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Miniatur-Roboter auf einer Computertaste mit der Aufschrift ChatGPT.

© action press/Christian Ohde

Den Einsatz von ChatGPT richtig erkennen: Mehr Zeit zum Lesen studentischer Arbeiten

Die Berliner Plagiatsexpertin Debora Weber-Wulff, Informatik-Professorin an der HTW, erklärt, was jetzt im Umgang mit dem „Papageien“-System an Hochschulen ansteht.

Ein Gastbeitrag von Debora Weber-Wulff

Meine Güte, was für ein Aufruhr! Manche loben die geistreich erscheinenden Texte, die durch ChatGPT produziert werden. Andere zittern vor Angst, solche Fabrikate nicht erkennen zu können. Weitere wollen unbedingt Zauberprogramme haben, die treffsicher unterscheiden, was vom Menschen und was von der Maschine stammt.

Gerade im Bildungsbereich, an Schulen und Universitäten, stellt man fest, dass etwas getan werden muss. Aber was?

AI-Textgeneratoren werden in der Literatur auch „stochastische Papageien“ genannt, weil sie mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten und nachplappern, was sie als Input vorgesetzt bekommen haben. Es wird behauptet, die Verwendung von Texten, die von so einem System erstellt wurden, seien Plagiate.

Ein Drittel der Studierenden in den USA setzt ChatGPT ein

Unsinn! Ein Plagiat kann man ganz einfach nachweisen, wenn man Quelle und Plagiat nebeneinander legt. Wie soll man nachweisen, dass ein Text von einem Papagei stammt? Auch hier kann man nur Wahrscheinlichkeiten ausrechnen.

Es wirkt gut, wenn ein System behauptet, mit 99 Prozent der Wahrscheinlichkeit einen Papageientext zu erkennen. Aber was ist mit dem einen Prozent, den Falschpositiven? Meine Hochschule, die HTW Berlin, hat etwa 14.000 Studierende. Wenn es nur einen Aufsatz pro Jahr pro Studierenden gäbe (was viel zu wenig ist), dann wären das 140 falsche Beschuldigungen im Jahr. 140 Mal glaubt ein Algorithmus fälschlicherweise, dass der Text von einer Maschine stammt, nicht von einem Mensch.

Es ist der falsche Weg, einem Algorithmus Verantwortung zu übertragen, genauso falsch wie einen Algorithmus einzusetzen, um Aufsätze zu schreiben – was allerdings längst getan wird! Eine kleine Umfrage in den USA aus dem Januar 2023 stellte fest, dass fast ein Drittel der Studierenden zugaben, bereits ChatGPT für ihre schriftliche Arbeiten eingesetzt zu haben.

140
falsche Beschuldigungen im Jahr drohen an der HTW, wenn allein Software zur KI-Suche eingesetzt wird

Wir sollten uns nicht täuschen: Auch wenn das Wissen über die Einreichung von generierten Texten sich nicht bis zu den Hochschulleitungen herumgesprochen hat, es passiert schon. Wie es ja auch Texte von Ghostwritern gibt und viele andere Methoden des Contract Cheatings (Herkunftstäuschung), die seit über 15 Jahren im angelsächsischen Raum intensiv erforscht werden. In Deutschland nehmen wir diesen Markt einfach nicht wahr. Googeln Sie doch einmal „Aufsatz schreiben lassen“!

ChatGPT ist ein Chatbot, der mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) auf Kommando beispielsweise Aufsätze, Gedichte und Briefe verfassst.
ChatGPT ist ein Chatbot, der mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) auf Kommando beispielsweise Aufsätze, Gedichte und Briefe verfassst.

© dpa / Karl-Josef Hildenbrand

Eine Gruppe meiner Studierenden hat auch ChatGPT bei einer Abgabe verwendet. Sie haben das System benutzt, um Quiz-Fragen für eine E-Learning-Einheit zu generieren. Und sie haben das klar und offen dokumentiert. Lernziel war es, eine Lerneinheit zu strukturieren, nicht Quiz-Fragen zu erstellen. So eine Nutzung ist völlig in Ordnung!

Auch wenn die Antworten von ChatGPT menschlich wirken, sie sind es nicht. Die Wörter sind gewürfelt, nicht mit Absicht gewählt.

Debora Weber-Wulff, Informatikerin und Plagiatsexpertin

Wir müssen ChatGPT in die Lehre einbinden, aber aufhören, das System zu anthropomorphisieren. Auch wenn die Antworten menschlich wirken, sie sind es nicht. Die Wörter sind gewürfelt, nicht mit Absicht gewählt. Das bedeutet, dass wir uns viel intensiver mit der Textgenerierung in der Bildung auseinandersetzen müssen. Wie wird Struktur aufgebaut? Wie Kreativität in Sprache gegossen? Zu welchem Zweck schreiben Ingenieur:innen Texte?

Um einen ChatGPT-Text zu erkennen, muss man den Text genau lesen und vor allem den Literaturhinweisen nachgehen. Gibt es den zitierten Aufsatz überhaupt, auch wenn es das Journal gibt? Ich habe mich vor ein paar Tagen mit dem Papagei über Plagiate unterhalten und bat um Referenzen. Ich bekam fünf Aufsätze, die ich nicht kannte. Alle fünf existieren nicht.

Als ich darauf hinwies, dass der erste nicht korrekt war, bekam ich noch eine Literaturangabe mit denselben Autoren, aber einem anderen Titel und Journal. Und nach dem Hinweis auf die abermalige Nichtexistenz wird mir nach einer Entschuldigung noch einmal eine erfundene Referenz gegeben.

Findet man beim Lesen solche erfundenen Referenzen, ist ein mündliches Gespräch mit dem Studierenden notwendig. Man bittet darum, diese spannende Quelle doch vorzuzeigen! Das kostet allerdings enorm viel Zeit. Und die haben wir nicht. Viele Studierende, wenig Mittelbau und Professoren. Wir brauchen Zeit, um Texte zu lesen und darüber zu diskutieren, keine Papageienerkennungssysteme.

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