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Suche nach dem Krebs. Moderne Mammographie-Geräte machen hochgenaue Aufnahmen. Damit entdeckt man mehr, was wiederum die Entscheidung über das Risiko schwieriger macht.

© dpa

Brustkrebs-Früherkennung: Der Preis des Wissens

Beim Mammographie-Screening kommt es zu Überdiagnosen und Übertherapie. Die Abhilfe ist bislang schwierig.

Rund 70 000 Frauen werden in jedem Jahr in Deutschland mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert. So niederschmetternd das ist, es folgt meist die aufbauende Information, dass heute bis zu acht von zehn Frauen von dieser Krankheit geheilt werden können.

Ein großer Fortschritt, lag doch die Heilungsrate bei diesem Krebs, der sich manchmal noch nach Jahrzehnten zurückmeldet, vor 40 Jahren nur bei rund 50 Prozent. Verbesserte Behandlungsmöglichkeiten, die Betreuung der Erkrankten in zertifizierten Brustzentren nach dem neuesten Stand der beweisgestützten („evidenzbasierten“) Medizin und größere Aufmerksamkeit für das Thema haben sicher ihren Anteil daran.

Doch welche Rolle spielt die organisierte Früherkennung von Brustkrebs, also das Mammographie-Screening, zu dem Frauen zwischen 50 und 69 alle zwei Jahre eingeladen werden? Ziel des Angebots, das hierzulande seit 2009 flächendeckend besteht, ist es schließlich, lebensbedrohliche Tumoren schon im frühen Stadium zu erkennen, wenn sie klein und die Heilungschancen groß sind. Und damit Leben zu retten.

Brustkrebs-Screening: Streitfall seit Jahrzehnten

Ob das gelingt, und um welchen Preis, darüber streiten die Forscher nun schon seit Jahrzehnten. Für die Frauen, denen eine Einladung zum Screening ins Haus flattert, stellt sich allerdings ganz praktisch alle zwei Jahre die Frage neu: Soll ich hingehen, oder soll ich es lieber bleiben lassen? Die mündige Bürgerin muss letztlich selbst entscheiden. „Informierte Teilhabe“, so heißt die Devise. Derzeit liegt die Teilnahmerate in Deutschland bei 54 Prozent.

Auch die Screening-Skeptiker um Karsten Juhl Jørgensen und Peter Gøtzsche vom Nordischen Cochrane Center in Kopenhagen geben in ihrer neuen Publikation keinen ausdrücklichen Rat. Für ihre Langzeit-Untersuchung, deren jüngste Auswertung im Fachblatt „Annals of Internal Medicine“ nachzulesen ist, nutzen die Forscher den für sie glücklichen Umstand, dass das Mammographie-Screening in den 1990er Jahren zunächst nur für jene rund 20 Prozent der Däninnen zwischen 50 und 69 Jahren verfügbar war, die in Kopenhagen oder auf der Insel Fünen lebten. Erst 2007 wurde es umfassend eingeführt, sodass langjährige Vergleiche zwischen den Regionen mit und ohne Screening-Angebot anhand von Krebs-Registern möglich sind.

Das ist wichtig, weil auch die übliche Diagnostik und die Therapie von Brustkrebs sich in diesen Jahren entscheidend verändert haben. Verbesserungen beim Überleben, die es seit Einführung der Röntgen-Reihenuntersuchung gab, gehen also auf keinen Fall allein auf dessen Konto. Allerdings besteht die plausible Hoffnung, durch das Screening die Anzahl der Tumoren zu senken, die bei ihrer Entdeckung schon groß sind, die Lymphknoten befallen und in andere Körperregionen gestreut haben. Diese Hoffnung erfüllte sich bei der dänischen Vergleichsuntersuchung nicht.

Ein kleiner Tumor: Gefährlich oder nicht?

