.

Ob das tatsächlich so ist, wusste lange Zeit niemand, weil selbst Experten wie Nikolaus Medgyesy die einzelnen Linien an ihrem Äußeren nicht unterscheiden können. Erst Erbgutanalysen zeigten, dass die danubische Forelle in den meisten Gewässern verschwunden ist und stattdessen vielerorts die atlantische Linie schwimmt. Die Ursache ließ sich schnell ermitteln: Offensichtlich wird nur die atlantische Linie von modernen Züchtern vermehrt. Da in fast allen Gewässern Europas geangelt wird, setzen die Verantwortlichen überall die atlantischen Bachforellen ein. Mit der Zeit verdrängt diese Linie dann ihre nahen Verwandten aus den Nebenflüssen der Donau. Nur in ganz wenigen Gewässern wie dem Anraser See, der in Osttirol in rund 2500 Metern über dem Meeresspiegel liegt, zeigte die Genanalyse noch danubische Bachforellen an.

Dass die seltenen Forellen überhaupt in den entfernten Gewässern leben, geht ebenfalls auf den Menschen zurück. Als sich nach der letzten Eiszeit die Gletscher aus den meisten Alpentälern zurückzogen, konnten Forellen aus eigener Kraft keine Gewässer erobern, die in den Hochlagen neu entstanden waren und die durch hohe Wasserfälle von ihrem Unterlauf getrennt sind. Wenn in solchen Oberläufen also danubische Bachforellen schwimmen, die nicht in jüngerer Vergangenheit dort ausgesetzt worden sind, müssen sie wohl vor langer Zeit von Menschen dort hochgetragen worden sein. Da fällt der Verdacht schnell auf Mönche und die meist adlige Oberschicht des Mittelalters, die in solchen Hochlagen Forellen aussetzten, um auch in der Fastenzeit ausreichend Fisch auf den Tisch zu bekommen.

Zumindest in einige dieser Gewässer wollten der Nationalpark Hohe Tauern und Nikolaus Medgyesy diese „Urforellen“ wieder zurückbringen. Also stapfte der Limnologe in den vergangenen Jahren jeweils im November durch Eis und Schnee zu den letzten Refugien der danubischen Bachforelle. In dieser Zeit verrät der weiche Bauch der Weibchen, dass bald Laichzeit ist. Medgyesy fängt das eine oder andere Fischpärchen und trägt es in einem Wassersack ins Tal. Die befruchteten Eier entwickeln sich dann in den Aquarien der Innsbrucker Universität. Im darauffolgenden Herbst sind die Jungfische rund sieben Zentimeter lang und der Forscher stapft mit ihnen wieder in die Hohen Tauern, um sie oberhalb von Wasserfällen auszusetzen. Damit die neu angesiedelten Tiere nicht in Bedrängnis geraten, wurden zuvor Bachsaiblinge oder atlantische Bachforellen aus den betreffenden Abschnitten gefischt und unterhalb der trennenden Wasserkaskaden wieder freigelassen.

Diese Prozedur wiederholen die Wissenschaftler drei Jahre lang, danach sollten sich die vom Aussterben bedrohten Fische etabliert haben. Die bisherigen Bestandskontrollen deuten darauf hin, dass das Programm erfolgreich ist und in diesen Wochen der erste Urforellennachwuchs in der neuen Heimat schlüpft.

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