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Paul Crutzen, Nobelpreisträger für Chemie von 1996, ist im Alter von 87 Jahren gestorben.

© Mike Wolff HF/tsp

Der Entdecker des Ozonlochs: Paul Crutzen im Alter von 87 Jahren gestorben

Er bekam für seine größte Entdeckung sogar den Nobelpreis. Er erforschte außerdem den „nuklearen Winter“ und gilt als „Vater des Anthropozän“.

Der Mensch prägt den Planeten Erde wie keine Spezies vor ihm. Durch den Ausstoß von Treibhausgasen befeuert er die Erderwärmung und formt mit Megacities, Straßen, Staudämmen und  Landwirtschaft die Oberfläche in erheblichem Ausmaß. Nicht wenige meinen, dass die gegenwärtige Epoche der Erdgeschichte nicht länger als Holozän bezeichnet werden soll, sondern nach der Menschheit, nach uns zu benennen ist: Anthropozän.

Dieser Gedanke ist untrennbar mit Paul Crutzen verknüpft. Er hatte die Umbenennung im Jahr 2000 vorgeschlagen und mit seinen Argumenten eine heftige Debatte angestoßen, zunächst in der Wissenschaft, bald darauf auch in Kunst, Kultur und Gesellschaft. Crutzen nahm noch lange daran teil. Als Chemie-Nobelpreisträger und langjähriger Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz (1980 bis 2000) hatte sein Wort Gewicht.

Am Donnerstag Nachmittag ist er nun nach langer Krankheit im Alter von 87 Jahren in einem Mainzer Krankenhaus gestorben.

„Es tut richtig weh“, sagt Reinhold Leinfelder, Leiter der AG Geobiologie und Anthropozänforschung an der Freien Universität Berlin dem Tagesspiegel. Er kannte Crutzen aus der Anthropozän-Arbeitsgruppe, die wissenschaftlich klären soll, was für und gegen diese Umbenennung spricht und ab wann sie gelten soll. „Er war ein Großer“, sagt Leinfelder und erinnert an die vielen Beiträge zur Erdsystemforschung. „Und er war wirklich ein Netter, keine Spur von Arroganz – und Leute mitreißen, das konnte er!“

Schon frühzeitig habe Crutzen erkannt, dass große Probleme nur in Teams zu lösen sind, die weit über die Grenzen einzelner Fächer hinausgehen. So kamen in der Anthropozän-Arbeitsgruppe Fachleute aus Meteorologie, Geologie, Archäologie und Geschichtswissenschaft zusammen.

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„Pauls Tod erschüttert mich zutiefst. Seine grenzenlose wissenschaftliche Neugier, seine kreativen Ideen und seine charismatische Persönlichkeit haben nicht nur mich und unser Institut, sondern viele Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geprägt,“ sagt der geschäftsführende Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie, Jos Lelieveld, in einer Mitteilung. „Auch nach seiner Emeritierung blieb er viele weitere Jahre bis ins hohe Alter wissenschaftlich aktiv. Wir verlieren einen engen Freund. Er wird uns sehr fehlen und unsere Gedanken sind bei seiner Frau und seiner Familie.“

Crutzen wurde in Amsterdam geboren. Er wurde zunächst Tiefbauingenieur und arbeitete anschließend als Computerprogrammierer an der Universität Stockholm im Fachbereich Meteorologie. Begeistert von dieser Wissenschaft begann er parallel zu seiner Arbeit zu studieren und promovierte 1968. Er wandte sich der Atmosphärenchemie zu und wurde mit seinen Arbeiten zum Ozonabbau in der Stratosphäre bekannt.

Crutzen und weitere Forscher wiesen nach, wie es zum „Ozonloch“ kam: Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), die als Treibgas und Kältemittel dienten, setzten in hohen Luftschichten Reaktionen in Gang, die schließlich dazu führten, dass die Ozonkonzentration abnahm. Dadurch gelangte mehr schädliche UV-Strahlung bis zur Erdoberfläche und führte dort unter anderem zu häufigerem Hautkrebs.

Nobelpreis für die Entdeckung des Zusammenhangs von Ozonloch und FCKW

Mit dem Montreal-Protokoll von 1987 verpflichteten sich zahlreiche Staaten, die Menge an FCKW deutlich zu verringern. Für die Entdeckung der chemischen Grundlagen erhielt Crutzen 1995 gemeinsam mit Mario Molina und Frank Rowland den Chemie-Nobelpreis. „Dies ist eines der besten Beispiele dafür, wie wissenschaftliche Daten wirksame Änderungen in der Gesellschaft herbeiführen können“, sagt Leinfelder.

In den Achtzigerjahren erforschte Crutzen, welche Folgen ein Atomkrieg auf die Atmosphäre hat: Gewaltige Brände und dadurch feigesetzte Partikel würden sie verdunkeln und einen „nuklearen Winter“ auslösen. Den Mechanismus der Verdunklung griff Crutzen später noch einmal auf.

In einem Fachartikel stellte er 2006 die Frage, ob Geo-Engineering – also die bewusste Manipulation des globalen Klimas mit wissenschaftlich-technischen Methoden – eine letzte Möglichkeit sei, der Erderwärmung entgegenzuwirken. Die Idee: Sulfatpartikel werden in die Stratosphäre ausgebracht und schirmen dort einen Teil der Sonnenstrahlung ab. Derartige Eingriffe sind bis heute heftig umstritten. Manche warnen vor unkalkulierbaren Folgen und gigantischem Aufwand.

Andere meinen, dass es falsch wäre, bestimmte Strategien von vornherein auszuschließen – vielmehr sollten sie erst genauer untersucht werden, um dann eine fundierte Entscheidung zu treffen. So auch Crutzen. Ihm ging es darum, die Forschung auf diesem Gebiet zu stärken, damit die Welt im Klimawandel-Notfall Optionen zum Handeln hat, erklärt das Mainzer Max-Planck-Institut.

Die Debatte um Geo-Engineering dürfte noch sehr lange dauern. Im Fall des Anthropozäns ist schon früher mit einer Entscheidung zu rechnen. Die Arbeitsgruppe empfiehlt die Umbenennung, das „Zeitalter des Menschen“ solle auf der geologischen Zeitskala Mitte des 20. Jahrhunderts beginnen.

Statt markanter Fossilien soll die geologische Grenze durch Ablagerungen markiert werden, die typisch für uns sind, berichtet Leinfelder. Im Gespräch seien radioaktive Partikel aus Atomwaffentests, Plastik, Schwermetalle, Industrieasche. Die offizielle Ausrufung des Anthropozäns könnte demnach in zwei bis drei Jahren erfolgen. Paul Crutzen würde sich freuen.

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