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Energie: Riesige Litfaßsäulen sparen Sprit

Flettner-Rotoren nutzen Wind besser als Segel. Ingenieure entdecken die alte Technik von neuem

Mancher Kapitän wird sich in Zukunft verwundert die Augen reiben, wenn ihm das „E-Ship 1“ begegnet. Am Bug und Heck des 130 Meter langen Frachtschiffes ragen je zwei mächtige Zylinder wie überdimensionale Litfaßsäulen 25 Meter hoch in den Himmel. Mit dieser Konstruktion soll das Schiff besser als herkömmliche Segel den Wind als Zusatzantrieb nutzen und damit Diesel, Treibhausgase – und natürlich Geld – sparen. Ganz ohne Segelromantik könnte die Windenergie also ein Comeback auf Wasserfahrzeugen erleben.

Noch allerdings schwimmt das E-Ship1 nur in Computersimulationen. Das echte Schiff soll bis Ende 2009 auf einer Werft in Emden fertiggestellt werden. Der Eigentümer des Schiffes hat durchaus Erfahrung mit der Nutzung von Windenergie. Die Firma „Enercon“ im ostfriesischen Aurich ist der größte deutsche Hersteller von Windenergieanlagen. Weil in absehbarer Zukunft der Klimaschutz dringlicher werden wird und die Preise für Schiffsdiesel weiter steigen dürften, hält der Branchenprimus eine Renaissance der Windkraft auf hoher See für möglich – und will auch Technik für die Schifffahrt anbieten.

Neben klassischen Segeln, die auch durch einfacher handhabbare Metallfolien ersetzt werden können, sowie Flugdrachen, die ein Schiff ziehen, gibt es eine weitere Technologie, deren Grundlagen der Berliner Physiker Heinrich Gustav Magnus bereits 1852 beschrieb. Dem Wissenschaftler war aufgefallen, dass rotierende Geschosse oder Golfbälle von jener Flugbahn abweichen, auf der nicht rotierende Gegenstände fliegen würden. Fußballer kennen dieses Phänomen unter dem Begriff „Bananenflanke“: Trifft der Fuß des Spielers den Ball seitlich, dreht sich das Leder und fliegt nicht gerade, sondern im Bogen über das Feld. Magnus gelang es, die Ablenkung des Balles oder eines Geschosses schlüssig zu erklären.

Schon in den 1920er Jahren wurden Schiffe mit Flettner-Rotor gebaut

Beim Flug muss die Luft am Ball vorbeiströmen. Rotiert das Leder, strömt die Luft auf der einen Seite mit der Drehrichtung und versucht dort, die Drehung zu beschleunigen. Auf der gegenüberliegenden Seite strömt die Luft gegen die Drehrichtung und versucht die Rotation zu bremsen. Weil beide Kräfte auf den sich drehenden Ball wirken, wird sich die Rotationsgeschwindigkeit also kaum ändern. Allerdings führen die Verwirbelungen dazu, dass der Ball im rechten Winkel zu seiner Flugbahn abgelenkt wird. Mit der Zeit wird der Effekt immer stärker – deshalb lassen sich Bananenflanken auch so schwer berechnen.

In den 1920er Jahren versuchte der hessische Ingenieur Anton Flettner basierend auf dem „Magnus-Effekt“ einen Schiffsantrieb zu entwickeln. Dazu ließ er auf dem Deck senkrecht stehende Metallzylinder aufstellen, die ein Motor um ihre eigene Achse drehen ließ. Trifft Wind auf diese Zylinder, zieht der Magnus-Effekt das Schiff im rechten Winkel zur Windrichtung. Als Antrieb lassen sich die Flettner-Rotoren also nur nutzen, wenn der Wind nicht genau von vorne oder von hinten kommt. Kommt der Wind von der falschen Seite, ändert der Kapitän einfach die Drehrichtung der Metallzylinder, um eine rückwärts gerichtete Kraft in Vortrieb zu verwandeln.

Versuche mit den 1924 und 1926 gebauten Schiffen „Buckau“ und „Barbara“ waren erfolgreich. Gegen Schiffsantriebe mit billigen fossilen Brennstoffen konnten sich die Flettner-Rotoren aber nicht durchsetzen. Gemeinsam mit den Segelschiffen, die sie eigentlich ersetzen sollten, verschwanden sie wieder von den Weltmeeren.

