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Islamistische Kämpfer in Afrika.

© AFP

Verhaltensforschung: Ein Klima der Gewalt

Wenn die Temperaturen um zwei Grad steigen, könnte es in manchen Regionen 50 Prozent mehr blutige Konflikte geben.

Hitzewellen machen nicht nur lethargisch, sondern auch aggressiv. Beim Autofahren reißt häufiger der Geduldsfaden, es wird öfter gehupt. Mannschaftssportler foulen ihre Gegner häufiger. Psychologen verzeichnen bei höheren Temperaturen eine größere Gewaltbereitschaft. Die Zahl der Vergewaltigungen steigt, auch einige Polizisten reagieren mit unverhältnismäßiger Härte. Ähnlich ist es bei großen Gruppen, vermuten Sozialwissenschaftler: Ändert sich das Klima, brechen häufiger Kriege, Unruhen und ethnische Konflikte aus. In Afrika zum Beispiel kommt es öfter zu Bürgerkriegen, wenn die Jahrestemperatur über dem Durchschnitt liegt. Blutige Konflikte zwischen gesellschaftlichen oder politischen Gruppen in Ostafrika beginnen oft dann, wenn es besonders heiß ist.

Ein Team um Solomon Hsiang von der Columbia-Universität in New York hat jetzt 61 Langzeitstudien ausgewertet, die auf Wetter-, Kriminalitäts- und Konfliktdaten in ähnlichen Regionen beruhen. Wie die Forscher im Fachblatt „Science“ schreiben, könnte der Klimawandel bereits bis zum Jahr 2050 deutlich mehr Gewalt als bisher auf der Erde verursachen.

Klimaänderungen stressen die Gesellschaft

Allerdings sind sich die Experten keineswegs einig. „Der Zusammenhang von Klimawandel und Gewaltkonflikten wird kontrovers diskutiert“, sagt Jürgen Scheffran von der Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit der Uni Hamburg. „Menschen und Gesellschaften reagieren nicht mit festgelegten Verhaltensweisen auf Klimaänderungen. Sie setzen nicht automatisch Gewalt ein.“

Der Einzelne passt sich gut an die üblichen Bedingungen an. Bauern verlassen sich darauf, dass es ab Mitte Mai in Mitteleuropa keine Nachtfröste mehr gibt, die empfindliche Nutzpflanzen gefährden. Oder dass Flüsse und Brunnen während trockener Perioden ausreichend Wasser liefern, um die Felder zu bewässern und das Vieh zu tränken. Ändert sich das Klima, stresst das den Einzelnen und die gesamte Gesellschaft. „Das kann die Gewaltbereitschaft steigern, aber auch bessere Zusammenarbeit fördern“, sagt Scheffran.

Klima ist keineswegs der wichtigste Faktor für Gewalt

Hsiang und seine Kollegen haben jetzt versucht, die Zunahme von Gewalt in Zahlen zu fassen. Treibt der Klimawandel die Temperaturen um zwei Grad Celsius in die Höhe, könnten in vielen Regionen gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen größeren Gruppen um mehr als fünfzig Prozent steigen, vermutet Marshall Burke von der Universität von Kalifornien in Berkeley. Die Gewalt gegen Einzelne steige nur um acht bis 16 Prozent.

Solche Zahlen wirken beeindruckend, den Forschern ist aber bewusst, dass sie auf tönernen Füßen stehen. Schließlich ist das Klima weder der einzige noch der wichtigste Faktor, der Gewalt und Aggression auslöst. Hsiang vergleicht die Situation mit Verkehrsunfällen, die bei Regen häufiger passieren: „Schuld sind meist Fehler des Fahrers, Regenwetter macht dann einen Unfall wahrscheinlicher“, sagt er. Ähnlich sieht es Scheffran: „Bei Kriegen und Bürgerkriegen ist der Einfluss des Klimas normalerweise nur ein Faktor unter vielen.“

Ein weiteres Problem: Die Prognose des amerikanischen Teams geht davon aus, dass die Menschen in Zukunft genauso reagieren wie in der Vergangenheit. Möglicherweise können sie aber besser mit den Problemen umgehen. Scheffran und seine Mitarbeiter zeigten in einer 2012 veröffentlichten Studie, dass der Einfluss des Klimas auf Krieg und Gewalt in der jüngeren Vergangenheit schwächer wurde. Früher waren die Gesellschaften abhängiger von der Landwirtschaft, erklärt Scheffran den Befund.

Das sei kein Grund zur Entwarnung. Schließlich schwankte die Durchschnittstemperatur in Epochen wie der kleinen Eiszeit und dem mittelalterlichen Klimaoptimum um weniger als ein Grad Celsius. Der zurzeit laufende Klimawandel bringt wahrscheinlich viel größere Temperaturänderungen. Für diesen Fall liefert die Vergangenheit weder Daten noch Erfahrungswerte. Die Forscher müssen beobachten, wie sich das auf die Gewaltbereitschaft auswirkt.

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