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Wissen: Der Bauch bin ich

Holtzbrinck-Preis: Diskussion zu Logik und Gefühl

Wir schreiben das Jahr 1974. Die Firma Atari Computer im boomenden Silicon Valley sucht Mitarbeiter. Als sich der 18-Jährige beim Atari-Personalchef vorstellt, ist der zunächst versucht, die Polizei zu rufen. Denn der Bursche ist abgerissen, ungepflegt und barfuß. Er riecht schlecht. Aber der Personalchef entscheidet sich anders. Er stellt den Hippie ein.

Der Name des jungen Mannes: Steve Jobs, heute milliardenschwerer Boss der Computerfirma Apple. In seinem Buch „Intuition“ zitiert der „Spiegel“-Redakteur Gerald Traufetter diese Geschichte, weil sie zeigt, wie wichtig der Instinkt für unsere Entscheidungen ist. Und nicht nur die Vernunft.

Traufetters Buch ist Teil eines Trends. Der Max-Planck-Forscher Gerd Gigerenzer veröffentlichte vor kurzem ein Traktat über „Bauchentscheidungen“, der Tagesspiegel-Autor Bas Kast schrieb darüber, „Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft“.

Man erlebe einen „Herbst des gefühligen Denkens“, stellte Andreas Sentker von der Wochenzeitung „Die Zeit“ in Berlin fest. Sentker moderierte eine Podiumsdiskussion aus Anlass der Verleihung des Georg-von-Holtzbrinck-Preises für Wissenschaftsjournalismus an Christian Schwägerl („Frankfurter Allgemeine“) und die freie Hörfunkjournalistin Kristin Raabe. Thema der Diskussion am Dienstag im Senatssaal der Humboldt-Uni: „Über die Logik des Gefühls.“

Wer bei Begriffen wie „Bauch“ oder „Intuition“ eher an Esoterik als an Wissenschaft denkt, wurde eines Besseren belehrt. Eine neue Generation von Forschern hat dem Glauben abgeschworen, dass der Mensch ein von kühler Rationalität geleitetes Wesen sei, dessen Gehirn einem Supercomputer gleicht. Hatte René Descartes am Beginn der Aufklärung selbstbewusst formuliert: „Ich denke, also bin ich“, heißt es nun: „Ich fühle, also bin ich.“

Die Abwandlung stammt von dem amerikanisch-portugiesischen Hirnforscher Antonio Damasio, Übervater der neuen „Bauchdenker“. „Damasio hat entdeckt, dass jede unserer Entscheidungen mit Gefühlen verknüpft ist“, sagte der Buchautor Gerald Traufetter bei der Diskussion.

Damasios Lieblingsbeispiel ist Phineas Gage. 1848 bohrt sich bei Sprengarbeiten eine Eisenstange durch das Gehirn des Vorarbeiters. Gage überlebt die schwere Verletzung, ist aber danach ein anderer. Während Wahrnehmung, Sprache, Gedächtnis, Intelligenz und motorische Fähigkeiten intakt sind, ist sein Gefühlsleben tief gestört. Ebenso wie seine Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen.

„Gage war entscheidungskrank“, erläuterte Traufetter. „Genau die Region, in der im Gehirn Verstand und Gefühl zusammengeführt werden, war zerstört.“

Auch für das Entstehen von Erinnerungen sind Emotionen wichtig. Kein Gedächtnis ohne Gefühl. „Wir behalten nur das im Kopf, was emotionalen Wert hat“, sagte der Sozialpsychologe Harald Welzer von der Uni Witten/Herdecke.

Welzer hat erforscht, wie in Familien über die Nazizeit gesprochen wird. Offizielles Geschichtsbild und Wahrnehmung der eigenen Familienangehörigen klaffen weit auseinander: „Opa war immer gut“, lautet das emotional geprägte Urteil. Hartmut Wewetzer

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