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© p-a/dpa

Arzneimittel-Studien: Friede, Freude, Pharmafirma

Nur gute Nachrichten: Medikamentenstudien mit schlechten Ergebnissen werden häufig unterdrückt. Experten fordern eine Veröffentlichungspflicht.

Wenn Arzneimittelstudien Geschichten erzählen, dann geht es Pharmafirmen so wie Hollywood: Sie lieben das Happy End. Wo im Kino die erschöpften Helden zufrieden dem Sonnenuntergang entgegenreiten, heißt es bei Studien im Fazit, ein Medikament sei wirksam und nebenwirkungsarm. Die Wirklichkeit sieht manchmal anders aus. Denn manche Studien, deren Ergebnisse weniger rosig sind, werden nur teilweise oder gar nicht veröffentlicht.

Dieser Hang zum Happy End ist unter dem Namen „Publikations-Bias“ bekannt. Das geschönte öffentliche Bild führt dazu, dass manche Arzneimittel, die kaum einen Nutzen haben, jahrzehntelang eingesetzt werden . So teilte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) am Dienstag mit, das Medikament Edronax der Firma Pfizer, in Deutschland seit 12 Jahren zur Behandlung von Depressionen zugelassen, habe keinen nachweisbaren Nutzen.

Ausschlaggebend für das Ergebnis waren Studien, die nie veröffentlicht wurden. „Insgesamt haben wir 17 Studien ausgewertet, davon waren aber nur sieben veröffentlicht“, sagt Beate Wieseler vom IQWiG. Die sieben Studien an insgesamt 1600 Patienten hätten ein positives Bild des Medikaments gezeichnet. Erst die zehn unveröffentlichten Studien, in denen insgesamt mehr als 3000 Patienten untersucht wurden, führten zu dem negativen Gesamtbild.

Kein Wunder also, dass Pfizer erst auf öffentlichen Druck hin alle Studien herausgegeben hatte. Auf die Forderung des IQWiG nach weiterem Material antwortete das Unternehmen zunächst, man habe dem Institut diejenigen Daten zur Verfügung gestellt, „die sich aus unserer Sicht für eine Nutzenbewertung von Edronax (Wirkstoff Reboxetin) auch im Vergleich zu anderen Arzneimitteln eignen.“ Eine Verpflichtung, alle verfügbaren Daten zusammenzutragen, gebe es nicht.

Genau das fordert nun aber das IQWiG. Das Zurückhalten von Daten führe zu einem falschen Bild in der Öffentlichkeit. „Ärzte und Patienten können dann keine informierte Entscheidung treffen und wählen möglicherweise eine Therapie, die schlechter wirkt oder mehr schadet als eine andere“, sagt Wieseler. Für die Bewertung eines Medikaments sei häufig regelrechte Detektivarbeit nötig. „Viele Studien hinterlassen kleinere Spuren, weil sie auf irgendeinem Kongress erwähnt werden oder in einer anderen Studie. Die müssen wir finden“, sagt Wieseler.

Martin Fensch von Pfizer verweist darauf, dass das Unternehmen seit 2005 sämtliche klinischen Studien weltweit im Internet veröffentliche. Reboxetin sei lediglich ein älteres Präparat. Aber Wieseler sieht kaum einen Fortschritt: „Wir haben trotz der Selbstverpflichtung mancher Unternehmen immer noch die selben Probleme“, sagt sie.

So hatte das IQWiG vor kurzem die Verwendung von Insulinanaloga bei Kindern und Jugendlichen untersucht. Auch hier gab es Studien, die abgeschlossen aber nicht veröffentlicht waren. Erst nachdem die Wissenschaftler dies in einer Pressemitteilung kritisiert hatten, gab das Unternehmen Novo Nordisk nach. Das IQWiG kam zum Schluss, dass es keinen Zusatznutzen gegenüber Humaninsulin gibt.

Dass das Problem weit verbreitet ist, zeigt eine Untersuchung, die 2008 im Fachmagazin „Plos Medicine“ veröffentlicht wurde. Lisa Bero und Mitarbeiter der Universität von Kalifornien in San Francisco hatten alle 164 Wirksamkeitsstudien gesucht, welche der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA in den Jahren 2001 und 2002 für Neuzulassungen von Medikamenten vorgelegt wurden. 128 davon wurden in Fachzeitschriften publiziert. Es war keine Zufallsauswahl: Die publizierten Studien wiesen 4,7-mal häufiger günstige Ergebnisse auf als die nicht veröffentlichten.

„Das Problem liegt nicht allein bei den Pharmaunternehmen“, sagt Jörg Meerpohl vom Deutschen Cochrane-Zentrum. Auch Forscher hätten ein größeres Interesse daran, vielversprechende positive Daten auszuwerten. Häufig bleibe vermeintlich keine Zeit, negative Ergebnisse für eine Publikation sorgfältig aufzuarbeiten. Ähnliches gelte für Fachzeitschriften. „Die Leser wollen eher wissen, wenn es etwas Neues gibt, das funktioniert, als wenn es etwas Neues gibt, das nicht funktioniert“, sagt Meerpohl.

Aus seiner Sicht wäre eine Veröffentlichungspflicht wünschenswert. Dass die Forderung keine Utopie ist, zeigt das Beispiel USA: Dort gibt es seit 2008 eine solche Regelung. Tatsächlich heißt es auch aus dem Bundesgesundheitsministerium, man setze sich auf europäischer Ebene für eine solche Regelung ein. Diese solle über die in den USA bestehenden Verpflichtungen sogar deutlich hinausgehen.

Pharmafirmen halten dem entgegen, dass sie dann Betriebsgeheimnisse öffentlich machen müssten. Unterm Strich gehe es aber um eine simple Abwägung, sagt Meerpohl: „Ist es wichtiger, dass die Öffentlichkeit darüber Bescheid weiß, welche Ergebnisse die Studien gebracht haben, oder dass die Pharmafirmen weiter arbeiten können, ohne dass man ihnen gewissermaßen in den Kochtopf schauen kann.“ Auch Wieseler sieht die Unternehmen in der Pflicht: „Pharmafirmen haben eine besondere Verantwortung. Sie verkaufen eben keine T-Shirts oder Joghurts, sondern Arzneimittel.“

 Kai Kupferschmidt

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