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Das große Schrumpfen vor Grönland: Im hohen Norden geraten die Wale unter Druck

Eine neue Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Klimawandel die Lebensräume der Wale im Nordpolarmeer verkleinern wird. Durch schmelzendes Eis entstehen weitere Probleme.



Spritzt vor den Küsten Grönlands eine Wasserfontäne aus den Wellen, bläst dort gerade ein Wal verbrauchte Luft nach oben. Die riesigen und oft steinalten Grönlandwale, die Narwale mit ihren markanten Stoßzähnen und die Weißwale mit ihrer auffallend hellen Haut sind perfekt an das Leben in den eisigen Gewässern des hohen Nordens angepasst – und bekommen daher ähnlich wie die Eisbären auf dem Meereis erhebliche Probleme dadurch, dass der Klimawandel die Nordpolarregion aufheizt.

Bis zum Jahr 2100 dürften diese Arten einige Hundert Kilometer weiter im Norden heimisch sein als heute, schätzen Philippine Chambault vom staatlichen Umweltforschungsinstitut Grönlands in Nuuk, sowie der Universität von Kalifornien in Santa Cruz und ihr Team. Nach ihrer aktuell in der Zeitschrift Science Advances erschienenen Studie dürfte der Lebensraum der Wale in der Arktis im Sommer um durchschnittlich 25 Prozent schrumpfen.

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Auch wenn diese Schätzungen noch recht grob und daher relativ unsicher sind, zeigen sie doch eine klare Tendenz: Die Wale-Populationen im hohen Norden stehen stark unter Druck. Grundlage dieser Kalkulation waren Datensätze von 29 Weißwalen, 71 Grönlandwalen und 129 Narwalen, die in den Jahren 1993 bis 2020 mit einem kleinen Gerät ausgestattet durch die Gewässer rund um Grönland schwammen. 

Die Mini-Apparate verrieten die Aufenthaltsorte des jeweiligen Tieres und damit auch seine Wanderrouten. Diese Bewegungsdaten verglich Philippine Chambault mit den Werten, die Klimamodelle für den Zustand der Meeresregionen im hohen Norden im Jahr 2100 ausspuckten.

Im Sommer dürften die Wale rund 240 Kilometer nach Norden ziehen

Wo könnten die Wale dann ähnliche Wassertemperaturen an der Oberfläche, einen ähnlichen Salzgehalt und andere Eigenschaften finden, die sie in den vergangenen drei Jahrzehnten gewöhnt waren? Wie groß könnte also ihr Lebensraum sein, nachdem der Klimawandel die Verhältnisse in den Polargebieten verändert hat? Im Sommer sollten die drei Wal-Arten demnach rund 243 Kilometer weiter im Norden schwimmen als heute. Und auch im Winter läge der Lebensraum etwa 121 Kilometer näher am Pol. Allerdings wirkt sich nicht nur der Klimawandel in den einzelnen Gebieten unterschiedlich stark aus, sondern reagieren auch die verschiedenen Wal-Arten unterschiedlich stark auf solche Einflüsse. So leben die oft auch „Beluga“ genannten Weißwale derzeit vor allem entlang der Küsten im Norden und Süden der riesigen kanadischen Baffininsel, die vor dem nordamerikanischen Festland und der Hudson-Bay liegt.

Sollte die Menschheit es schaffen, den Temperaturanstieg auf der Erde auf weniger als zwei Grad zu begrenzen, würden die Heimat der Belugas bis 2100 dennoch deutlich nach Norden wandern und die Tiere würden mit 71 Prozent fast drei Viertel ihres Lebensraums im Sommer verlieren. Nutzt die Menschheit dagegen weiter riesige Mengen von Kohle, Erdöl und Erdgas, berechnet die Studie sogar einen Schwund von 88 Prozent der Weißwal-Sommer-Gewässer.

