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Hängt den Preußenkönig. Im Lichthof des Museums hing der Abguss des Reiterstandbilds von Kaiser Wilhelm I. an einem Fesselballon in der Luft. Die Ausstellungsmacher wollten ihm so seine dynastische Schwere nehmen.

©  Margarete Nissen

Eine epochemachende Ausstellung: Das Janusgesicht Preußens - exponiert

Geschichtsschreibungsgeschichte - und Land und Leute statt Glanz und Gloria: Die große Preußen-Schau in Berlin vor 40 Jahren markierte einen Wendepunkt.

Gegen Ende der 1970er Jahre hatte sich das lange Zeit von der SPD regierte West-Berlin herausgeputzt. 1978 beschloss man die Instandsetzung und „Wiedergewinnung“ des innerstädtischen Altbaukerns der geteilten Stadt im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA).

Bis zur 750-Jahr-Feier im Jahr 1987 sollte der „Zentrale Bereich West“ in neuem Glanz erstrahlen. Fast beiläufig hatte der Regierende Bürgermeister Dietrich Stobbe im Juni 1977 eine Ausstellung über Preußen angekündigt. Vorbild sollte die zu diesem Zeitpunkt in Stuttgart gezeigte Ausstellung „Zeit der Staufer“ sein, deren Erfolg man in West-Berlin nacheifern wollte.

Die Ausstellung sollte das ehemalige Kunstgewerbemuseum – im Zweiten Weltkrieg schwer in Mitleidenschaft gezogen und seitdem baufällig – nach umfangreichen Renovierungsarbeiten wiederbeleben.

"Versuch einer Bilanz"

Mit der Planung waren die Berliner Festspiele – die gerade ihr 70-jähriges Bestehen feiern – unter ihrem Geschäftsführer Ulrich Eckhardt beauftragt worden. Veranschlagt hatte der Senat dafür 13 Millionen DM.

1981 – 280 Jahre nach der Krönung des Kurfürsten Friedrich III. zum König in Preußen und 100 Jahre nach Einweihung des Martin-Gropius-Baus – präsentierte sich die Ausstellung dem Publikum. Der Eingang musste an die Seite verlegt werden, versperrte doch die Berliner Mauer den Zugang zum Hauptportal. Eröffnen konnte Stobbe die Ausstellung 1981 dann nicht mehr, denn bei vorgezogenen Neuwahlen war der Christdemokrat Richard von Weizsäcker zu dessen Amtsnachfolger gewählt worden.

„Versuch einer Bilanz“: Defensiver und zugleich entschlossener konnte man den Titel einer Ausstellung nicht wählen. Mit einer Exposition versuchte man einen Staat, seine Habenseite ebenso wie dessen Schulden zu bilanzieren, letztlich seinen Wert zu ermitteln. Zugleich sollte es nur der keineswegs abschließende Versuch dieses Summenspiels sein. Es galt, die über 300-jährige Geschichte Preußens in all seinen Facetten, mit seinen Widersprüchen und Brüchen abzubilden.

Aus der Tiefe des historischen Raumes

Nicht eine Herrschaftsgeschichte der Hohenzollernmonarchie hatten die Ausstellungsmacherinnen und -macher im Sinn, sondern eine Kultur- und Sozialgeschichte des Staates, der wie kein anderer für Kontinuitäten, Brüche und Ambivalenzen in der deutschen Geschichte stand. Man wollte Preußens Janusgesicht in all seinen Facetten ausbrechen – den absolutistischen Stände- und Obrigkeitsstaat ebenso wie religiöse Freiheiten, Aufklärungsgedanken und die zahlreichen Reformen.

Die Ausstellungsmacherinnen und -macher verfolgten keineswegs den Anspruch historischer Vollständigkeit, ebenso wenig war ihnen an einer bloßen chronologisch-ereignisgeschichtlichen Abfolge gelegen. Vielmehr sollten thematische Schwerpunkte gesetzt werden. Mit variierenden Raumdesigns und ungewöhnlichen Arrangements sollten die Besucherinnen und Besucher stets aufs Neue herausgefordert werden.

