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Wissenschaft: Aufbruch für Afghanistan

Frauen an die Uni, neue Technik fürs Land: Wie Hochschulen in Kabul und Herat den Neustart wagen – mit der Hilfe von Deutschen.

Verstaubte und verbogene Stühle türmen sich in den Fluren. Im zentralen Labor der Uni gibt es noch zwei Reagenzgläser. Die restliche Ausstattung ist zerstört oder gestohlen. Die Universität Kabul ist 2003, gut ein Jahr nach dem Sturz der Taliban, in einem desolaten Zustand. Computer gibt es ohnehin seit Jahren nicht, den Taliban galten sie als Teufelszeug. Dozentinnen und Studentinnen sind auf dem Campus nicht zu sehen.

Sieben Jahre später bietet der Kabuler Campus ein komplett anderes Bild: Viele Seminarräume sind modern ausgestattet, im Rechenzentrum sind mehrere Dutzend Computerarbeitsplätze ständig belegt – auch von Studentinnen. Die neuen Zeiten an der Universität Kabul, aber auch in Herat und Balkh sind zum großen Teil dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) zu verdanken, der den Aufbau der afghanischen Hochschulen seit acht Jahren massiv unterstützt. Finanziert wird das Engagement durch den Ende 2001 auf der Petersberg-Konferenz in Bonn aufgelegten „Stabilitätspakt Afghanistan“, aus dem das Auswärtige Amt dem DAAD bislang 17,2 Millionen Euro zugewiesen hat.

Mehr als 1600 afghanische Akademiker wurden mittlerweile durch den DAAD weitergebildet, viele konnten Bachelor- und Masterkurse an deutschen Unis besuchen, heißt es in einer jetzt veröffentlichten 50-seitigen Broschüre, in der Aufbauhelfer eine Zwischenbilanz ziehen. Weitere 3000 Universitätsangehörige wurden in lokalen PC- und Sprachkursen geschult, über 300 deutsche Gastdozenten lehrten an den afghanischen Hochschulen.

Obwohl ein Fünftel der Kabuler Dozenten in Kriegen und Bürgerkriegen umgekommen ist und viele ins Ausland emigrieren, läuft auch im Jahr 2003 der Lehrbetrieb. Die Mehrheit der verbliebenen Dozenten hat allerdings nur einen international nicht anerkannten Bachelorabschluss. In Vorlesungen und Seminaren lesen sie von veralteten Skripten ab. Alexander Kupfer, Leiter des Afghanistanreferats beim DAAD, war damals einer der ersten westlichen Besucher an der Universität Kabul. Er fotografierte einen Uni-Angestellten vor einem Stuhlberg – und wundert sich bis heute über dessen Haltung. „Der Mann war sichtlich stolz, dass die Stühle überhaupt noch vorhanden waren.“ Auch die Dozenten mit ihren afghanischen oder sowjetischen Abschlüssen begegneten den westlichen Besuchern selbstbewusst. Wirtschaftswissenschaftlern, die nur Planwirtschaft gelehrt hatten, zu vermitteln, dass sie nach internationalen Maßstäben auf dem Niveau eines Erstsemesters stünden, sei keine leichte Aufgabe gewesen, erinnert sich Kupfer.

Heute hat die Uni Kabul 13 000 Studierende, die von 597 Hochschullehrern unterrichtet werden. Landesweit sind es knapp 55 000 Studenten. Doch noch immer werden sie nur selten von Promovierten unterrichtet. In Kabul haben nur 55 der Dozenten eine Promotion beziehungsweise einen gleichwertigen Ph.D. und 175 einen Masterabschluss. 367 unterrichten mit einem Bachelor-Abschluss. Doch an den drei Schwerpunkthochschulen des DAAD in Kabul, Herat und Balkh haben immerhin 88 Lehrende einen Bachelor an deutschen Partnerunis wie der Uni Bochum oder der TU Berlin erworben, 61 konnten einen Masterabschluss machen, zehn wurden promoviert. Auch der Frauenanteil in Studium und Lehre ist gestiegen – in Kabul in beiden Bereichen von Null auf 20 Prozent.

Sieben deutsche Unis engagieren sich als Hochschulpartner im Afghanistan-Programm des DAAD, darunter Bonn und Köln für die Naturwissenschaften und Duisburg-Essen in der Germanistik, die heute zu den beliebtesten Studienfächern in Afghanistan gehört. In Kabul sind 200 Studierende in dem Fach eingeschrieben, zwei Drittel sind Frauen. An der TU Berlin, die den Aufbau der Informatik leitet, ist Nazir Peroz Mann der ersten Stunde. Der gebürtige Kabuler kehrte vor sieben Jahren mit der ersten DAAD-Delegation zum ersten Mal nach 25 Jahren in sein Heimatland zurück. Er konnte nach vier Monaten das Rechenzentrum an der Uni Kabul eröffnen. „Es ging nicht nur um neue Technik für das Land“, erklärt Peroz. „Moderne Informationstechnologie und Bildung schaffen eine Zukunftsperspektive für die Menschen.“

Bis alle Dozenten zumindest auf Master-Niveau sind und die größeren Universitäten eigene Masterstudiengänge anbieten können, seien weitere zehn Jahre Aufbauarbeit nötig, sagt Alexander Kupfer. Dazu müsse das Auswärtige Amt weiterhin mindestens 2,5 Millionen Euro jährlich zur Verfügung stellen. Ziel sei es, dass die afghanischen Hochschulen so schnell wie möglich auf eigenen Füßen stehen. Doch davon seien sie noch weit entfernt – vor allem wegen der dramatischen Unterfinanzierung.

Das Hochschulministerium verfügt über einen Jahresetat von 25 Millionen Dollar und kann damit die Gehälter der Dozenten kaum finanzieren. Der Löwenanteil des Budgets fließt an die Studierenden. Traditionell bringt der Staat seine Studenten kostenfrei in Wohnheimen unter und übernimmt ihre Lebenshaltungskosten. In Gesprächen mit dem Minister fordere der DAAD immer wieder mehr Autonomie für die Hochschulen, sagt Kupfer. Diese bräuchten Anreize, um Drittmittel einzuwerben. Bislang streicht der Staat bei den Zuschüssen, was die Unis etwa durch Kooperationen mit ausländischen Hilfsorganisationen einnehmen.

Deutschland ist nicht das einzige Land, das akademische Aufbauhilfe leistet. Auch die USA, Japan, Südkorea und Italien engagieren sich. Der deutsche Beitrag liege finanziell im Mittelfeld, sagt Kupfer. Aber der DAAD bemühe sich, besonders nachhaltig zu helfen. Das Kabuler Rechenzentrum wurde von der TU Berlin aufgebaut, Gastdozenten schulen bis heute das afghanische Personal. Seit einigen Jahren arbeiten die einheimischen Administratoren eigenständig. Sie geben ihr Know how weiter, etwa bei der Einrichtung einer IT-Abteilung im afghanischen Hochschulministerium. Bei anderen Programmen liege die teure Ausrüstung aus dem Westen häufig brach, sagt Kupfer: Die Polytechnische Universität Kabul erhielt einen neuen PC-Pool aus Südkorea, aber niemand konnte damit umgehen.

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