Die Werft in Kiel ging pleite, jetzt wird in Emden weiter gebaut

Nachdem der französische Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau Anfang der 1980er Jahre einen abgewandelten Flettner-Antrieb auf sein Schiff „Alcyone“ montieren ließ, griffen die Verantwortlichen bei Enercon wieder die Ursprungsidee auf. 2006 beauftragten sie eine Werft in Kiel mit dem Bau eines 130 Meter langen Prototyps. 25 Meter hoch sollen die vier Rotoren werden, mit jeweils vier Metern Durchmesser. Dieser Antrieb soll die konventionellen Dieselmotoren ergänzen – auf den Wind allein mag sich auch ein Hersteller von Windkraftanlagen nicht verlassen. Seit die Werft 2008 Insolvenz angemeldet hat, baut Enercon auf eigene Faust weiter. Bis Jahresende soll das E-Ship 1 in Emden fertiggestellt werden. Zu den Kosten für das Unterfangen macht Enercon allerdings keine Angaben.

Für die Firma könnte sich der Prototyp dennoch rechnen. Enercon will mit diesem Schiff nicht nur zeigen, dass Windenergie zumindest als Zusatzantrieb genutzt werden kann. Gleichzeitig übernimmt das E-Ship 1 einen Teil des Transportes zwischen den Werken in Brasilien und Deutschland oder zu den Standorten der Anlagen, von denen viele in Kanada sind. So spart das Unternehmen teure Charter. Gleichzeitig soll getestet werden, wie viel Schiffsdiesel die Segelrotoren im Alltag tatsächlich sparen.

Ob die Unterstützung mit Windenergie sich überhaupt lohnt, hat Gonzalo Tampier vom Fachgebiet Meerestechnik der Technischen Universität Berlin (TUB) mit Computersimulationen berechnet – zwar nicht für Flettner-Rotoren, aber immerhin für diverse Segelkonzepte. Demnach spart ein schnelles Container- oder Passagierschiff mithilfe der Windenergie nur wenige Prozent der Antriebskosten.

Besser ist das Ergebnis für Frachter, die in langsamer Fahrt mit nur zehn Knoten (etwa 18 km/h) über die Weltmeere schippern. Dann sparen die Segel im günstigsten Fall 44 Prozent der Energie, hat Tampier berechnet. Am ehesten lohnt sich die Segelei daher bei Massengutfrachtern, die zum Beispiel Getreide oder Kohle von Australien in den Rest der Welt liefern. Bei einer Fähre dagegen, die Passagiere und Fracht schnell und pünktlich zum Ziel bringen soll, rechnet sich die Windenergie kaum.

Segel zur Unterstützung rentieren sich bei Geschwindigkeiten bis zu 16 Knoten, fasst Günther Clauss zusammen, der das Fachgebiet Meerestechnik der TUB bis 2008 geleitet hat. Auch wenn diese Zahl für Segel gilt, liegt das E-Ship 1 ebenfalls in diesem Bereich. Es soll mit maximal 17,5 Knoten (32 km/h) fahren.

Wer langsam fährt, spart am meisten Treibstoff

Allerdings könne man ohne umfangreiche Entwicklungen sofort jede Menge Energie und Kosten für Seetransporte sparen, sagt Clauss: „Die Schiffe müssten einfach langsamer fahren.“ Laut Physik-Lehrbuch steigt der Verbrauch oder die Antriebsleistung eines Schiffes nämlich mit der dritten Potenz der Geschwindigkeit: Soll ein Schiff doppelt so schnell fahren, braucht es dafür die achtfache Antriebsleistung.

Leisten können sich moderne Frachter die gemächlichere Fahrt durchaus, sagt Pierre C. Sames, Leiter der strategischen Forschung und Entwicklung beim Germanischen Lloyd in Hamburg. Fährt beispielsweise ein Containerschiff zwischen verschiedenen Häfen Ostasiens und Europas mit 25 Knoten, ist es auf einer typischen Rundreise 41 Tage auf See und verbringt 17 weitere Tage in Häfen. Senkt das Schiff sein Tempo nur um zwölf Prozent auf 22 Knoten, spart es 25 Prozent der installierten Leistung. Der Zeitverlust ist überschaubar: Statt insgesamt 58 Tage ist der Frachter dann etwa 63 Tage auf See und in Häfen. Er braucht also nur neun Prozent mehr Zeit, um ein Viertel der Treibstoffkosten zu sparen.

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