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Elite von morgen. Studierende vor der alten Universität Istanbul im Stadtteil Beyazit.

© Caro / Bastian

Deutsch-türkische Unis: Auf nach Istanbul!

Mit deutschen Universitäten will die Türkei näher an Europa rücken. Jetzt startet die zweite gemeinsame Hochschule am Bosporus - mit hohen Studiengebühren.

Die türkische Metropole Istanbul erhält nicht nur eine, sondern zwei deutschsprachige Universitäten. Neben der staatlichen Deutsch-Türkischen Universität (DTU) im Stadtteil Beykoz im asiatischen Teil Istanbuls, die auf eine Initiative der Regierungen in Berlin und Ankara zurückgeht, will auch eine von einer Stiftung betriebene Europa-Universität in Silivri im Westen der 15-Millionen-Stadt den Lehrbetrieb aufnehmen.

Beide Hochschulen richten sich an deutsche, deutsch-türkische und türkische Studenten, die vor allem in den wachsenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Türkei und der EU ihre Berufschancen sehen. Insgesamt sollen in einigen Jahren rund 10 000 Studierende an den beiden Unis lernen. Für die ersten geht es im bevorstehenden Wintersemester los – allerdings nicht in Istanbul, sondern in Dortmund.

Rund 4000 deutsche Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren am Bosporus angesiedelt, Deutschland ist für die Türkei der wichtigste einzelne Handelspartner, die EU nimmt rund 40 Prozent der türkischen Exporte ab. Viele Unternehmen brauchen Manager, Juristen und Ingenieure, die sich in beiden Kulturen und Systemen auskennen. Diese Nachfrage wollen die beiden Unis mit einer überwiegend deutschsprachigen Ausbildung befriedigen, gehen aber mit unterschiedlichen Konzepten zu Werke.

Die staatliche Universität in Beykoz soll ohne Studiengebühren auskommen. Der türkische Staat stellt bei dem Projekt das Grundstück, den Rektor und die Verwaltung, die Deutschen schicken Dozenten, die eines Tages rund 5000 Studenten und Doktoranden unterrichten sollen. Der deutsche Anteil an den Kosten beträgt knapp 40 Millionen Euro, die aus dem Bildungsetat kommen. Mehrere deutsche Universitäten beteiligen sich an dem Projekt und am Aufbau der fünf Fakultäten: Ingenieurswesen, Naturwissenschaften, Jura, Wirtschafts- und Verwaltungs- sowie Kultur- und Sozialwissenschaften. Hinzu kommt eine Fachhochschule für die Sprachausbildung.

Lesen Sie weiter: Wann die ersten Studenten empfangen werden können.

Im Oktober vergangenen Jahres legten Bundespräsident Christian Wulff und sein türkischer Kollege Abdullah Gül den Grundstein für die Uni in Beykoz, ein Rektor und andere Leitungskräfte sind inzwischen im Amt. Die Umsetzung des Projekts dauert aber wegen der vielen beteiligten Behörden beider Ländern länger, als sich die Politiker das vorgestellt hatten.

Nun soll Anfang kommenden Monats in Beykoz ein erstes Auswahlverfahren stattfinden. Die zehn Sieger bleiben aber nicht lange in Beykoz, sondern erhalten ein Stipendium zur Teilnahme an einem englischsprachigen Studiengang „Master of Manufacturing Technology“ – an der Technischen Universität Dortmund. In Beykoz selbst sollen sich die Universitätstore erst im Wintersemester 2012/2013 für bis zu hundert Studenten öffnen, wie die deutsche Botschaft in Ankara mitteilte. Die Fakultät für Naturwissenschaften wird auch dann noch keine Studenten aufnehmen können, weil die Laboreinrichtungen noch nicht fertiggestellt sein werden.