So ging die Ausgestaltung der Exposition neue Wege. Das bis dahin gültige 2D-Dogma älterer Ausstellungen lehnten die Macherinnen und -macher der Preußen-Ausstellung ab. Besonders war daher die räumliche Inszenierung der Originale und ihre ensemblehafte Zusammenstellung. Das Arrangement der Objekte sollte die Sinne der Besucherinnen und Besucher anregen. Über den Weg der ironischen Brechung der Ausstellungsstücke versuchte man, dem Verdacht der Apologetik zu entgehen, hatte das bei einem Thema wie Preußen doch fatale Auswirkungen zeitigen können.

Hoher Hohenzoller, oder: Majestät belieben zu schweben

So brachte man Kaiser Wilhelm I., den Reichsgründer, zum Schweben: Der Abguss des Kölner Reiterstandbilds hing im Lichthof des Gropius-Baus an einem Fesselballon sprichwörtlich in der Luft und verlor so seine dynastische Schwere. An anderer Stelle arrangierte man einen Kanzelaltar aus dem 18. Jahrhundert zusammen mit einem Kirchenbänken nachempfundenen Holzgestell. Sichtachsen sollten zudem Perspektiven und Zusammenhänge erkennbar werden lassen. Im Lichthof präsentierten sich Dampfmaschinen und Riesenkanonen. Der Blick aus dem Fenster eröffnete die Sicht auf ein Roggenfeld. Preußen war ein Agrarstaat gewesen, der sich zum Industriegiganten mit Großmachtambitionen entwickeln sollte.

Doch konnte schon die schiere Zahl der Ausstellungsstücke erschlagen. In 33 Räumen wurden schließlich etwa 2500 Exponate unzähliger öffentlicher und privater Leihgeber – Museen, Archive, Bibliotheken, Sammlungen –, darunter der 1785 geschlossene und förmlich nie geschlossene Freundschafts- und Handelsvertrag zwischen dem König von Preußen und den Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch die damals im Besitz von Louis Ferdinand Prinz von Preußen, dem Großvater des derzeitigen Familienoberhauptes Georg Friedrich, befindliche Querflöte Friedrichs des Großen oder ein von Bundeskanzler Helmut Schmidt stammendes Porträt August Bebels.

Kritik von allen Seiten

Erdacht hatten dies der Architekt Jan Fiebelkorn sowie die Gestalter Gottfried Engels und Jürg Steiner. Mit der wissenschaftlichen Leitung war der Historiker Manfred Schlenke beauftragt worden. Wichtigster Mann hinter Schlenke war der zum Generalsekretär berufene Kulturwissenschaftler Gottfried Korff, der mit seinem Diktum, statt Preußens „Glanz und Gloria“ lieber „Land und Leute“ in den Mittelpunkt stellen zu wollen, der Ausstellung sein Gepräge geben sollte.

Ungeachtet dessen bekundete der Doyen der deutschen Sozialgeschichte Hans-Ulrich Wehler mit kritischem Ton: „Preußen ist wieder chic.“ Mit dem Preußen-Hype flüchte sich die westdeutsche Gesellschaft vor der tristen Realität. Wehler fürchtete ob der Präsentation Preußens im „Goldrähmchen“ eine Nostalgiewelle.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums echauffierte sich der konservative Preußen-Historiker Hans-Joachim Schoeps schon 1978 über die geplante Ausstellung, die der Nicht-Berliner Stobbe nur ankündigte, „weil die Stuttgarter mit den Staufern so gute Geschäfte gemacht“ hätten. Die Eröffnung erlebte Schoeps nicht mehr: Er starb 1980.

„Preußen“ bot nicht lediglich Gelegenheit zu einer nostalgischen Welle, dafür war die Schau zu sehr politisch aufgeladen. Sahen die einen die Ausstellung als Ausdruck einer Sehnsucht nach einer großartigen Vergangenheit, die einer demokratischen Selbstverortung im Wege stehen könne, kritisierten die anderen, dass der „Versuch einer Bilanz“ scheitern musste, weil er den Zweck einer nationalen Identitätsstiftung unterlief. So bildete das Preußen-Jahr 1981 auch den Scheidepunkt einer seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre sich vollziehenden identitätspolitischen „Tendenzwende“ in der Bundesrepublik.