So dramatisch diese Zahlen klingen, in der Realität könnte es noch schlimmer kommen. So leben die Belugas in vielen Gruppen, von denen jede im Sommer meist genau in dem Gebiet schwimmt, in dem sie bereits in den Vorjahren den August und September verbrachte. Was aber passiert, wenn es den Tieren in dieser traditionellen Heimat zu warm wird und sie vielleicht auch nicht mehr genug zum Fressen finden? Harren sie vielleicht bis zu ihrem Ende dort aus? Oder wagen vielleicht einige Tiere den Wechsel in einen neuen Lebensraum mit besseren Bedingungen? Wie viele Belugas würden diesen Pionieren folgen? Möglicherweise gibt die Waljagd einen Hinweis auf das Verhalten der Weißwale im Klimawandel: Vor Spitzbergen wurde die Art praktisch ausgerottet und ist bis heute nicht zurückgekehrt.

Bis 2100 könnten 28 Prozent der Sommergebiete verschwinden

Für die Grönlandwale, die in der Nähe der Küsten der Baffininsel, an der Küste im Nordosten Grönlands und nördlich von Spitzbergen bis hinüber nach Franz-Josef-Land an der Packeisgrenze leben, ermitteln Philippine Chambault und ihr Team ebenfalls deutliche Verluste: Bis zum Jahr 2100 könnten 28 Prozent ihrer Sommergebiete verschwinden, wenn das Zwei-Grad-Klimaziel eingehalten wird. Wenn nicht, könnten die Verluste sogar bei 68 Prozent liegen.

Einen Schwund in ähnlicher Größe weist die Studie mit 31 Prozent beim Erreichen des Zwei-Grad-Ziele und 66 Prozent beim Überschreiten dieser Marke auch für die Narwale aus. Zumindest für die Gruppen, die an den Küsten im Norden der Baffinsel leben. Für die gleiche Art könnte der Klimawandel an der Ostküste Grönlands dagegen eine deutliche Verbesserung bringen. Beim Einhalten des Zwei-Grad-Ziels könnten die Tiere 85 Prozent mehr Lebensraum finden, beim Reißen dieser Marke wären es sogar 105 Prozent.

Allerdings geben Philippine Chambault und ihr Team bei dieser Art zu bedenken, dass sie besonders empfindlich auf den Klimawandel reagiert. Schließlich leben Narwale meist in der Nähe von Meereis, das bis 2060 zumindest im Sommer weitgehend aus dem Nordpolarmeer verschwunden sein dürfte. Obendrein bleiben die Narwale ähnlich wie die Belugas ihrem Standort normalerweise treu. Niemand weiß daher, ob die Einhörner unter den Walen tatsächlich den Sprung ins Nordpolarmeer wagen. Dort ist das Wasser immerhin recht tief, was den üblicherweise mehr als 300 Meter unter den Wellen nach ihrer Beute jagenden Narwalen ja durchaus entgegenkäme.

Schwachpunkt der Studie: Lebensraum in der Tiefsee

In diesem Zusammenhang weisen Philippine Chambault und ihr Team auf einen Schwachpunkt ihrer Studie hin, in der sie vor allem die Oberflächentemperatur des Wassers berücksichtigen. Narwale aber jagen meist in der Tiefe – und verbringen dort einen entscheidenden Teil ihres Lebens. Die Verhältnisse in der Tiefe aber haben die Forschenden kaum berücksichtigt, weil darüber nur sehr wenig bekannt ist. Auch weiß die Forschung über die Tauchtiefe und damit über die Jagdgründe der Grönland- und Weißwale nur sehr wenig. Diese Arten könnten in Zukunft daher mehr Probleme bekommen, als es die Computersimulationen vermuten lassen.

Neben dem Klimawandel dürften in Zukunft noch weitere Probleme die Situation der Wale in der Arktis verschlechtern. Schmilzt das Eis, wird im hohen Norden wohl mehr nach Bodenschätzen gesucht. Damit würden auch mehr Schiffe durch diese Region fahren, was die Umweltverschmutzung vergrößert und vor allem mehr Lärm erzeugt. Das aber könnte die empfindlichen Hörorgane der Wal stören, auf die sie oft besonders stark angewiesen sind. Die Zukunft von Grönlandwalen und Narwalen, sowie den Belugas könnte also noch deutlich düsterer aussehen.

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