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Das Beispiel Korea: Milliardenindustrie Nachhilfe

Beim Pisa-Sieger Korea müssen drei Stunden Schlaf für Kinder oft reichen - sonst schaffen sie ihre privaten Nachhilfestunden nicht. Was das asiatische Beispiel lehrt

Ein Hauch von asiatischer tiger mum weht durch den Einstein-Saal der Berliner Akademie der Wissenschaften, als Jai Ok Shim vom Ehrgeiz koreanischer Eltern erzählt. „Sie stecken ihr Kind in sein Zimmer, stehen in der Tür und beobachten, ob es auch wirklich lernt. Sie treiben es zu Höchstleistungen an, drei Stunden Schlaf müssen oft reichen.“ Viele Mütter gehen nicht arbeiten, berichtet Bildungsexpertin Shim, sie arbeiten für die Zukunft ihres Kindes, spinnen ein Netz aus Informationen und Beziehungen, um Tochter oder Sohn auf einer Topuni des Landes unterzubringen.

Den deutschen Schulexperten, die am Dienstagabend auf Einladung des Bundesbildungsministeriums und der Vodafone-Stiftung über „Bildungsgerechtigkeit“ diskutieren, stockt der Atem. Wie weit scheint Deutschland von diesen Zuständen entfernt, wie weit sind 15-Jährige hierzulande aber auch entfernt von den brillanten Pisa-Ergebnissen der koreanischen Schüler. Doch Shim, die US-amerikanisch-koreanische Bildungszusammenarbeit koordiniert, warnt davor, koreanische Schülerleistungen mit koreanischen Mitteln zu erreichen. Sie hält das Zwangsregime der Eltern für inhuman und verdammt auch das System der nachmittäglichen Nachhilfeschulen, das sich neben den staatlichen Schulen etabliert hat. Korea habe es versäumt diese „Schattenbildungsindustrie“ zu kontrollieren, 75 Prozent aller Schüler besuchten landesweit 80 000 Paukschulen. Koreas Eltern investierten jährlich 20 Milliarden US-Dollar in das private System – während die staatlichen Schulen verkümmerten. Dort verschliefen die Kinder den Unterricht, das Selbstbewusstsein der schlecht bezahlten Lehrer sei wegen der effektiveren Konkurrenz am Boden.

„Bevor die Schattenwirtschaft auch in Europa explodiert, sollten Sie staatliche Lehrer besser ausbilden und besser bezahlen“, appelliert Shim – und empfiehlt ganz ohne Augenzwinkern, Druck auf die Lehrer zu machen: verpflichtende Weiterbildung, durch Tests sicherstellen, dass sie auch gefruchtet hat, ansonsten weitere Schulungen.

Zackig klingt es auch, wenn Bundesbildungsministerin Annette Schavan „Rekrutierung, Lehrerbildung und Weiterbildung“ zu Schlüsselthemen der Bildungspolitik erklärt. Zentrales Ziel ihrer Politik sei es, „die Besten eines Abiturjahrgangs zu ermutigen, Lehrer zu werden“. Die Bildungsrepublik brauche Bildungshunger und Bildungsbegeisterung. Erreichen will Schavan das durch „Bildungsbündnisse vor Ort“, die private Akteure in die Schulen holen sollen. „Lokale Verantwortungsgemeinschaften“ sollten bessere Zugänge zu Bildung und mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen, sagt Schavan. Da klingt an, dass es ein Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen. Aber in Schavans Dorf sind diese Hilfen für Familien nicht gratis zu haben.

Einig ist man sich an der Akademie jedenfalls, dass die Gesellschaft es nicht der Schule allein aufbürden darf, soziale Gerechtigkeit herzustellen. „Die Schule kann nicht wirklich unterschiedliche familiäre Hintergründe ausgleichen“, sagt der britische Bildungsforscher John Goldthorpe (Oxford). „Da sind andere politische Instrumente gefragt, die aber viel mehr kosten als Bildungsreformen.“ Auch der deutsche Pisa-Papst Jürgen Baumert konstatiert, dass „die Vererbung sozialer Ungleichheit eines der stabilsten Muster in jeder Gesellschaft“ ist. Gleichwohl sei Deutschland nach den Ergebnissen von Pisa 2009 auf dem Weg, den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Schulleistungen deutlich abzuschwächen. Und das, obwohl sozial Schwache nicht gezielt gefördert werden. Vielmehr habe die Schule schlicht erkannt, dass sie Schüler mit schwachen Leistungen fördern müsse. „Das ist die Aufgabe von Schule, da braucht man keine sozialen Programme!“, ruft Baumert in den Saal.

Und das asiatische Pauksystem? Das will niemand, da kann Jai Ok Shim beruhigt sein. Aber mehr Zeit zum Lernen bräuchten die deutschen Schüler schon, sagt Baumert: In Kitas, die von allen Erzieherinnen als Bildungseinrichtungen gesehen werden, in Ganztagsschulen, in denen das Lernen auch in den Nachmittag hineinreicht.

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