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Mammuts kamen in großen Teilen Europas und Asiens vor und könnten die Landschaft ähnlich gestaltet haben wie es Afrikanische Elefanten in ihren Savannenlebensräumen heute tun.

© Wolfgang Runge/dpa

Sie kommen nicht wieder: Aussterbe-Ereignisse wirken langfristig auf die Artenvielfalt

Seit vielen Jahrtausenden rotten Menschen Arten aus, aber heute schneller denn je.

Das Muster scheint immer ähnlich zu sein: Kommen Menschen auf eine bisher unbesiedelte Insel und bleiben, sterben dort nach einiger Zeit vor allem die großen Arten aus, die bisher kaum Feinde hatten. Nachdem sich 1638 die ersten Siedler auf Mauritius im Indischen Ozean niederließen, wurde ein „Dodo“ genannter, einen Meter großer und wohl um die 15 Kilogramm wiegender Vogel aus der Familie der Tauben bereits 24 Jahre später zum letzten Mal lebend gesichtet.

Kaum besser erging es dem eng verwandten Rodrigues-Solitär auf der 600 Kilometer entfernten Insel Rodrigues. 1691 wurden französische Hugenotten auf dem Eiland ausgesetzt und irgendwann zwischen den 1730er und 1760er Jahren war der schwanengroße Vogel verschwunden.

Lang anhaltende Dürre-Perioden kommen als alleinige Ursache für das Aussterben der beiden Riesentauben und einiger anderer großer Tiere offensichtlich nicht in Betracht, berichten Hanying Li von der Jiaotong-Universität im zentralchinesischen Xi’an, Ashish Sinha von der California State University im kalifornischen Carson und ihre Kollegen jetzt in der Zeitschrift „Science Advances“. Hatten diese Arten doch viel längere und schwerere Dürreperioden vor Ankunft der Siedler gut überstanden.

Mehr Menschen, weniger Arten

Das gleiche gilt auch für die große Insel Madagaskar, auf der in den letzten tausend Jahren nahezu alle größeren Tierarten wie die menschengroßen Riesen-Lemuren und die mehr als eine halbe Tonne wiegenden Elefanten-Vögel ausstarben, berichten die Forscher weiter. Das lenkt den Verdacht auf den Menschen als Verursacher des Artensterbens auf den Inseln im Indischen Ozean.

„Und das keineswegs nur dort, sondern auch auf sehr vielen anderen Inseln und auf den Kontinenten“, ergänzt Manuel Steinbauer von der Universität Bayreuth, der ebenfalls Artensterben untersucht, aber nicht an dieser Studie beteiligt war.

Schon seit etlichen Jahren deuten überwältigende Indizien auf die Menschheit und ihr Wirtschaften als zentralen Faktor beim Aussterben sehr vieler Arten wie Dodo, Europäischer Waldelefant, verschiedene Mammut-Arten oder Höhlenbären in den vergangenen Jahrtausenden hin.

So liefert die Zahl der menschlichen Bewohner in einem Gebiet den besten Hinweis auf die Stärke von Artensterben in früheren Zeiten. „Je mehr Menschen es gab, umso mehr Tierarten verschwanden“, erklärt Roberto Rozzi, der am  Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig (iDiv) und der Universität Leipzig die Evolution und das einstige Artensterben von Säugetieren auf Inseln untersucht und Erkenntnisse für den heutigen Arten- und Naturschutz ableitet.

Gefährdete Insellebensräume

Die Zahl der Menschen auf dem Planeten ist ein Problem für die Ökosysteme und die Artenvielfalt. Solange die Bevölkerung wächst, steigt auch der Druck auf die Natur. Allerdings ist dieser Druck nicht gleichmäßig verteilt. „Inseln stellen gerade einmal fünf Prozent der Landflächen der Erde, sind aber ein Hotspot der Biodiversität und gleichzeitig ein Epizentrum des Artensterbens“, erklärt Rozzi.