Im Herbst kommenden Jahres wird es laut Plan auch in Silivri losgehen, einer Stadt am europäischen Ufer des Marmarameeres rund 70 Kilometer westlich des Istanbuler Stadtzentrums. Hier errichtet die „Deutsch-Türkische Stiftung für Bildung und wissenschaftliche Forschung“ (Tavak) ihre Europa-Universität. Die Tavak wird von Faruk Sen geleitet, dem ehemaligen Chef des Essener Zentrums für Türkeistudien, der seinen Posten vor drei Jahren wegen eines umstrittenen Vergleichs der Lage türkischer Migranten in Deutschland mit der Situation der Juden im Europa vor 1945 räumen musste.

In diesem Oktober will Sen mit der Erweiterung des ersten Universitätsgebäudes auf 14 000 Quadratmetern Nutzfläche einen wichtigen Schritt zur Einrichtung der Uni tun, auch einen Rektor hat er schon. Zur Feier in Silivri wird unter anderem der türkische EU-Minister Egemen Bagis erwartet. Im Oktober kommenden Jahres soll dann der Lehrbetrieb mit drei Fakultäten – Wirtschafts- und Politikwissenschaften, Jura und internationales Recht sowie Kultur und Medien – starten. Ein Jahr später will die Tavak im westtürkischen Izmir gemeinsam mit der Sporthochschule Köln ein Programm von Sportstudiengängen aufziehen.

Izmir war ursprünglich als Standort der gesamten Tavak-Uni vorgesehen, doch erwies es sich als schwierig, ausländische Dozenten für eine Arbeit an der Ägäis zu gewinnen, die zwar landschaftlich und klimatisch reizvoll, aber doch etwas weit vom Schuss ist. In Silivri ist das offenbar anders. Sen berichtete im Gespräch mit dem Tagesspiegel von einer Zusammenarbeit mit sieben nordrhein-westfälischen Hochschulen und der geplanten Verpflichtung von Jungprofessoren aus Deutschland.

Lesen Sie weiter: Ohne Studiengebühren geht gar nichts.

Mit 600 Studienplätzen will die Europa-Universität anfangen, anders als in Beykoz werden in Silivri auch Studiengebühren von 9000 Euro pro Jahr fällig. „Damit liegen wir im mittleren Bereich“, sagt Sen. Die Studiengebühren an anderen Stiftungsuniversitäten in der Türkei liegen bei bis zu 19 000 Euro.

Die Hälfte der Studierenden sollen aus dem Ausland kommen, 20 Prozent der Plätze will die Tavak für Absolventen der deutschen und der österreichischen Schulen in Istanbul sowie für Abgänger des deutschsprachigen Elitegymnasiums Istanbul Erkek Lisesi reservieren. Die restlichen 30 Prozent werden mit türkischen Studenten gefüllt, die den landesweiten Hochschulzugangstest bestanden haben.

Der hohe Ausländeranteil bei den Studenten in Silivri passt zum Ziel des türkischen Staates, bis Ende 2015 mehr als 100 000 Studierende aus dem Ausland anzuziehen und damit die Zahl der ausländischen Studenten im Land zu verfünffachen. Bisher studieren an den 164 Universitäten des Landes insgesamt 21000 Ausländer. Ankara will das nicht nur deshalb ändern, um die Türkei für die Welt zu öffnen, sondern auch um Geld zu verdienen: Selbst wenn nur ein Zehntel der insgesamt 650 000 Studienplätze in der Türkei mit Ausländern besetzt würde, könnte das Mehreinnahmen von rund 650 Millionen Dollar einbringen, erklärte die Regierung im Frühjahr.

Dass eine Uni mit ausländischen Studenten eine feine Sache ist, findet auch die Stadt Silivri. Sie stellte der Tavak das Gelände am Marmarameer zur Verfügung. „Sie haben uns hergelockt“, sagte Sen. „Silivri will Universitätsstandort werden.“ Ohnehin hat die Stadt, die bisher vor allem wegen ihres Hochsicherheitsgefängnisses bekannt war, für die Zukunft große Pläne. In der Nähe soll der von der Regierung angekündigte „Kanal Istanbul“, eine künstliche Verbindung zwischen Marmarameer und Schwarzem Meer, gebaut werden, einen neuen Flughafen soll es auch geben. Nur die Studenten fehlen noch.

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