Allerdings wurden in den Regionen, die früh mit dem Screening begonnen hatten, deutlich mehr kleine Tumoren und auf die Milchgänge der Brust beschränkte Wucherungen (Duktales Karzinom in situ, DCIS) entdeckt. Einige dieser Tumoren sind potenziell lebensgefährlich, sie früh zu entdecken und zu behandeln bewahrt die Frauen also vor einem langen Leidensweg. Andere würden auch ohne Behandlung friedlich bleiben und die Lebenserwartung der Frau nicht begrenzen. Die Diagnose Brustkrebs ist in diesen Fällen eine Überdiagnose.

Anhand der Vergleichsdaten von Frauen verschiedener Altersgruppen aus Screening- und Nicht-Screening-Regionen kommen die Autoren der Studie zu dem Schluss, dass in rund einem Drittel der Fälle, bei denen im Mammographie-Programm Brustkrebs festgestellt wurde, eine solche Überdiagnose vorlag. Das sind naturgemäß nur Ergebnisse mathematischer Modellierungen. Verlässliche Aussagen über das mögliche Schicksal jeder einzelnen Frau im Fall von Behandlung und Nicht-Behandlung lassen sich daraus nicht ableiten.

Was die Wissenschaftler berichten, ist ein offenes Geheimnis. Auch das Merkblatt der Kooperationsgemeinschaft Mammographie, das das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen entworfen hat und das der Einladung an alle anspruchsberechtigten deutschen Frauen beiliegt, bietet solche Rechnungen. Ein bis zwei von 1000 Frauen, die zehnmal der Einladung zur Screening-Mammographie folgen, werden demnach dank der Untersuchung vor dem Tod durch Brustkrebs bewahrt, fünf bis sieben Frauen, deren Tumor in der Brust niemals Beschwerden gemacht hätte, werden andererseits überdiagnostiziert und unnötig zur Patientin gemacht.

Gene könnten über das Risiko Auskunft geben

In einem Kommentar zieht Otis Brawley von der amerikanischen Krebsgesellschaft einen gewagten Vergleich zu den Tücken der Verbrechens-Fahndung. Wenn man alle kleinen Zell-Veränderungen der Brust als tödliche und aggressive Formen von Krebs betrachte, so sei das in vielerlei Hinsicht die medizinische Entsprechung zum Racial Profiling, der Orientierung an Aussehen und ethnischer Zugehörigkeit bei der Suche nach Tätern. Sind Vorverdächtigungen dieser Art der unvermeidliche Preis für ein gewissenhaftes Screening? Einen Ausweg sieht Brawley für die Zukunft im genomischen Profiling, bei dem über die Notwendigkeit der Behandlung anhand genetischer Merkmale des Tumors entschieden wird. Auch persönliche Risikofaktoren und das Alter könnten dafür eine Rolle spielen.

„Wir entdecken oft Vorstufen von Krebs, die eine 70-Jährige Jahrzehnte später mit ins Grab nehmen würde, nachdem sie an einer anderen Krankheit gestorben ist“, sagt Michael Untch, Brustkrebsspezialist am Helios-Klinikum in Berlin-Buch. „Solange wir nichts Besseres in der Hand haben, müssen wir alle Frauen behandeln.“

Wenn auch nicht immer mit dem vollen Programm. In der überarbeiteten wissenschaftlichen Behandlungsempfehlung (Leitlinie) zu Brustkrebs, die noch in diesem Monat erscheinen soll, werde bei einem DCIS nicht mehr zur routinemäßigen Strahlentherapie geraten. In einer Stellungnahme der Kooperationsgemeinschaft Mammographie zum Forschungsbedarf wird das Thema Übertherapie an erster Stelle genannt. „Wir brauchen dringend Methoden, mit denen wir erkennen, wie gefährlich und behandlungsbedürftig vor allem kleine Tumore und solche in den Milchgängen der Brust wirklich sind“, sagt auch Untch. Nur wenn man dafür Kriterien habe, könne man im Einzelfall auch ganz auf eine Therapie verzichten – und regelmäßig kontrollieren.

Wir müssten uns dafür an den Gedanken gewöhnen, möglichst unaufgeregt mit dem Wissen um einen auffälligen Befund zu leben. Früherkennung hat ihren Preis.

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