Rund 40 Prozent der unmittelbar vom Aussterben bedrohten Arten leben dort, etwa 60 Prozent aller in historischer Zeit ausgestorbenen Arten lebten auf Inseln. Für diese traurige Bilanz gibt es triftige Gründe. So kennen etliche Arten wie der Dodo auf abgelegenen Inseln oft keine Feinde und haben keine Verteidigung. Der Rodrigues-Solitär und der Dodo konnten zum Beispiel nicht fliegen. Erreichen Menschen diese Eilande, werden die wehrlosen Tiere zur leichten Beute.

Auch eingeschleppte Arten wie Ratten und Katzen fressen oft schnell eine Spur der Verwüstung durch die Artenvielfalt. Oder Tiere verlieren ihren Lebensraum, wenn Siedler Wälder roden, um Weiden oder Plantagen anzulegen. Auf den Kontinenten und großen Inseln kann eine im Wald lebende Art dann in ein unversehrtes Gebiet auswweichen. Auf kleinen Inseln sind aber rasch alle Bäume geschlagen.

Vergangene Landschaften

„Je größer ein Säugetier oder ein Vogel ist, umso eher wird seine Art ausgerottet“, nennt Rozzi einen weiteren Zusammenhang. Große Tiere verlassen sich oft darauf, keinen ebenbürtigen Gegner zu haben. Das ändert sich aber, wenn der Mensch auf den Plan tritt. Diesen Mechanismus kennt Manuel Steinbauer von der Universität Bayreuth auch vom Festland: „Sobald der Mensch kam, starben fast überall die großen Arten aus“.

Das hat weitreichende Folgen: Als vor einigen zehntausend Jahren die großen Pflanzenfresser wie Waldelefanten aus Europa verschwanden, veränderte sich das Ökosystem dramatisch. Die Giganten gestalteten ihren Lebensraum, wie es sich bei den Elefanten in Afrika noch heute beobachten lässt: Durch Fressen und auch Umwerfen von Bäumen verhindern sie, dass ein dichter Wald aufkommt. Auch in Europa dürfte es daher in Zeiten von Waldelefanten und anderen großen Pflanzenfressern statt dichter Urwälder viel offenere Landschaften gegeben haben, die eher einer Savanne mit einzelnen Baumgruppen wie der Serengeti ähnelten. „Nach dem Ende der letzten Eiszeit aber waren die Waldelefanten durch den Einfluss des Menschen verschwunden und in die von den Gletschern befreiten Gebiete kehrten daher nicht etwa solche lichten Landschaften zurück, sondern es entwickelten sich dichte Urwälder“, fasst Steinbauer zusammen.

Natürlich geht die Entwicklung des Lebens weiter, irgendwann entstehen neue Arten, die zumindest einen Teil der Lücken füllen, die von den ausgerotteten Arten hinterlassen wurden. „Allerdings rechnet die Evolution dabei in ganz anderen Zeitskalen als wir Menschen“, erklärt Steinbauer. Bis solche neuen Arten entstehen, können Jahrmillionen vergehen. Die Landschaft der Waldelefanten oder die Mammutsteppen im Norden Sibiriens werden wir nicht so bald wiedersehen.

Vergangene Massensterben

Der Paläontologe Wolfgang Kießling untersucht an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen Massenaussterben in den Weltmeeren vergangener Epochen und deren deutliche Parallelen zum heutigen, von uns Menschen ausgelösten Artensterben. Sehr lange Erholungszeiten könnten dazugehören. Als vor rund 252 Millionen Jahren beim größten bekannten Massenaussterben aller Zeiten die meisten Arten aus den Weltmeeren verschwanden, dauerte es etwa fünf bis sechs Millionen Jahre, bis die Artenvielfalt wieder ähnlich hoch war wie zuvor. Und als vor rund 66 Millionen Jahren neben den Dinosauriern auch sehr viele weitere Arten ausstarben, erholten sich die Meeres-Ökosysteme erst nach drei Millionen Jahren.

