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Schimpanse mit Geschwulsten im Gesicht

© Tai Chimpanzee Project

Aussätzige im Urwald: Schimpansen stecken sich aus unbekannter Quelle mit Lepra an

Menschenaffe und Mensch können an den gleichen Krankheiten leiden. Lepra unter Schimpansen stellt Forscher jedoch vor Rätsel.

Die Infektion hat kaum übersehbare Spuren im Gesicht des Schimpansen Woodstock im Taï-Nationalpark in Elfenbeinküste hinterlassen: Dicke Auswüchse und Knoten auf den Augenbrauen, den Lippen und den Ohren erinnern an ähnliche Symptome bei Menschen, die an Lepra erkrankt sind.

Tatsächlich haben Fabian Leendertz vom Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin und seine Kollegen im Kot des Tieres mit Mycobacterium leprae den bakteriellen Erreger dieser Infektion gefunden. Aber wo könnte sich Woodstock mit Lepra angesteckt haben?

Wissenschaftler nahmen lange an, dass nur Menschen an Lepra erkranken, wenn sie engen Kontakt mit Infizierten hatten. Engen Kontakt können die Forscher aber praktisch ausschließen, sowohl für Woodstock, wie auch für mindestens vier weitere Schimpansen, die mehr als 1500 Kilometer vom Taï-Nationalpark entfernt im Cantanhez Nationalpark in Guinea-Bissau ebenfalls an Lepra leiden.

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Verdacht bestätigt

Kimberly Hockings von der University of Exeter hatte die Tiere entdeckt, als sie die Aufnahmen ihrer Beobachtungskameras auswertete. „Welche Krankheit könnte das sein?“, fragte die Forscherin Leendertz, der seit zwanzig Jahren in Afrika Schimpansen beobachtet und Erreger untersucht, die von Tieren auf Menschen und in umgekehrter Richtung übertragen werden können.

Der Tierarzt hatte solche Symptome bei Schimpansen noch nicht gesehen und fragte andere um Rat. Der entscheidende Hinweis kam von Tropenmedizinern.

Bei menschlichen Patienten weist man die Lepra-Bakterien in der Haut oder in einem Nasenabstrich nach. „Diese Methode kommt für Schimpansen in der Natur nicht infrage“, erklärt Leendertz. Die Tiere im Cantanhez-Nationalpark sind nicht an Menschen gewöhnt. Allerdings lassen sich viele Erreger auch in den Ausscheidungen nachweisen.

„Also haben wir die Kollegen gebeten, uns Kot von den beobachteten Schimpansen zu besorgen“, erklärt der RKI-Wissenschaftler. Dazu suchten die Forscher die Schlafnester der Menschenaffen in Baumkronen, sammelten die Proben vom Boden und schickten sie mit den entsprechenden Zoll-Formularen versehen ans RKI. In zwei Proben, die von Schimpansen-Weibchen stammten, wies das Team um Leendertz das Erbgut von Lepra-Bakterien nach. Der Verdacht der Tropenmediziner war bestätigt.

Enge Kontakte

„Inzwischen hatte sich eine meiner Doktorandinnen aus dem Taï-Nationalpark gemeldet, die beim männlichen Schimpansen Woodstock ebenfalls Knötchen im Gesicht gesehen hatte“, erzählt Leendertz.

Dort hat Christophe Boesch, der bis 2019 die Abteilung Primatologie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig geleitet hat, 1979 begonnen, das Verhalten der Schimpansen zu beobachten. Die Wissenschaftler konnten auf Material zurückgreifen und fanden im Kot von Woodstock ebenfalls das Erbgut von Lepra-Bakterien.

Die Forscher hatten Hautveränderungen und Knötchen auch bei dem Schimpansen-Weibchen Zora entdeckt, das 2009 von einem Leoparden getötet worden war. „Wir hatten damals eine Autopsie gemacht und Gewebeproben aufgehoben“, sagt Leendertz. Daraus konnten die Forscher das gesamte Erbgut der Lepra-Bakterien isolieren.

Offensichtlich war die 2009 verstorbene Zora mit dem gleichen Lepra-Stamm infiziert wie Woodstock, von dessen Erreger allerdings nicht das gesamte Erbgut isoliert werden konnte. Da beide Tiere zur gleichen Schimpansen-Gruppe gehörten und auch engen Kontakt miteinander hatten, könnte Woodstock sich bei Zora angesteckt haben.

Rätselhafte Krankheit

Woher der Erreger ursprünglich kam, ist unklar. Zora war mit dem Lepra-Stamm 2F infiziert, der bei menschlichen Patienten extrem selten ist.