Geschichte präsentiert - und Geschichte, wie sie passiert

Nachdem bereits die erwähnte Ausstellung über die Dynastie der Staufer (1977) und wenig später der Wittelsbacher (1980) die Massen angezogen hatten, besuchten nahezu eine halbe Million Menschen die Preußen-Ausstellung. Da war er, der „Geschichtsboom“ der 1980er Jahre, mit dem der „geschichtslosen“ Bundesrepublik ein wenig Nationalgeschichtsschreibung eingehaucht werden sollte. Denn es waren durchaus unsichere und turbulente Zeiten, in denen „Preußens Gloria“ fröhliche Urständ feierte: Der in den „Deutschen Herbst“ 1977 gipfelnde Terrorismus der RAF und die Reaktion des westdeutschen Staates darauf, aber auch das „braune Terrorjahr“ (Andrea Röpke) 1980 mit 18 Toten, prägten die „verunsicherte Republik“ (Kurt Sontheimer). Die Ölkrise von 1973 veränderte nachhaltig die Weltwirtschaft. Der Kalte Krieg nahm im NATO-Doppelbeschluss von 1979 und der Debatte um die Stationierung von Atomraketen Anfang der 1980er Jahre einen gefährlichen Verlauf. Und die Bundesregierung setzte immer mehr auf Kernkraft. So entstand aus Anti-AKW- und Friedensbewegung die Partei Die Grünen.

Gleichzeitig war das Land (und West-Berlin) so provinziell und morbide, dass es heute von manchen als „BRD noir“ (Philipp Felsch/Frank Witzel) erinnert wird. Die sich in Wellen wiederholende „Rückbesinnung auf preußisches Wesen, preußische Tugenden und eine preußische Kultur des Politischen“ diente der Verknüpfung einer unsicheren Gegenwart mit einer glorreichen Vergangenheit, wie zeitgenössisch der Politikwissenschaftler Martin Greiffenhagen beobachtete.

Berlin, Bonn, Berlin

Die Preußen-Ausstellung war also nicht nur mit Exponaten überfrachtet, sie hatte auch ein gehöriges geschichtspolitisches Gepäck zu schultern.

In der DDR wiederum, wo das geografische Kernland des alten Preußen lag, fahndete man im Zuge der Erbe-und-Tradition-Konzeption ebenso nach den preußischen Wurzeln der „sozialistischen Nation“, was sich in dem Wiederaufstellen des Reiterstandbildes des preußischen Königs 1980 Unter den Linden ausdrückte. Die West-Berliner Ausstellung sah man angesichts der auch auf kultur- und geschichtspolitischem Terrain ausgefochtenen Systemkonkurrenz mit Argwohn, zumal man es versäumt hatte, mit einer eigenen Schau aufzuwarten. Zum für 1987 geplanten Stadtjubiläum wollte man besser vorbereitet sein.

In der Bundesrepublik schien die Zeit reif für ein Museum der deutschen Geschichte. 1982 verkündete der neue Bundeskanzler Helmut Kohl eine „geistig-moralische Wende“ und griff die von Bundespräsident Walter Scheel eingebrachte Idee der Gründung eines Hauses der deutschen Geschichte in Bonn wieder auf. Fünf Jahre später wurde aus Anlass der 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin der Aufbau des Deutschen Historischen Museums durch Bundesregierung und Senat beschlossen. Dieses sollte im Gropius-Bau sein Domizil finden, doch dazu kam es nicht mehr. Nach dem Mauerfall und noch vor der Wiedervereinigung wurde das im Ost-Berliner Zeughaus angesiedelte Museum für deutsche Geschichte im September 1990 durch die DDR-Regierung an den Direktor des DHM übergeben.

Heute wäre es an der Zeit, die Bonner Republik der 1980er Jahre und ihre West-Berliner Enklave einer Historisierung zu unterziehen. Die Entstehungsgeschichte der Preußen-Ausstellung mag eine Möglichkeit sein, sich einerseits diesem fernen Land noch einmal anzunähern, andererseits aber auch aktuelle gefährlich-romantisierende Geschichtsdeutungen zu hinterfragen.

Der Autor ist Doktorand an der Universität Hamburg. Er ist Herausgeber eines Themenschwerpunkts zur Erinnerungs- und Rezeptionsgeschichte Preußens und des Kaiserreichs, der auf dem Portal zeitgeschichte-online.de erscheint. Das Portal des Potsdamer Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) wird von Wissenschaftler:innen des ZZF und der Humboldt-Universität betreut.

Yves Müller

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