Solche Zeiten des Umbruchs, in denen viele Arten aussterben und oft erst Jahrmillionen später andere ihren Platz einnehmen, sind der Geschichte der Erde anscheinend sehr selten. Als Kießling sich jetzt gemeinsam mit zwei Kollegen von der University of Queensland in St. Lucia in Australien die Artenvielfalt der „Plankton“ genannten winzigen Organismen ansah, die in den letzten 66 Millionen Jahren in den Weltmeeren schwammen, fanden die Forscher nur in fünf Prozent dieser Zeit starke Umstellungen der Ökosysteme. Konstante Verhältnisse scheinen in der Natur daher die Regel zu sein, größere Aussterbe-Ereignisse dagegen die Ausnahme.

In der Zeitschrift „Science“ haben die Forscher die Hintergründe vorgestellt: In den unruhigen Zeiten sind die Raten für das Aussterben, sowie das Ein- und Auswandern von Arten doppelt bis viermal so hoch wie sonst. Da neue Arten nur sehr langsam entstehen, bilden sich auch neue Lebensgemeinschaften recht selten. Obendrein sind diese erheblich instabiler als die früheren Ökosysteme: Sie verändern sich fünfmal häufiger als in normalen Zeiten zu einem weiteren, neuen Zustand.

Wenn aber etablierte Arten rasch aussterben, während neue Arten nur langsam entstehen, kann die Entwicklung leicht katastrophale Auswirkungen haben. Schließlich ernähren sich von dem im Meerwasser schwimmenden Plankton direkt oder indirekt die allermeisten anderen Arten der Ozeane.

„Je mehr Plankton es also in einer Meeresregion gibt, umso mehr Fische schwimmen dort normalerweise“, fasst Kießling zusammen. Unruhige Zeiten in den Plankton-Lebensgemeinschaften können also leicht die Fischbestände zusammenbrechen lassen, die für die Welternährung wichtig sind.

Bereits heute werden die ersten Auswirkungen des menschlichen Einflusses sichtbar: So wandern viele Plankton-Arten vom Klimawandel getrieben in andere Regionen und können dadurch aus ihrer alten Heimat verschwinden.

Gefährdete Pflanzenwelten

Auch wenn der Klimawandel in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen dürfte, sollten auch andere Einflüsse des Menschen auf die Artenvielfalt genau beobachtet werden. Und das nicht nur beim Plankton und bei Tieren, sondern auch bei Pflanzen. Als iDiv-Forscher Alexander Zizka in Leipzig und seine Kollegen die Risiken für die auch Bromelien genannten Aufsitzer- oder Ananaspflanzen im tropischen Südamerika untersuchten, erwiesen sich 81 Prozent von ihnen meist durch Änderungen der Landnutzung als gefährdet.

Nicht viel besser geht es nach seinen Analysen 4300 von weltweit 14.000 untersuchten Orchideen-Arten: Rund 30 Prozent aller Arten sind bedroht, oft sind Veränderungen der Landnutzung wie das Roden von Wäldern für Plantagen die Ursache, aber auch illegale Ernten gefährden diese Pflanzen.

Offensichtlich kommt eine Welle des von Menschen verursachten Massenaussterbens ins Rollen. „Computer-Simulationen auf der Basis von Säugetier-Daten zeigen, dass Australien und die Karibik bereits mitten in dieser Welle stecken“, erklärt iDiv-Forscher Roberto Rozzi. Aber zum Aussterben von europäischen Waldelefanten und Mammuts, oder von Dodos, Riesen-Lemuren und Elefanten-Vögeln gibt es einen wichtigen Unterschied. Inzwischen erkennen die Forscher, wie der Mensch diese Arten einst direkt oder indirekt ausrottete. „Dieses Wissen zeigt, dass wir gegen das derzeitige Aussterben etwas machen können“, sagt Rozzi. Zum Beispiel könnte man allein durch Renaturieren von 15 Prozent der Landflächen, die heute vom Menschen genutzt werden, 60 Prozent aller vom Aussterben bedrohten Arten retten, erklären Bernardo Strassburg vom Internationalen Institut für Nachhaltigkeit in Rio de Janeiro und seine Kollegen in der Zeitschrift „Nature“.

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