Die Schimpansen im Cantanhez Nationalpark sind mit dem Leprastamm 4N/O infiziert, der bei Menschen ebenfalls nur sehr selten auftritt. Dass sich Schimpansen in zwei 1500 Kilometer voneinander entfernten Gebieten mit unterschiedlichen Bakterienstämmen infizieren, die bei Menschen sehr selten sind, führte zu einem Verdacht: „Beide Gruppen könnten sich an einer bisher unbekannten Quelle in der Natur angesteckt haben“, vermutet Leendertz.

Gestützt wird dieser Verdacht davon, dass die Tiere in sehr abgelegenen Regionen leben, in denen enge Kontakte mit Menschen unwahrscheinlich sind: „In 41 Jahren intensiver Verhaltensforschung im Taï-Nationalpark hatte keiner der Mitarbeiter Körperkontakt mit einem Schimpansen“, sagt Leendertz. „Und die lokale Bevölkerung interessiert sich wenig für das Verhalten der Tiere, sondern sieht in ihnen eher eine Beute für den Kochtopf“.

Der Chefarzt der Klinik für Tropenmedizin am Klinikum Würzburg Mitte, August Stich, bezweifelt jedoch, dass die Lepra-Infektionen eine natürliche Quelle haben. „Bisher kannten wir nur Übertragungen von Mensch zu Mensch und anscheinend in seltenen Fällen auch auf Tiere“, erklärt der Mediziner.

Stich hat Lepra-Patienten behandelt und gilt als Kenner dieser immer noch rätselhaften Krankheit. „Wir wissen bis heute noch nicht einmal sicher, wie sich Menschen mit Lepra-Bakterien infizieren.“. Beim Menschen tauchen die Erreger in der Nasenschleimhaut auf, vielleicht werden sie von dort übertragen. Allerdings passiert das nicht so effektiv wie bei Schnupfen, Grippe oder Covid-19.

„Zwar häufen sich Infektionen im unmittelbaren Umfeld eines Leprakranken, aber oft erkranken nicht alle Mitglieder einer Familie“, sagt Stich.

Die Infektionen lassen sich kaum verfolgen, weil sich die Bakterien extrem langsam vermehren. „Bei manchen Infizierten zeigt sich nur ein Fleck auf der Haut und dann verschwindet die Krankheit wieder“, berichtet Stich. Bei anderen erreicht sie erst nach Jahrzehnten die schweren Krankheitsstufen. Bei der tuberkuloiden Lepra bilden sich dann isolierte Hautflecken, in denen die Bakterien stecken.

„Dabei entzünden sich die Nerven und das Zentrum dieser Flecken wird mit der Zeit schmerzunempfindlich“, erklärt Stich. Verletzt der Patient sich dort, versorgt er die Wunde daher oft nicht. Infektionen können dann heftige Entzündungen auslösen, durch die Patienten furchtbar entstellt werden können. Das passiert vor allem beim schwersten Verlauf, der sogenannten lepromatösen Lepra.

Am Ende der Straße

Betroffene mussten früher als Aussätzige ohne Kontakt zu Gesunden leben. „In manchen Regionen der Welt wird das noch heute so gehandhabt“, stellt Stich fest. Dabei kann Lepra mit einer Kombination von Antibiotika gut behandelt werden.

„Allerdings dauert die Therapie mindestens ein halbes Jahr“, erklärt Stich. Es ist schwierig, Patientinnen und Patienten in abgelegenen Gebieten zu versorgen. „Lepra tritt daher dort auf, wo die Straße endet“, sagt Stich. Zudem reagiert bei der Antibiotika-Therapie das Immunsystem bisweilen heftig auf abgetötete Bakterien und Bruchstücke. Ärzte können ein Überschießen der Immunreaktion behandeln, die Patienten am Ende der Straße aber erreicht eine solche Therapie nicht.

Jedes Jahr werden in Ländern wie Indien oder Brasilien um die 200 000 Neuinfektionen bekannt. Manchmal springt die Krankheit auch auf Tiere über. Infektionen von Affen aber waren bisher nur aus Zoos bekannt, wo sich Tiere beim engen Kontakt mit Pflegern angesteckt hatten. Wie sich Schimpansen im Cantanhez-Nationalpark und im Taï-Nationalpark anstecken ist unklar.

Leendertz will die Nahrung der Schimpansen untersuchen. Zum Beispiel angeln die Tiere gerne Termiten, die in ihren Verdauungsorganen mit Hilfe verschiedener Bakterien holzige Bestandteile von Pflanzen verdauen. Arbeiten in diesen Termiten vielleicht auch Lepra-Bakterien und die Schimpansen infizieren sich über solche Insektenmahlzeiten?

„Bis wir die Herkunft der Lepra bei den Schimpansen geklärt haben, können leicht etliche Jahre vergehen“, vermutet Leendertz.

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